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Medien-Tresen | 20.12.2024
Gedrucktes bleibt
Eine Lehre 2024: Die Druckerpresse hilft bei Zensur. Gegen Bücher und Zeitschriften gibt es keine EU-Gesetze. Sie funktionieren auch beim Blackout.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Am Wochenende habe ich eine neue Zeitung entdeckt. An einer kleinen Tankstelle im Nachbarkreis steckte ein Exemplar im Zeitungsständer. Sie will als Wochenblatt in die Lücke stoßen, die der fortwährende Abbau bei den Lokalredaktionen hinterlässt. Dass sie dafür noch schauen muss, wie sie sich von Tageszeitung und Anzeigenblatt abhebt, ist verständlich. Die Zeitung selbst, die mit nicht einmal 300 Abos startete, soll hier auch nicht Thema sein. Sie war nur der Anlass, über die Zukunft des gedruckten Wortes nachzudenken. Das echte gedruckte Wort auf Papier, versteht sich. Denn das mögen wir hier am Medien-Tresen nicht nur aus nostalgischen Gründen. Es ist – zumindest derzeit – noch relativ frei.

Die Zensur im Digitalkonzernstaat greift hier nicht. Zumindest nicht direkt, denn natürlich gilt auch auf dem Buchmarkt, dass die herrschenden Gedanken die Gedanken der Herrschenden sind. Angela Merkels Biografie auf eins, Yuval Noah Harari auf vier und Anne Applebaum auf fünf, dazwischen Hape Kerkeling und Elke Heidenreich: Die Bestsellerliste Hardcover im Bereich Sachbuch ist in Kalenderwoche 51 voll mit Mainstream. Ex-Kanzlerin, neue Mythen von Harari und Siegfriedenspreisträgerin. Das ist die eine Seite. Sie mag für alle frustrierend sein, die sich für die Aufklärung jenseits des Mainstreams einsetzen, recherchieren, schreiben.

Darauf genehmigen wir uns einen Kaffee. Heute wollen wir nüchtern bleiben, der Text ist es auch. Aber wir wollen nicht ernüchtern. Denn wir können auch konstatieren: Gedrucktes bleibt. Denken wir nur an die jüngste Archivlöschung bei Telepolis, die wir hier am Medien-Tresen quasi live miterlebt haben. Vormittags zitierten wir vor zwei Wochen noch aus einem Text aus dem Jahr 2016 von Ernst Wolff, mittags war er verschwunden. Wir änderten den Link des Wolff-Artikels, der auch anderswo erschienen ist, und merkten erst nach Veröffentlichung des Textes, welche Dimension die Sache bekam. Das Internet vergisst nämlich doch. Einiges mag archiviert sein, vieles aber ist für immer verschwunden. Nun auch viele Telepolis-Texte.

Das passiert mit gedruckten Werken nicht so leicht. Mindestens gibt es die Pflichtexemplare in der Nationalbibliothek, die von jedem Buch und jeder Zeitschrift abzuliefern sind. Sie sollen es auch späteren Generationen ermöglichen, auf heute niedergeschriebene Gedanken zurückzugreifen. Da kann dann ein Verlag nicht verlangen, dass die Werke vernichtet oder nicht mehr ausgegeben werden. Das zumindest ist derzeit die Praxis. Hoffen wir darauf, dass sich das nicht ändert. Sicher sein kann man sich nie, schließlich versehen mittlerweile öffentliche Bibliotheken hierzulande Bücher mit Warnhinweisen, wenn diese nicht dem Mainstream entsprechen. Norbert Häring berichtete von einem Fall, es ist zu vermuten, dass er nicht der einzige ist bzw. bleibt.

Aber wir driften schon wieder ins Depressive ab. Lieber noch einen Kaffee einschenken und weiter im Thema: Gedruckte Bücher, Zeitschriften und Zeitungen bieten heute noch am ehesten einen Schutz vor Zensur. Die Erfolge beispielsweise des Rubikon-Verlages in der Corona-Zeit mussten auch im Mainstream wahrgenommen werden. Schließlich kletterten seine Bücher reihenweise in der Bestsellerliste Sachbuch nach oben, in einem Fall sogar in die Jahresbestsellerliste 2021. Dazu kommt, dass Bücher in jeder Buchhandlung bestellbar sind. Zeitschriften wie Tichys Einblick oder auch das Magazin Hintergrund finden sich wiederum auch in Supermärkten, an Tankstellen, am Bahnhof oder im Kiosk.

Es kommt also nicht von ungefähr, dass sich erfolgreiche oppositionelle Medien auf den Buchmarkt wagen. Dem Beispiel Rubikon folgte nun auch Nachfolger Manova, dessen Gegendruck an eine klassische Vierteljahresschrift in Buchform erinnert. Auch Multipolar kündigte an, im kommenden Jahr erstmals ein Buch veröffentlichen zu wollen. Und bereits vor knapp zwei Jahren hat das Magazin Hintergrund ein Buchprogramm gestartet. Schließlich hat das Verbot des Compact-Magazins wohl auch deshalb solchen Wirbel erzeugt, weil es sich um ein gedrucktes Magazin handelte. Auch der Medienverband der freien Presse, die deutschen Zeitschriftenverleger, kritisierten den Vorgang als „rechtlich zweifelhaft“. Mittlerweile ist die offene Pressezensur durch die Hintertür des Vereinsrechts bis zum Hauptverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgesetzt.

Natürlich gibt es noch viele weitere Vorzüge des gedruckten Wortes. Als ich Anfang der Woche von Milosz Matuschek las, dass er jetzt unzensierbar sei, dachte ich an die aktuellen Probleme auf dem Strommarkt. Bücher lesen kann man auch bei Kerzenschein. Gedrucktes bleibt, wenn es denn ankommt. Zeitschriftenabos sind auf die regelmäßige Zustellung der Post angewiesen. Mindestens auf dem Land kommt die aber beileibe nicht mehr jeden Tag und die Verleger erleben laut eigenen Angaben bereits einen Abo-Rückgang aufgrund unregelmäßiger Zustellungen.

Das Loblied auf das Gedruckte bleibt also bei aller Nüchternheit (und auch wegen ihr) nicht ungetrübt in diesen Zeiten. Die Buchlektüre lohnt in jedem Fall. Michael Meyen hat am Nachbartresen ein paar Tipps zusammengestellt. Da bleiben uns am Medien-Tresen Zeit für einen weiteren Kaffee, ein gutes Buch (auf dem Tisch liegt unter anderem ein weiteres Werk zum Bauernkrieg vor genau 500 Jahren) und natürlich die besten Wünsche für das kommende Jahr.

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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