F550de2327ad87cc52480509b7f92931
Oben & Unten | 05.03.2025
Von den Schwulen lernen
Ständig werden neue Begriffe als diskriminierend bezeichnet. Sachliche Argumente bleiben meist fruchtlos. Wir brauchen die Hilfe der Betroffenen.
Text: Axel Klopprogge
 
 

„Ober-iiiiiii!“ – so wollte ein Chor den „Oberindianer“ in Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ anpassen. Als Bettina Jarasch, die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen 2021, nach ihrem kindlichen Berufswunsch gefragt wurde, antwortete sie: „Ich wollte lange Zeit Indianerhäuptling werden.“ Dies löste Empörung aus – nicht bei Indianern, sondern bei den Grünen. Jarasch entschuldigte sich, und die Stelle wurde aus der Dokumentation des Parteitages herausgeschnitten. Gott sei Dank war ich als Kind Zorro und Old Shatterhand, so dass ich die alten Fotoalben nicht überarbeiten muss.

Seit 60 Jahren hängt ein Bild von August Macke im Münchner Lenbachhaus. Es entstand 1911 und trägt den Titel „Reitende Indianer beim Zelt“. Auf der Infotafel wurde das Wort „Indianer“ durch „I*******“ ersetzt. Der Titel spiegele die teilweise herabwürdigenden, sogar rassistischen Elemente des damaligen Zeitgeistes wider. Man habe, so der Museumsdirektor, damit zu rechnen, „dass Menschen vor diese Bilder treten und sich daran erinnert fühlen, was mit ihren Vorfahren passiert ist“. Man hätte allerdings auch die Ureinwohner selbst fragen können, die sich in der Native American Association of Germany organisiert haben: „Das Wort ‚Indian‘ als rassistisch zu bezeichnen, ist sehr problematisch, da es von vielen Native Americans verwendet wird. Ein Verbot ist ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen, denn sie identifizieren sich mit ihrer Tribal Nation oder Community.“

In meinem Bücherregal entdeckte ich neulich eine Kurzgeschichtensammlung von James Baldwin, erschienen 1972 in der DDR. Im Klappentext wird Baldwin als „einer der prominentesten und profiliertesten Negerschriftsteller der USA“ bezeichnet. Ich brauche nicht zu wiederholen, dass weder die „Negerküsse“ noch Pippi Langstrumpfs „Negerkönig“ so hießen, wenn das Wort eindeutig negativ belegt gewesen wäre. Nun kann man im heutigen Sprachgebrauch gewiss auf das Wort „Neger“ verzichten. Aber muss man es aus historischen Büchern oder Filmen verbannen, auch aus solchen, die seine Verwendung dokumentieren wollen? In seiner berühmten Rede „I Have a Dream“ verwendete Martin Luther King fünfzehn Mal das Wort „Negro“. War er deshalb ein Rassist? Muss man deshalb etwas herausschneiden?

Erst recht gilt dies für das Wort „Mohr“, das altertümlich, aber nicht „rassistisch belegt“ ist, wie es nebulös heißt. Viele Apotheken heißen „Mohrenapotheke“ aus Respekt vor den Leistungen der Mauren in der Pharmazie. Weder der Mohrenkopf noch maurische Kunst oder das Land Mauretanien wollen jemanden abwerten. „Der Mohrenkopf wies im Mittelalter diejenigen Häuser aus, die als Fürstenherberge dienten. Außerdem galt er als besonderes Zeichen für eine hervorragende Küche und eine zuvorkommende Bewirtung.“ An diese Tradition wollte der schwarze Restaurantbesitzer Andrew Onuegbu anknüpfen. Das hinderte aber Aktivisten nicht daran, ihn deshalb anzugreifen, auch dann noch, als sie zu ihrem Erstaunen erfuhren, dass der Schwarze keine Küchenhilfe, sondern der Besitzer war. „Der Name muss sofort verschwinden! Das darf man in Deutschland nicht mehr verwenden! Das ist rassistisch!“ Daraufhin erwiderte Onuegbu: „Das, was Sie gerade hier gemacht haben, das nennt man puren Rassismus. Denn Sie haben nicht geglaubt, dass ein schwarzer Mann der Inhaber sein kann.“ Und ähnlich wie die Indianer sagte Onuegbu: „Ich brauche keine Weißen, die mir sagen, wann meine Gefühle verletzt sind.“

Im Auswärtigen Amt beschloss man, eingebürgerte Ortsnamen wie „Kiew“ durch Zungenbrecher wie „Kyjiw“ zu ersetzen. Darf man nur mit der Bezeichnung benannt werden, die man selbst verwendet? Dürfen also die Franzosen und Spanier nicht mehr Allemagne oder Alemania sagen, die Osteuropäer uns nicht mehr Sachsen und die Engländer uns nicht mehr Germanen nennen? Wird es nicht Zeit, dass auch wir empört und beleidigt sind? Sollten wir nicht generell verbieten, dass es neben dem Selbstbild noch ein Fremdbild gibt?

In der Nazizeit wurde „Jude“ zum Schimpfwort schlechthin. Aber selbstverständlich haben sich die Juden weiter so genannt. „Schwul“ war seit jeher ein abwertender Begriff. Und dann genügte 2001 der Satz „Ich bin schwul und das ist gut so“, um das Wort umzuwerten und zu einer stolz getragenen Selbstbezeichnung zu machen. Schon 1980 nannte sich eine schwule Band „Brühwarm“. Von den Schwulen lernen, heißt siegen lernen! Deshalb, liebe First Nations, Native Americans, People of Color, Sinti und Roma, erlöst uns von den Blöden! Bitte nennt euch Indianer, ladet uns ein zu Indianerfreizeiten und schließt mit uns Blutsbrüderschaft. Bitte eröffnet Mohrencafés, in denen es zum Nachtisch Mohrenköpfe und Lumumba gibt. Bitte nennt eure Restaurants „Zum Zigeunerbaron“ und unterhaltet uns mit Zigeunerjazz zum Zigeunerschnitzel. Wir würden euch dafür lieben! Dann könnten zur Linderung des Arbeitskräftemangels tausende selbsternannte Tugendwächter einer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit zugeführt werden. Zum Beispiel als Tellerwäscher im Mohrencafé.

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Ende 2024 hat er eine Textsammlung mit dem Titel "Links oder rechts oder was?" veröffentlicht. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.

Oben & Unten

Kolumnen

Berichte, Interviews, Analysen

Michael Meyen: Videos

Freie Akademie für Medien & Journalismus

Unterstützen

Bildquellen: Alexander Stein @Pixabay