Ich erinnere mich gut an eine Meldung aus der Vor-Corona-Zeit: Einsamkeit sei für die Gesundheit so schädlich wie starkes Rauchen. Auch wenn dieser Vergleich etwas hinkt, zeigt er doch, wie essenziell soziale Bindung für den Menschen ist. Eigentlich ist das nichts Neues – jeder Mensch spürt intuitiv, dass er kein Einzelgänger ist, sondern ein soziales Wesen. Das Gesehenwerden in sozialen Kontexten – ob Arbeit, Freundeskreis oder Familie – ist ein seelisches Grundbedürfnis. C.G. Jung zählte die zentralen Faktoren für menschliches Glück einst so auf:
Gerade diesen grundlegenden Erkenntnissen wurde in den Coronajahren wenig Beachtung geschenkt – schlimmer noch: Wer ein ungutes Gefühl wegen der psychischen Auswirkungen der Lockdowns äußerte, galt als verdächtig. Die sogenannte Pandemie wurde zum Schweizer Taschenmesser der Politik – für jede Krise gab es plötzlich eine passende „Lösung“. Die staatlichen Maßnahmen, Einschränkungen und Gängelungen wirkten wie ein Brandbeschleuniger für gesellschaftliche Brüche, die sonst wohl kaum oder nur viel später zutage getreten wären. Einige Beispiele:
Ich möchte mich – wie im Titel angedeutet – auf die psychischen und sozialen Folgen konzentrieren, vor allem bei der jungen Generation.
Laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung stieg die Rate depressiver Symptome bei 16- bis 19-Jährigen nach dem ersten Lockdown von rund 10 auf 25 Prozent. Kinder und Jugendliche hatten mehr Sorgen, Konflikte in der Familie, ein schlechteres Körperbild. Hinzu kamen mehr Essstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Einsamkeit, Isolation und psychische Erkrankungen traten in allen Altersgruppen verstärkt auf.
Folgt man der kruden Logik, dass die Lösungen für viele der Probleme bereits vorlagen, lässt sich im Fall der sozialen Isolation feststellen: Die Lockdowns führten zu einer explosionsartigen Digitalisierung. Diese wiederum verstärkte Entfremdung und Vereinsamung – nicht als Nebeneffekt, sondern als eigentliche Konsequenz.
Ein Beispiel: Oma Erna, früher gern im Programmkino, ließ sich plötzlich Netflix vom Enkel einrichten (wenn der vorbeikommen durfte). Amazon, zuvor gemieden, wurde zur Notlösung, weil Elektrofachmärkte geschlossen blieben. Erna kochte zwar noch gern selbst, aber da auch Restaurants dicht waren, installierte sie schließlich Lieferando auf dem Smartphone – obwohl sie Bringdienste nie mochte.
Das Prinzip ist klar. Bei der Jugend zeigen sich andere Symptome: ein starker Anstieg von Pornokonsum, Dating-App-Nutzung, Smartphonesucht und exzessivem Gaming. 2020 wuchs die Gaming-Industrie um rund 20 Prozent – mit über 200 Milliarden Dollar Jahresumsatz ist sie heute der größte Entertainment-Sektor der Welt, noch vor Film, TV und Musik. Über die Hälfte des Umsatzes entfällt auf Mobile Games – also Candy Crush & Co.
Während der Lockdowns nahm problematisches Spielverhalten unter Jugendlichen stark zu. Die WHO hat „Gaming Disorder“ inzwischen in die ICD-11 aufgenommen, eine Krankheitsliste. In den USA gelten etwa 8,5 Prozent der 8- bis 18-Jährigen als spielsüchtig. Die Diagnose beschreibt ein „anhaltendes oder wiederkehrendes Spielverhalten, das die Kontrolle beeinträchtigt und Vorrang vor anderen Lebensbereichen bekommt“. Spielsucht geht oft mit Depression, ADHS, Angststörungen und sozialem Rückzug einher.
Die Spiele selbst sind suchtfördernd gestaltet: In-App-Käufe, Dauerverfügbarkeit und schnelle Dopaminausschüttung machen sie besonders riskant. In Asien ist zwanghaftes Gaming ein so großes Problem, dass gesetzlich vorgeschriebene Spielzeitlimits gelten – kontrolliert über Klarnamenpflicht und Gesichtsscans. In China dürfen unter 18-Jährige zum Beispiel nur drei Stunden pro Woche spielen.
Der Psychiater Alok Kanojia, selbst einst gamingsüchtig, hilft heute jungen Menschen auf YouTube – sein Kanal „Healthy Gamer GG“ ist der wohl größte zum Thema Videospielsucht. In einem seiner Videos beschreibt er, dass viele junge Männer sich inzwischen als Incels (unfreiwillig sexlos) fühlen und keine Perspektive sehen. Er zitiert eine Langzeitstudie aus der Zeitschrift Social Science & Medicine, die das risikobehaftete Verhalten Jugendlicher zwischen 1990 und 2019 untersuchte. Ergebnis: Tabak, Alkohol, Cannabis, früher Sex und Jugendkriminalität gehen deutlich zurück. Die Jugend ist braver geworden – weil sie weniger unstrukturierte, persönliche Zeit miteinander verbringt. Was das bedeutet? Junge Menschen gehen kaum noch raus, erleben wenig, treffen sich seltener spontan, nehmen seltener am Nachtleben teil. Das heißt auch: weniger Gelegenheiten, sich mit dem anderen Geschlecht auseinanderzusetzen, sich auszuprobieren, sich zu verabreden.
Heute ist klar: Die autoritären, teils menschenverachtenden Lockdowns hatten schwerwiegendere Folgen, als selbst pessimistische Kritiker ahnten. Sie haben nicht nur die Psyche vieler Menschen geschädigt, sondern auch eine Generation zurückgelassen, die beziehungs- und bindungslos aufwächst. Ihre sozialen Kontakte bestehen – im schlimmsten Fall – nur noch aus Influencern, Zocken und Pornos. Die Ambitionierteren tindern und schreiben online mit Gleichgesinnten. Doch viele glauben längst nicht mehr daran, je echte Freunde oder gar einen Partner zu finden.
Aron Morhoff studierte Medienethik und ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. In seiner Liveshow "Addictive Programming" geht es um Popkultur, Medienkritik und Bewusstseinserweiterung.
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