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Bericht | 12.11.2023
Abschied vom Mainstream
Der Aufbau eines Informationsraums außerhalb der Leitmedien ist möglich – die Befürchtung, etwas zu verpassen, unbegründet.
Text: Mirko Jähnert
 
 

Medien spielen in unserem Leben eine entscheidende Rolle. Durch sie nehmen wir die Welt wahr, die sich außerhalb unseres eigenen Umfelds befindet. Damit wird schon die Macht der Medien klar. Sie schaffen Realitäten mit dem, worüber sie berichten – können aber auch Dinge unsichtbar werden lassen, wenn sie es nicht tun. Dass Tagesschau & Co. diese Macht nutzen, ist nicht neu. Staatsnähe, manipulative Berichterstattung, Lückenpresse – das sind nur einige der Vorwürfe von Kritikern. Aber ganz auf diesen Mainstream verzichten? Was, wenn man mitreden möchte über die Themen, die die Welt bewegen? Mein Fazit: Jeder kann sich seine alternativen Informationsquellen selbst zusammenstellen. Ein Leben ohne Mainstream ist möglich.

Mein Medien-Mix

Im Mai 2020 hatte ich mich aufgrund der Corona-Berichterstattung zu diesem Schritt entschlossen. Das negative Rechts-Framing durch die Leitmedien der damaligen Demonstrationen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin widersprach den Eindrücken, die ich vor Ort gesammelt hatte. In der neu gewonnenen Zeit ohne Fernsehen entdeckte ich das Lesen von Büchern für mich. Ein Buch kann ein Thema wesentlich tiefgründiger beleuchten als die Tagesschau oder ein Online-Artikel. Es kann nicht gelöscht oder zensiert werden. Ob Corona, Geopolitik oder Medien – zu allem gibt es die Möglichkeit, auf Wissen in Büchern zurückzugreifen.

Daneben nutze ich verschiedene neue Medien. Da wäre Apolut zu nennen. Das Portal ist aus dem früheren KenFM hervorgegangen, einem Pionier der Unabhängigen. Apolut bietet Artikel und Analysen zahlreicher Autoren zu aktuellen Themen, teilweise als Podcast. Regelmäßig erscheinen interessante Interviews.

Dann schaue ich gern bei Manova vorbei. Ein junges Team, aus dem früheren Rubikon entstanden, veröffentlicht Beiträge zu Gesellschaft oder Politik.

Wer sich für Medienkritik und Geopolitik aus russischer Sicht interessiert, sollte bei Thomas Röpers Anti-Spiegel reinschauen. Alle 14 Tage fassen Röper und Robert Stein Nuoflix die Artikel in einem langen, aber spannendem Gespräch bei Tacheles zusammen.

Ein Muss in meiner Medienschau sind die Nachdenkseiten. Gegründet von SPD-Urgestein Albrecht Müller, bietet die Redaktion ein breites Spektrum an Texten. Jede Woche werden auch ausgewählte Veröffentlichungen und Videobeiträge anderer Medien empfohlen. Ein großer Fundus an Informationen für eine eigene Meinungsbildung. Mit Florian Warweg haben die Nachdenkseiten auch einen Vertreter in der Bundespressekonferenz, der mit kritischen Fragen die Regierungssprecher zum Schwitzen bringt.

Eher geopolitisch und international ausgerichtet ist Free21 mit Chefredakteur Dirk Pohlmann. Die Texte auf Free21 stehen als druckbereite PDF in Zeitschriftenlayout zum Download zur Verfügung. Eine Auswahl davon wird als gedrucktes Magazin alle zwei Monate an Abonnenten verschickt.

Vergleichsweise neu auf dem Markt ist Multipolar. Statt auf Masse setzen die Macher Paul Schreyer, Stefan Korinth und Ulrich Teusch auf längere, sorgfältig recherchierte Beiträge. Ein Blick auf Beiträge anderer Medien und Buchempfehlungen runden das Angebot des Portals ab.

Weniger bekannt ist die Seite German-Foreign-Policy. Die Analysen und Hintergrundinformationen zu außenpolitischen Themen sind allerdings von hoher Qualität und bieten echten Mehrwert.

Nun ist das Lesen von Artikeln nicht jedermanns Sache. Doch auch Freunde von Talkshows und Videobeiträgen werden im alternativen Medienspektrum fündig. Zu den bereits erwähnten möchte ich noch Punkt.Preradovic hinzufügen. Die ehemalige RTL-Moderatorin Milena Preradovic führt seit 2020 wöchentlich Interviews mit klugen Köpfen. Es war ihr Interview mit Wolfgang Wodarg, das mich im März 2020 dazu brachte, den Corona-Hype zu hinterfragen.

Vom Arzt zum Medienmacher hat sich Paul Brandenburg entwickelt. Seit neuestem kann man in einer knappen Stunde die wöchentliche Diskussion Nachschlag.Express zu aktuellen Themen zwischen Paul Brandenburg, Dieter Dehm und Kayvan Soufi-Siavash anschauen. Milena Preradovic und Paul Brandenburg produzieren gemeinsam den wöchentlichen Podcast Nacktes Niveau, wo mit Witz und lockeren Sprüchen die aktuelle Politik aufs Korn genommen wird.

Wer gern rundum informiert sein möchte und recherchierte Hintergründe in einem Videoformat bevorzugt, dem sei das 3. Jahrtausend empfohlen. Die Journalisten Robert Fleischer, Dirk Pohlmann und Mathias Bröckers bringen hier einmal im Monat ein hochwertiges journalistisches Format auf den Markt.

Selbst für das Radio gibt es mittlerweile Alternativen zum Mainstream. Mein ständiger Begleiter im Auto ist der Kontrafunk. Neben den stündlichen Nachrichten werden Interviews, Meinungen, aber auch Kulturelles gesendet.

Journalismus selber machen? Auch das ist möglich. Die unabhängigen Medienportale nehmen gern eingereichte Beiträge zur Veröffentlichung auf. Wer sich (noch) nicht zutraut, selbst zu schreiben, kann beispielsweise bei Free21 als Übersetzer mithelfen oder Texte zur Veröffentlichung vorbereiten.

Und: Jeder kann Journalismus lernen. Hier bei der „Freien Akademie für Medien und Journalismus“ habe auch ich das Handwerkszeug sowie das Selbstvertrauen vermittelt bekommen.

Es gibt noch jede Menge weiterer Portale in den verschiedensten Ausrichtungen. Die Entwicklung der unabhängigen Medien hat in den letzten Jahren einen enormen Schub bekommen. Dabei ist das Angebot auch qualitativ gewachsen und eine echte Alternative zu den Leitmedien geworden. Finanziert wird das vor allem von den Lesern, Zuschauern und Zuhörern. Und das, im Gegensatz zum Öffentlich-Rechtlichen, sogar freiwillig. Ich möchte jeden dazu ermuntern, sich seinen Informationsraum selbst zusammenstellen und seine Favoriten zu unterstützen. Denn: Medienvielfalt bedeutet Meinungsvielfalt.

Mirko Jähnert hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien und Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: Titelfoto: Mohamed Hassan, Pixabay