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Medien-Tresen | 06.12.2024
Empörung statt Journalismus
Wir ahnten es, jetzt aber gibt es eindeutige Belege: Hinter aufsehenerregenden Recherchen steckte die US-Regierung. Der NDR ließ lieber die Finger weg.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Die Wahrheit könnte die Menschen verunsichern. Nach dieser Maßgabe agiert der Mainstream. Die wirklich Verantwortlichen und die ökonomischen Grundlagen der Krise bleiben außen vor. Man berichtet über Missstände, das ja, aber wer und vor allem welche Interessen dahinterstehen, das bleibt unklar. Fragen danach werden oft sogar verbrämt. Nur Verschwörungstheoretiker sähen hinter allen Problemen dunkle Mächte, das ist im Mainstream ein Gemeinplatz. Am Medien-Tresen geben wir auf solch Gerede nicht viel, schließlich wissen wir zum einen, dass es Verschwörungen noch und nöcher gab und gibt. Zum anderen haben sich viele Theorien am Ende bewahrheitet. Und wir kennen außerdem die verschiedenen Techniken des „Meinungsmanagements“, wie Rainer Mausfeld einen Teil der subtilen Form der Propaganda bezeichnet, die wir heute erleben.

Auf Mausfeld kommen wir noch zurück. Zunächst zum aktuellen Thema. Konnte man bislang nur vermuten, dass hinter den „Enthüllungen“ wie den Panama oder Pandora Papers handfeste Interessen des Westens stecken, so sind die Verbindungen zwischen Rechercheuren und der US-Regierung nun eindeutig nachgewiesen – inklusive Vorgaben, gegen wen zu recherchieren ist und wo die Journalisten lieber ein Auge zudrücken sollen. Das haben Entscheidungsträger beider Seiten, von den US-Regierungsstellen und dem betroffenen Rechercheverbund, vor laufender NDR-Kamera gesagt. Eine gute Zusammenfassung der Geschichte nebst diverser Links gibt es bei den Kollegen von Multipolar. Auch die Nachdenkseiten, Norbert Häring und die Berliner Zeitung berichten über den Fall.

Besonders pikant ist, dass der NDR die Recherche zwar angestoßen und weitere Medien beteiligt hatte, sich dann aber im Oktober zurückzogen hat. Das Thema sei nicht relevant genug, haben leitende Mitarbeiter der französischen Website Mediapart geschrieben. Mediapart gehörte zu den Medien, die der NDR beteiligte. Nachdem sie vom Rückzug erfahren hatten, konfrontierten Mediapart-Reporter den NDR mit kritischen Fragen. Die Journalisten aus Frankreich fanden das Thema durchaus höchst relevant. Wir am Medien-Tresen übrigens auch, wie sie gerade merken. Der NDR hat übrigens in seiner Antwort an Mediapart um Vertraulichkeit gebeten. Die Wahrheit könnte die Menschen verunsichern. Mediapart hielt sich aber nicht an die Vorgabe und veröffentlichte Auszüge aus dem Schreiben der NDR-Oberen.

Worum geht es nun genau? Zwei NDR-Reporter haben seit Anfang 2023 die Hintergründe der Investigativjournalismus-Organisation „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) durchleuchtet. OCCRP sagt Ihnen nichts? Uns am Medien-Tresen war die Organisation bislang auch unbekannt, wir kannten eher das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), das wiederum gemeinsam mit dem OCCRP unter anderem für die Recherche rund um die Panama Papers und die Pandora Papers verantwortlich war. Uns war damals schon aufgefallen, dass diese Recherchen deutlich Schlagseite hatten. Werner Rügemer schrieb nach den ersten Berichten über die Pandora Papers 2021 für die Nachdenkseiten:

Ganz besonders konzentriert sich bisher die leitmediale Darstellung auf einen ganz besonderen, winzigen Ausschnitt: „Enge Freunde Putins“ sind die Bösewichte in der Pandora-Inszenierung. Sie benutzen Briefkastenfirmen in Finanzoasen! Finanzoasen, die seit Jahrzehnten zum System des US-geführten westlichen Kapitalismus gehören.

Wer war nicht dabei?

Es fehlen in der aufwendigen Pandora-‚Enthüllung‘ nicht nur die wichtigsten Finanzoasen und die Unternehmen und Banken, sondern auch die heute führenden Investoren, Kapitalorganisatoren und Vermögensverwalter, denen die wichtigsten westlichen Unternehmen und Banken gehören.

Mathias Broeckers ging davon aus, dass hinter den Pandora Papers eine Geheimdienstoperation stand und dass die Daten von der NSA abgesaugt wurden. Fünf Jahre zuvor schrieb Ernst Wolff über die Panama Papers, die ebenfalls Steueroasen durchleuchteten (minus unter anderem Joe Bidens Heimatbundesstaat Delaware):

Bei näherem Hinsehen stellt man allerdings fest, dass die Auswahl an Steuersündern zum einen recht einseitig ausfällt und zum anderen außergewöhnlich gut in das Konzept der US-Regierung passt. So werden bisher nicht bestätigte Vorwürfe gegen das Umfeld von Wladimir Putin und die Tochter des chinesischen Ex-Präsidenten erhoben, während man unter den aufgeführten Steuersündern bislang vergeblich nach einem einzigen US-amerikanischen Staatsbürger sucht.

