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Meyen am Tresen | 07.06.2025
Zirkus Journalismus
War früher alles besser? Sogar in der DDR? In der Manege ist das keine Frage. Matthias Krauß sagt: Selbst die Parteipresse lohnt sich heute wieder.
Text: Michael Meyen
 
 

Es ist merkwürdig, wie sich die Dinge manchmal fügen. Himmelfahrt bin ich mit den beiden größeren Enkeln, 2 und 4, in einen Zirkus gegangen. Wir mussten ein wenig suchen, okay, haben das Zelt aber irgendwann entdeckt am Ufer des Regen. Ich könnte schreiben: klein, aber fein, so richtig trifft es das jedoch nicht. Klein schon. Ich will hier auch nicht schimpfen, weil sich die Zirkusfamilie alle Mühe gegeben hat, einen preisgekrönten Artisten dabeihatte (Silberner Clown in Monte Carlo) und sogar reichlich Tiere in die Manege brachte. Vier Araberpferde, zwei Dromedare, einen Esel und Ziegen.

Dann aber kamen die Katzen. Richtig gelesen. Katzen dort, wo es Tiger, Löwen, Bären gegeben hat, als ich selbst noch ein Kind war. Ich meine gar nicht die großen Zelte in der DDR, Berolina, Busch oder Aeros. Diese Riesen verirrten sich nicht in einen Badeort auf Rügen. Die Wiese gleich hinter unserem Haus gehörte ab Anfang der 1980er Rüdiger Probst, alle paar Jahre wieder. Ein junger Mann, der gar nicht so viel älter war als ich, keine Angst vor großen Tieren hatte und mit einem Salto von Pferd zu Pferd sprang. In einem kleinen Zirkus wie gesagt, für ein paar Groschen und meist vor vollem Haus. Mit den Enkeln hatte ich jetzt allen Platz der Welt und hinterher ein leeres Portemonnaie. Sieben Euro allein für Popcorn (es gab nur eine Tütengröße) und fünf (freiwillig) für ein paar Möhrenstücke, damit die Kinder in der Pause was zum Füttern in der Hand hatten.

Am Abend dann das neue Buch von Matthias Krauß. „Die falschen Fragen gestellt“. Ich habe mich ein wenig gewundert, als das Paket im Kasten lag, weil der Autor vor gar nicht allzu langer Zeit einen „einseitigen Waffenstillstand“ ausgerufen hatte und Schluss machen wollte mit seinem Kampf gegen die „Aufarbeitungsindustrie“ und mit der Verteidigung der DDR. Ich zitiere einfach aus meiner Rezension von 2019:

Matthias Krauß, 1960 in Hennigsdorf geboren, weiß natürlich, was da alles im Argen lag. Er hat selbst an der Sektion Journalistik studiert und in den späten 1980ern noch ein wenig für die Parteipresse gearbeitet. „Apologetisch“, sagt er. Vor allem Innen- und Wirtschaftspolitik. Sein Aber: erstens die Kultur. Begegnungen vor allem mit dem, was in Osteuropa so an Filmen, Serien, Kunst produziert wurde. Punkt zwei: „der einfache Mensch“. „Ungleich häufiger“ im Bild als heute. Und drittens „gab es eine prinzipielle und grundsätzliche Kritik“ am Westen und am Kapitalismus.

Der Zirkus am Ufer des Regen. Ein totes Pferd soll man nicht reiten. Deshalb tauche ich ein in ein Buch, das etwas schafft, was selbst ich nicht für möglich gehalten habe. Matthias Krauß singt ein Loblied auf den DDR-Journalismus, ohne dass es peinlich wird. Er bleibt dabei ganz bei sich – bei der Mappe mit Zeitungsausschnitten, die er als Schüler angelegt hat, bei den Aktbildern im Magazin, das sein Vater abonniert hatte und das dem Sohn auch jenseits der Erotik ganze Welten öffnete, bei einem Porträt, das ihm die Lokalzeitung 1977 widmete.

