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Bericht | 23.10.2023
Kulturverbot und Verbotskultur
Das Russische Haus in Berlin ist seit gut einem Jahr wieder auf, aber nicht jedem gefällt das.
Text: Mirko Jähnert
 
 

Berlin, Friedrichstraße, Samstagmorgen. Ich gehe auf die andere Straßenseite, um ein Foto des großen Gebäudes zu machen. Hinter der Eingangstür passiere ich einen Sicherheitscheck. Dann stehe ich im Foyer des Russischen Hauses der Wissenschaft und Kultur. Das Gebäude hat sieben Stockwerke. Über 29.000 Quadratmeter. Alles wirkt weiträumig und offen. Ganz wie das Land, dessen Kultur es repräsentiert. In der Mitte die wuchtige Treppe zur zweiten Etage. Die Architektur vermittelt Ruhe und Stabilität – hochwertige Materialien ohne Prunk. An den Wänden Reliefs, unter anderem zum Thema Raumfahrt. Im Tschechow-Saal sehe ich mir eine Fotoausstellung vom Ende des 2. Weltkrieges an. Gemeinsame Geschichte. Eine gute Idee, heutzutage daran zu erinnern. Außerdem findet man Plakate und Bilder von russischen Komponisten und Künstlern. In den oberen Etagen sind Säle für Veranstaltungen, Bilder russischer Maler, eine Bibliothek, eine Kunstschule und als Mieter ein Reisebüro. Was man nicht sieht – politische Botschaften. Eine „Kreml-Propagandastätte“ hatte ich mir anders vorgestellt.

Seit Monaten gibt es Querelen um das Russische Haus. Im Zuge des Ukrainekrieges fordern einige Politiker die Schließung des Gebäudes, allen voran Volker Beck von den Grünen. Als Grund führen sie russische Propaganda und den Betreiber des Hauses an, der Sanktionen der EU unterliegt. Gerade hat die Staatsanwaltschaft das von Beck angestrengte Verfahren eingestellt, weil die Verantwortlichen einen Diplomatenstatus haben. Das Russische Haus wird auf der Webseite der Botschaft der Russischen Föderation offiziell als eine Vertretung aufgeführt.

Die Argumente der Kritiker: Propaganda, Organisation pro-russischer Proteste und Verunglimpfung der Ukraine und Europas. Man hat einen Film über den Holocaust gezeigt, in dem faschistische Tendenzen in diesen Ländern angesprochen wurden. Ein Vergleich mit Nazi-Deutschland? Ich denke an das Vorgehen gegen die russische Minderheit im Donbass, die Forderungen vom Ausschluss russischer Künstler und Sportler in Deutschland sowie an die Sanktionierung russischer Menschen in der EU. Kann man das gutheißen, wenn man jahrelang „Wehret den Anfängen“ predigt?

Der Streit um das Kulturzentrum ist rhetorisch schon lange eskaliert. „Ein Ort der Schande“ sagt beispielsweise der SPD-Politiker Michael Roth, ohne das weiter zu begründen. Dabei betreibt Deutschland mit Goethe-Instituten unter der Verantwortung des Auswärtigen Amtes in drei russischen Städten ähnliche Einrichtungen.

Auffallend ist, dass vor allem jene Politiker eine Schließung des Russischen Hauses fordern, die wie Roth auch am lautesten für Waffenlieferungen an die Ukraine sind. So findet zum Beispiel der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, dass durch das Kulturzentrum „Desinformation“ und „Kreml-Narrative“ verbreitet werden. Er sieht das Haus als Symbol für einen hybriden Krieg gegen Deutschland. Markige Worte von einem Mitglied der Atlantikbrücke.

Für die FAZ ist das Haus gar „Putins Machtsymbol in Berlin“. Der Artikel erschien bezeichnenderweise in der Rubrik Politik und nicht in der Kultur. Offenbar sind es nicht die Betreiber des Russischen Hauses, die politisch Stimmung machen, sondern ihre Kritiker. Ein Blick auf den Veranstaltungsplan jedenfalls ist jeglicher Propaganda unverdächtig. Neben Filmvorstellungen werden Sprachkurse und Konzerte angeboten. Geht es also wieder nur darum, etwas zu verbieten, was dem Narrativ des bösen unkultivierten Russen widerspricht? Cancel culture for Cancel-Culture.