Das hat einen Grund und auch wenn wir es längst ahnten, genehmigen wir uns zunächst einmal ein kühles, herbes Holsten vom Fass. Denn mit einem am Tresen frisch Gezapften wird zwar die Welt nicht besser, aber besser erträglich. Und nun weiter: Durch die Finanzberichte des OCCRP war bereits bekannt, dass das Budget dieser Organisation zu großen Teilen von der US-Regierung stammte (ein weiterer Geldgeber sind die Open Society Foundations von George Soros). Angeblich geschah dies, ohne dass die Regierung Bedingungen stellte. Das aber war gelogen. Die US-Entwicklungshilfeagentur USAID, über die die Zahlungen abgewickelt wurden, hatte ein Mitspracherecht beim jährlichen Arbeitsplan und bei der Ernennung von Schlüsselpersonal. Das wurde den NDR-Reportern bestätigt, heißt es.

Ein Medienmacher aus Südamerika, der zum Verbund gehört, sagte Mediapart zudem, dass OCCRP ansonsten subtil vorgehe und dafür sorge, dass die USA gut dastünden.

Die US-Regierung ist nicht nur von der OCCRP-Berichterstattung weitgehend unbeeinflusst, sondern sie steuert die Berichterstattung der NGO, indem sie Mittel bereitstellt, die das OCCRP für Berichte verwenden muss, die sich auf bestimmte Länder beziehen. Dazu gehören Russland und Venezuela.

Konkret überwies das US-Außenministerium zwischen 2015 und 2019 gut 2,2 Millionen Dollar an OCCRP, um ein „Gleichgewicht im russischen Mediensystem“ herzustellen. Mehr als 170.000 Dollar gab es, um in Venezuela Korruption aufzudecken. Die Recherche enthält viele solcher Details, wer es genau wissen will, kann entweder bei Mediapart oder auch bei den Kollegen aus den USA von Drop Site News nachlesen.

Wenn dann ein Reporter wie John Goetz vom NDR die Mechanismen aufdeckt, wird ihm (vom OCCRP-Chef Drew Sullivan) vorgeworfen, dass er ein russischer Agent sein könnte. Multipolar fragte nach, die NDR-Pressestelle antwortete: Goetz wolle sich derzeit nicht dazu äußern. Stattdessen gab es einen längeren Text bei Zapp, dem Medienmagazin des NDR, das nach eigener Aussage nicht an der Recherche beteiligt war. Am Schluss wird dort unter anderem der Politikwissenschaftler Leonard Novy zitiert, der „öffentliche Förderung“ von Medien angesichts der „existenziellen strukturellen Herausforderungen, vor denen der Journalismus steht“, durchaus für notwendig erachtet. Sie müsse aber „intelligent und transparent“ eingesetzt und nach klaren Kriterien vergeben werden. Oder man lässt sich nicht erwischen. Dumm gelaufen, OCCRP.

Bevor wir uns ein weiteres Holsten genehmigen, treten wir noch einen Schritt zurück. Warum das alles? Klar: Die USA sollen gut dastehen, wir sind die Guten, die Bösen immer die Russen. Mit vermeintlich unabhängigem Journalismus kann man da punkten. Dazu ist das Ganze ein willkommenes Gegengewicht zu Wikileaks, einer Plattform, die vor dem Unappetitlichen der US-Regierung nie Halt gemacht haben. Rainer Mausfeld hat in seinem Bestseller „Warum schweigen die Lämmer?“ und in vielen Vorträgen Soft-Power-Techniken beschrieben, mit denen die Meinung und damit die Demokratie gesteuert werden. Dies können wir hier nicht alles ausbreiten, die Lektüre seiner Bücher oder auch das Anschauen seiner Videos (unter anderem in der ARD-Mediathek) seien an dieser Stelle empfohlen.

Zum Abschluss unseres heutigen Blicks vom Tresen auf die Medienwelt soll gleichwohl ein Zitat von Mausfeld zu den NGOs stehen, die wie die OCCRP direkt von der Machtelite finanziert werden. Deren Funktion sei es, die Partizipationsbedürfnisse der Bürger oder auch die Empörung aufzugreifen und die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Wurzeln der Probleme abzuleiten.

Das gelingt umso besser, je wirksamer die politischen Funktionen derartiger NGOs im Kontext hegemonialer US-Interessen durch zivilgesellschaftliche oder philantropische Ziele oder andere Formen eines politischen oder gesellschaftlichen Samaritertums verdeckt werden,

schreibt Mausfeld in „Warum schweigen die Lämmer“ (S. 88). Wenn dann auffällt, dass investigative Recherchen von OCCRP und Co. in Wahrheit nur dem Empörungsmanagement dienen, um ein weiteres Mausfeld-Wort aufzugreifen, dann gibt es ein Problem: Die Wahrheit könnte die Menschen verunsichern. Darauf genehmigen wir uns noch ein Holsten. Herbes Pils, das Beste am Norden. Prost!

Nachtrag: Ohne es zu wissen oder gar zu wollen, wurde diese Medienkolumne Zeuge einer Selbstzensur. Den Artikel von Ernst Wolff lasen wir bei Telepolis. Am Donnerstagvormittag. Bei der redaktionellen Überprüfung am Mittag war er weg. „Dieser Text wird von der Heise Medien GmbH & Co. KG nicht weiter zur Verfügung gestellt“, hieß es nun kryptisch. Wolff hatte ihn auch anderswo veröffentlicht, deswegen konnten wir den Link verändern. Aber was hinter der Löschung steht, hätte einen eigenen Text am Tresen verdient. „Qualitätsoffensive: Telepolis überprüft historische Artikel“, schreibt Chefredakteur Harald Neuber einige Stunden nach der Archivlöschung. Die Geschichte des Magazins wird nun gefiltert nach Qualitätskriterien, die sich heute jemand ausdenkt. Ganz im Sinne von Orwell wird also die Geschichte an der aktuellen Version der Wahrheit abgeglichen. Gute Nacht, Telepolis.

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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