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Meyen am Tresen | 12.07.2025
Zukunft – im Saal
Ich habe in Hengersberg mit Alexander Teske über sein Buch „Inside Tagesschau“ gesprochen und dabei junge Leute jenseits aller Klischees getroffen.
Text: Michael Meyen
 
 

Der Abend war schon gerettet, bevor es losging. Joey, Kopf der Initiative „Deggendorf miteinander“, hatte die Nachricht des Tages: Heute kommen Schüler. Ein Lehrer, der ein paar seiner Leute mitbringt aus einem Politik-Leistungskurs. Wahnsinn. Das wir das noch erleben dürfen.

Ich übertreibe, aber nicht sehr viel. Wer in den letzten Jahren auf einer der unzähligen Demos war, bei den Mahnwachen von Leuchtturm ARD oder auch nur bei einem meiner Vorträge, der kennt diese Sehnsucht, die schnell zu bangen Fragen führt. Was ist mit der Jugend los? Warum sind wir, die Grauhaarigen, kampferprobt schon seit dem Bonner Hofgarten oder mit dem 89er Herbst im Osten, warum sind wir immer unter uns? Was haben wir falsch gemacht, dass unsere Kinder und unsere Enkel zu Hause an den Geräten spielen oder im schlimmsten Fall sogar auf der anderen Seite stehen? „Das Methusalemproblem“ hat das gerade Martin Sellner genannt, ein noch halbwegs junger Mann, den man vermutlich nicht einmal mehr zitieren darf. Egal. Sein Text „Wann steht einer auf?“, erschienen in der Bauernkriegsausgabe der Zeitschrift Sezession, Treffpunkt der Unberührbaren und deshalb oft frei von jeder Rücksichtnahme, nennt die Hürden, die alle Debatten um irgendwelche Revolutionen zu Fantasiegebilden werden lassen:

  • Wohlstand und Gewöhnung,
  • Erschöpfung und Repression sowie
  • das, was „besonders schmerzhaft“ ist: schon Pegida „graumeliert“, dann Corona-Proteste, die „teilweise bereits wie Seniorenausflüge“ wirkten, und schließlich die tickende Uhr. „Fest steht, dass wir alle nicht jünger werden.“

Und nun das. Junge Leute im Publikum, Schüler gar. „Flaggschiff Tagesschau“ steht auf dem Plakat, und neben mir sitzt Alexander Teske, der dazu gerade einen Bestseller geschrieben hat. Teske, Urgestein des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, war in Hamburg sechs Jahre Planungsredakteur, von Anfang 2018 bis Ende 2023. Also mittendrin und nicht nur einfach so dabei. Ich fand das Buch so lala, das hat ihn aber nicht davon abgehalten, mich anzurufen und zu fragen, ob wir nicht einmal zusammen auf dem Podium sitzen wollen. Also auf nach Hengersberg.

Bildbeschreibung

Unser Gespräch wird in ein paar Tagen auf YouTube zu sehen sein. Ich habe dabei unter anderem gelernt, dass es sogar für ganz normale Redakteure eine Art Omertà gibt, eingebaut in die Verträge. Ich kannte solche Verschwiegenheitsklauseln bisher nur von der KEF, von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, wo 16 Menschen, berufen von den Ministerpräsidenten und damit so „unabhängig“, wie es nur irgend geht, erfahren, wie viel ARD und ZDF Stars wie Markus Lanz, Louis Klamroth oder Caren Miosga zahlen, und darüber nie im Leben reden dürfen, obwohl es ja um unser aller Geld geht. Ich fand schon das immer verrückt und weiß nun, dass auch ein kleiner Planungsredakteur wie Alexander Teske Schwierigkeiten bekommen könnte, wenn er draußen erzählt, was drinnen abläuft.

Die Leute im Saal haben gelernt, dass auch junge Menschen die Tagesschau sehen. Eine Fragestellerin war sich ganz sicher, dass auch diese Sendung eine Art Methusalemproblem hat und so von ganz alleine aussterben wird. Alexander Teske hat ihr zugestimmt. Seine beiden Kinder, in ihren 20ern, wüssten vermutlich nicht einmal mehr, wie das geht – fernsehen. Pustekuchen. Wir gucken schon, sagte eine der Schülerinnen. Wir lesen auch. Sogar Zeitung. Ich kenne das aus der Uni. Viele meiner Seminare habe ich mit einer Schreibaufgabe begonnen: Wo informiert ihr euch? Die Rabatte der Medienkonzerne wirken. So ein Studentenabo kostet nur einen Bruchteil und wird tatsächlich genutzt.

Zurück zu der jungen Frau in Hengersberg, die den Medien-Navigator von Swiss Policy Research kennt, weil im Unterricht darüber gesprochen wurde, und die schon auf etlichen ähnlichen Veranstaltungen war, weil Lehrer und Umfeld sie dazu animieren. Wie ist das an der Uni, Herr Meyen? Finde ich da Gegenstimmen? Und wie sieht es im Journalismus aus, in dem Beruf, der mir im Moment am liebsten wäre? Kann ich da auch dann Fuß fassen, wenn ich nicht immer mit dem Strom schwimmen will?

Zur Uni muss ich gar nicht viel sagen. Alexander Teske spricht über die Leserbriefe zu seinem Buch. Tenor: Die Tagesschau ist keine Ausnahme. Überall das gleiche Spiel. Auch seinen eigenen Beruf sieht er eher pessimistisch – vielleicht auch, weil er in den 1990ern eingestiegen ist, in den goldenen Jahren, als man vom Schreiben zwar nicht reich werden konnte, aber immerhin einigermaßen komfortabel leben. Heute, sagt Teske, feilschen die Verlage um jeden Euro. Neulich habe er für einen Text 200 statt der vereinbarten 150 erbeten, um die zwei Arbeitstage wenigstens halbwegs wieder reinzubekommen. Keine Chance.

Wer meine Bücher kennt, der weiß, was ich geantwortet habe. Der Weg in den Journalismus ist ein Marathonlauf, den man nur überleben kann, wenn man Sponsoren und Gönner hat oder etwas Geld in der Familie. Hier, bei der Rekrutierung, beginnt das Problem, weil das, was ein Redakteur auswählt, von seinen Erfahrungen abhängt und von seiner Position. Großstadtmittelschichtmenschen spiegeln die Sicht der Großstadtmittelschicht. In der Gegenöffentlichkeit, wo selbst 150 Euro für einen Text oft utopisch sind, sieht das nicht viel anders aus als bei den Leitmedien.

Die gute Nachricht ist: Es gibt diese Gegenöffentlichkeit inzwischen. Und es gibt Beispiele, dass man sich auch in jungen Jahren darauf einlassen und so ein Leben bauen kann. Hakon von Holst, Aron Morhoff, Flavio von Witzleben. Nur drei Namen, pro domo herausgegriffen, weil alle drei bei uns an der Freien Medienakademie waren. Wir haben dann im kleinen Kreis noch über den Schüleralltag gesprochen und darüber, wie schwer es ist, zu seiner Meinung zu stehen, wenn alle anderen auf der anderen Seite zu stehen scheinen. Ich habe Angst vor der Zukunft, sagte ein junger Mann. Was soll das werden, wenn schon hier alle pessimistisch sind? Ich hoffe, dass er meine Botschaft verstanden hat: Steh zu dem, was du gerade für richtig hältst. Dann geht es dir besser, und vielleicht bringst du die anderen ja sogar zum Nachdenken.

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Bildquellen: Redaktionsraum der Tagesschau 2023. Foto: Medea7, CC BY-SA 4.0