Am Tresen wird gerne gelacht. Denn nicht nur die Depressiven sitzen hier und schauen trübe ins Glas. Von ihnen gibt es angesichts deprimierender Zeiten vermutlich einige mehr als früher. Aber Trübsal wollen wir hier nicht blasen. Lieber kopfschüttelnd lachen über die Kollegen, wenn sie Überschriften raushauen, die wie Witze klingen. Zum Beispiel lasen wir diese hier: „Komplexe Antworten auf einfache Fragen“. Ein Gemeinplatz, gewiss. Für sich genommen nicht lustig. Aber die Zeile steht über einem Text des Hessischen Rundfunks über Anne Applebaum. Dabei bietet die gerade nur einfache Antworten auf komplexe Fragen.
Anne Applebaum steht für Waffen, Waffen, Waffen. Für die Kriege des US-Imperialismus, Interventionen, gewaltsame „Regime Changes“. Und für die Lügen, die zu ihrer Rechtfertigung erdichtet werden. Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz ernannte sie vor zwei Wochen zur „Super-Fälkin“ und empfand das Interview im eigenen Heft als „wuchtig“. Dort antwortete sie auf die Frage, welche Lösung sie angesichts des Vorrückens der Russen in der Ukraine vorschlage: „Wir gewinnen den Krieg.“ Einfache Antwort auf eine komplexe Frage. Vermutlich glaubt die Wuchtbrumme mit ukrainischer Panzerfaust in ihrer Warschauer Wohnung noch heute daran, dass die Belege für Massenvernichtungswaffen im Irak „unwiderlegbar“ seien. Das hatte sie Anfang 2003 in einem Leitartikel in der Washington Post behauptet. Nun hat sie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten.
Friedenspreis? Buchhandel? Die Russenhasserin Applebaum ist eine würdige Nachfolgerin des Russenhassers Serhij Schadan, der den Friedenspreis vor zwei Jahren nicht trotz, sondern gerade aufgrund seiner Kriegsrhetorik erhalten hat und von dem unter anderem bekannt ist, dass er mit der extremen Rechten in der Ukraine zusammenarbeitet. Später noch einmal mehr dazu, wo er sich jetzt herumtreibt. Zunächst zu Applebaum. Am Sonntag garnierte die Neokonservative ihre Rede in der Frankfurter Paulskirche mit jeder Menge Verweise auf die deutsche Vergangenheit. Nie wieder dürfe diese sich wiederholen, aber die Lehre daraus dürfe eben kein Pazifismus sein, sondern Krieg dem neuen Hitler in Putingestalt. Dazu ausgerechnet Rückgriffe auf deutsche Intellektuelle wie Thomas Mann und Carl von Ossietzky. Neben den Geistesgrößen erscheint sie mit ihrer platten Kriegsrhetorik wie ein zickiges Schulmädchen, mit dem niemand spielen will. Leider wollen das doch zu viele.
Applebaum hat dieses Jahr zudem den Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik bekommen. Das zeigt die völlige Kriegsverkommenheit des herrschenden Kulturbetriebs. Hartmut Donat schrieb zur Preisverleihung des Ossietzky-Preises im Blättchen: „Statt wie Ossietzky sich mit den tieferen Ursachen des Krieges zu befassen sowie jedwede Schwarzmalerei und Legendenbildung zurückzuweisen, folgt die Jury unkritisch den Verlautbarungen einer weitgehend gleichgeschalteten Öffentlichkeit. Sie merkt nicht einmal, dass sie Ossietzky in den Dienst einer Kriegspropaganda stellt und ihm einen Stahlhelm überstülpt.“ Ebenfalls im Blättchen fragte die Redaktion Anfang dieser Woche, warum Applebaum denn nur diese beiden Preise bekommen habe, „und der Friedensnobelpreis ging an irgendwelche Japaner, die Schiss vor Atomwaffen haben“.
Auch dem Feuilleton der Leitmedien ist nicht so ganz wohl mit dieser Preisträgerin. In der Süddeutschen Zeitung schrieb (Bezahlschranke) Sonja Zekri über Applebaum, sie sei ein Mensch, „an dem andere sich aufrichten können, und dies nicht trotz, sondern wegen ihres Schwarz-Weiß-Denkens, ihrer Tendenz zu widerspruchsfreien Geschichtsdeutungen und ihrer manchmal zweifelhaften Analogien.“ Zekri ist unwohl bei Applebaums stetigen NS-Vergleichen, kann sich aber ihrer Argumentation nicht entziehen. Patrik Bahners stellte für die FAZ heraus, dass es Applebaum vor allem darum ging, die allgemein anerkannten Lehren aus der deutschen Geschichte infrage zu stellen. Pazifismus habe gegen Hitler auch nicht geholfen. Deswegen habe Applebaum zum deutschen Begriff „Gleichschaltung“ gegriffen, als sie von „Russifizierung“ in der Ukraine sprach. Schließlich kritisierte Jörg Lau für die Zeit zwar auch, dass es sich Applebaum an einigen Stellen zu leicht mache und die grundlegende Änderung der deutschen Ostpolitik nicht sehe. Am Ende seines Textes steht dann aber: „Frieden sollte nicht zum Kampfbegriff verkommen.“ Nichts anderes ist er mit der Verleihung dieses Preises an Anne Applebaum.
„Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“ An dieses Zitat aus George Orwells 1984 fühlte sich Kontrafunk-Redakteur Colin MacMahon angesichts der Verleihung des Preises an Applebaum erinnert. Schließlich sei sie „eine der schlimmsten Kriegstreiberinnen des US-Staatsapparates und Wortführerin der Nato-Thinktank-Zensur-Blase“. Muss noch erwähnt werden, dass Applebaum in Frankfurt Orwell zitierte? Die Verwirrung ist so komplett, da braucht es auch keinen erhöhten Pegel nach ein paar Halben und Kurzen mehr, um die Wirklichkeit nur noch verschwommen wahrzunehmen. Am Tresen bleiben wir vorerst nüchtern und greifen zum Beruhigungstee. Denn wenn man denkt, tiefer sinken geht nicht mehr, dann kommt eine Politikerin der Linkspartei daher. Diesmal in Gestalt von Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke.
Diese freute sich nach der Preisverleihung in Frankfurt darüber, dass die Preisträgerin Applebaum diese Woche noch einen Abstecher nach Leipzig machte. Und sie erinnerte laut Leipziger Volkszeitung daran, dass vor zwei Jahren auch Preisträger Schadan dort war. Mittlerweile „dient“ dieser an der Front „und aus der Ferne können wir nur hoffen, dass es ihm gutgeht. Und allen Menschen einen sicheren Frieden wünschen". Einen sicheren Frieden? Da haben wir ihn wieder, den Frieden als Kampfbegriff. Diesmal aus dem Mund einer „Linken“.
Jennicke lobte dann noch an Applebaum, dass diese vor autoritären Strukturen warne (oder was sie dafür hält, aber das sagte die „Linke“ nicht). Es sei „an uns, Ihnen zuhören. Und es ist auch an uns, die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Und das nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln. Dafür scheint Applebaum da zu sein. Sie soll die Deutschen geschlossen an die Seite der Kriegstreiber von Übersee holen. Waffen, Waffen, Waffen. Beim Börsenverein, der HR-Redaktion, der Leipziger Kulturbürgermeisterin und einigen mehr scheint die Botschaft angekommen. Darauf müssen wir dann doch noch einen trinken und greifen aus aktuellem Anlass zum hessischen Nationalgetränk – dem Apfelwein.
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.