Ich bin heute in Saßnitz und nicht in Leipzig. An sich ist das keine Nachricht. Auf Rügen wohnen meine Eltern, die nicht jünger werden und sich freuen, ihren Sohn wenigstens ab und an zu sehen. Wenn sich das dann noch verbinden lässt mit einer Lesung in der Nähe – umso besser. In Leipzig dagegen, wo ich 14 Jahre gelebt und nicht nur die Geburt meines jüngsten Kindes erlebt habe, sind die alten Drähte inzwischen fast komplett gekappt. Es gibt ein paar neue, zu Beate Broßmann zum Beispiel, 1988 in meinem ersten Semester Philosophie-Dozentin, dann über 30 Jahre aus meinem Gesichtsfeld verschwunden und inzwischen regelmäßig hier am Buch-Tresen. Selbst Beate kommt heute aber mit nach Saßnitz.
Ich erzähle das, weil wir beide eigentlich in Leipzig sein müssten. Dort treffen sich an diesem Samstag die „Alumni-Generationen“ der Journalistik. Mag sein, dass sich Beate Broßmann dort nicht wirklich dazuzählt (sie hat ein anderes Fach studiert), aber bei mir steht diese Frage nicht. Mein akademischer Lebenslauf ist da eindeutig: 1988 Student an der Sektion Journalistik, 1992 Diplom, 1995 Promotion, 2001 Habilitation. In den 1990ern immer wieder Lehraufträge und nach der Berufung auf eine Professur an der LMU München 2002 lange weiter Gastauftritte.
Vor allem aber: Ich habe die Geschichte des Hauses dokumentiert und in etlichen Publikationen auch interpretiert und könnte das jetzt mit einem Link-Feuerwerk unterfüttern. Um den Werbeteil abzukürzen, soll hier ein Buch genügen. Ich weiß, dass das nicht jedem gefallen hat (vor allem Karl Friedrich Reimers nicht, der 1991 aus München als Gründungsdekan nach Leipzig kam, keinen Kratzer auf dem Lack seines Nachruhms duldet und folglich alles getan hat, um meine Arbeit zu diskreditieren) und vielen auch vollkommen egal ist. Was gestern war, ist vorbei, Michael. Lass uns nach vorn schauen.
Das Programm des Alumni-Treffens spricht eine andere Sprache. Gleich zwei Slots zur jüngeren Geschichte. „Zwischen Abwicklung, Hungerstreik und Neustart: Die Wende-Wirren in der Leipziger Journalistik“ und „Die Volontärswoche in Bad Saarow/Strausberg: Gesiebt nach fachlicher oder politischer Eignung?“ Auf den Podien Zeitzeugen erster Güte. Ich kenne fast alle, weil ich bei oder mit ihnen studiert und etliche auch zu ihrem Berufsleben interviewt habe. Daraus ergibt sich fast zwangsläufig die Frage, warum ich dort nicht sitze oder wenigstens moderiere. Ich neige normalerweise nicht dazu, auf den Putz zu hauen und mich selbst zu loben, aber an dieser Stelle muss das sein, weil es offenkundig Methode hat: Das Leipziger Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft ignoriert zentrale Arbeiten zu seiner Geschichte, die vor allem für die Zeit ab 1945 nirgendwo ein Pendant haben. Fast hätte ich geschrieben: Das hatten wir doch schon, aber ganz so schlimm war es in der DDR dann doch nicht.
Ich will nicht klagen. In Saßnitz wird ein großartiges Publikum sein. Menschen, die erst zuhören und dann fragen oder streiten wollen. Eine neue Universität, die überall im Land wächst und nicht nur den Leipziger Weisheitszahn bald überwunden haben wird.
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