Bildbeschreibung

Ich schreibe Volker Beck, Michael Roth und Roderich Kiesewetter eine Mail und bitte um mehr Informationen und Beispiele. Eine Antwort bekomme ich von keinem. Die PR-Abteilung des Russischen Hauses antwortet am nächsten Tag, lädt mich zu einem Gespräch mit ihrem Leiter Pavel Izvolskiy ein und führt mich am 20. Oktober durch das Haus. Es ist die weltweit größte Kultureinrichtung dieser Art. 1984 fertiggestellt, gibt es das frühere „Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur“ seit fast 40 Jahren. Der Kinosaal hat knapp 200 Plätze. Stolz zeigt man mir den Vorführraum. Neben modernen Geräten für digitale Filme stehen hier auch noch die älteren Maschinen, mit denen Filmrollen abgespielt werden können. Imposant ist auch der Konzertsaal mit rund 500 Plätzen für Konzerte, Opern und Theatervorstellungen. Dann treffe ich Pavel Izvolskiy. Er erklärt mir seine Arbeitsgrundlage – das Abkommen über Kultur- und Informationszentren zwischen Deutschland und Russland aus dem Jahr 2011. Dass kulturelle Beziehungen im Interesse der Völker beider Staaten sind, kann man dort gleich in den ersten Zeilen lesen.

Wer in das Russische Haus kommt, hängt von der jeweiligen Veranstaltung ab. Bis zu Familien mit Kindern ist alles dabei. Von Februar bis September 2022 war das Haus aus Sicherheitsgründen geschlossen. Nach der Wiedereröffnung mussten die Verantwortlichen ihr Programm ändern. Da es heute schwieriger ist, russische Künstler einfliegen zu lassen, werden jetzt mehr Filme oder Ausstellungen gezeigt. Ziel ist die Förderung der russischen Kultur und Sprache. Und die Kritiker? Viel mehr als Schlagworte wie „Propaganda“ kommt da nicht, sagt Izvolskiy. Und immer wieder der Holocaust-Film, der in Deutschland nicht verboten ist. Aber mit diesem Thema lässt sich in Deutschland schnell Stimmung machen. Daher muss eine einzige aus dem Kontext genommene Aussage des ganzen Filmes als Argument herhalten.

Die Sanktionen der EU betreffen auch nicht das Russische Haus, sondern die übergeordnete Agentur Russotrudnichestvo, die dem russischen Außenministerium untersteht und weltweit die kulturellen Einrichtungen organisiert. In das Programm des Russischen Hauses wird aber nicht eingegriffen. Russotrudnichestvo als Betreiber zu bezeichnen, ist daher nicht korrekt, so Izvolskiy. Die Organisation stelle laut Kulturabkommen nur die Tätigkeit des Kulturzentrums sicher.

Der Ärger begann im Dezember 2022 mit einem Bericht von Anwalt Patrick Heinemann auf der Plattform LTO. Daraufhin erstattete Volker Beck Anzeige. Da die Staatsanwaltschaft nicht gegen die Einrichtung, sondern nur gegen Personen ermitteln kann, stand Pavel Izvolskiy im Mittelpunkt. Aufgrund der diplomatischen Immunität war das Thema eigentlich schnell erledigt. Doch Volker Beck will weiter gegen das Urteil vorgehen. Anwaltlich vertreten wird er dabei durch Heinemann, der die Diffamierungswelle losgetreten hatte.

Pavel Izvolskiy sieht die Arbeit der rund 50 Angestellten, die Besucher und den kulturellen Austausch als einen kleinen aber wichtigen Baustein einer Brücke zwischen Russland und Deutschland. „Wer gewinnt, wenn Kinder keine Filme mehr schauen dürfen, Familien die Veranstaltungen nicht besuchen oder interessierte Menschen die russische Sprache nicht erlernen dürfen? In dunklen Zeiten ist es wichtig, etwas Helles zu gestalten.“ Besuchen Sie das Russische Haus und machen Sie sich ein eigenes Bild.

Mirko Jähnert hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien und Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: Mirko Jähnert