Das Schöne ist: Matthias Krauß hat das alles aufgehoben und darf jetzt als reifer Mann zurückschauen – als Journalist, der später auch die andere Seite erlebt hat, folglich vergleichen kann und vor allem niemandem mehr nach dem Mund reden muss. Die „Qualität der Bilder“, okay. Eher „Kartoffeldruck“ als Zeitung. Die immer gleichen alten Männer, klar. Die Grenzen, die jedes Parteiorgan hat und die auch ein junger Mann wie Krauß schon zu spüren bekam. Aber eben auch Texte, die nah dran waren am Leben (vor allem an der Arbeit) und ihre Leser ernst nahmen. Matthias Krauß ist nach dem Studium 1986 Redakteur der Jugendseite des Potsdamer SED-Blatts geworden und ruft den Journalismusforschern heute zu: Vergleicht doch einfach die Bravo mit dem Neuen Leben, einer Zeitschrift, die damals sein Leitstern war und immer ausverkauft. These von Matthias Krauß: Das Neue Leben

war vielseitiger, anspruchsvoller und in jeder Hinsicht höherwertiger als die Bravo-Post, mit dem endlos einfältigen Star-Rummel, den auf Kauf und Konsum orientierten Modetipps, dem Klatsch und Abklatsch und den klischeehaften Rollenbildern – Ausdruck des insgesamt unpolitischen Grundanspruchs. Nun gut, aus exakt diesem Grund wird dieser Vergleich wohl niemals stattfinden. (S. 103)

Matthias Krauß hat ein kaum zu schlagendes Argument auf seiner Seite: Er, der SED-Propagandist, hatte nach 1990 schnell wieder das Vertrauen des Publikums, das er „bei Lichte besehen“ vielleicht gar nicht verdiente, aber allein wegen seiner Herkunft bekam (S. 116). Und: Er kann sogar jemanden zitieren, der die Ernte-Berichterstattung vermisst, Hassobjekt von Lesern wie von Journalisten – einen Landwirt aus dem Westen, der dort sehen konnte, wie weit die Kollegen waren, was sie wie machten und wie sie auf das Wetter reagierten (S. 166).

Ich gebe zu: Ich habe eine Schwäche für autobiografische Texte. Solche Bücher erlauben mir, all das mit Leben zu füllen, was in den Akten bald zu Staub zerfällt. Ich habe ein Fußballregal (gleich zweimal Lothar Matthäus!), eine DDR-Abteilung, Erinnerungen von Wissenschaftlern und natürlich Journalisten. Da längst nicht jeder schreibt, der etwas zu sagen hat, helfe ich immer wieder nach und sammle als Interviewer Lebensgeschichten ein. Matthias Krauß dürfte einer der ersten ostdeutschen Medienmenschen aus der Geburtskohorte um 1960 sein, der sich öffentlich äußert und dabei nicht einfach das nachbetet, was ohnehin schon überall steht.

Das gilt auch jenseits des Themas Journalismus. Der Wehrdienst, für mich bis heute ein Albtraum, wird von Matthias Krauß als „Entscheidung für eine Art persönlicher Freiheit“ interpretiert (S. 43). Mit 18 unabhängig sein von den Eltern und dann auch ohne Geldsorgen studieren können. Leipzig war für ihn in den 1980ern nicht nur Uni-Standort, sondern auch „Messestadt“ und damit „Weltstadt“ (S. 50). Und der Aufregung um jede DDR-Exmatrikulation, die er keineswegs schönredet, werden „die Millionen Opfer der Demokratisierung“ gegenübergestellt und das laute gesamtdeutsche Schweigen nicht nur in diesem Punkt (S. 58).

Was das alles mit dem Zirkus zu tun hat? Matthias Krauß hat in der DDR das Motto für sein Leben als Journalist gefunden – bei der Arbeit mit einem Parteisoldaten, der einfach nicht rauswollte aus dem Korsett, das die Genossen über sein Leben geworfen hatten.

Ja, sagte ich mir, stelle immer die falschen Fragen. (S. 153)

In Sachen Zirkus liegen alle Antworten auf dem Tisch. Meine Trauer habe ich schon vor mehr als zehn Jahren verarbeitet. Mal schauen, was die Enkel eines Tages dazu sagen.

Bildbeschreibung

Matthias Krauß: Die falschen Fragen gestellt. Journalist in zwei deutschen Staaten. Berlin: Das Neue Berlin 2025, 189 Seiten, 18 Euro.

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