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Meyen am Tresen | 24.11.2025
Texte aus der Wirklichkeit
Axel Klopprogge hat aus den Texten für die Kolumne Oben & Unten ein Buch gemacht. Ich erzähle hier die Geschichte hinter der Geschichte.
Text: Michael Meyen
 
 

Wie kommt Axel Klopprogge zur Freien Akademie für Medien & Journalismus? Wie findet ein Manager und Unternehmensberater einen Forscher, der in einem ganz anderen Feld unterwegs ist und sich dort seit geraumer Zeit eher an den Rändern herumtreibt – mit Themen und Positionen, die seine Kollegen so sehr stören, dass sie den Streit aus dem universitären Rahmen in die große Öffentlichkeit tragen? Vielleicht ist es genau das: die Lust an der Auseinandersetzung und die Angst vor geistiger Trägheit.

Bildbeschreibung Bild: Axel Klopprogge (rechts) im Januar 2025 beim Premierengespräch für unseren Kanal

Am Anfang stehen ein gemeinsamer Schützling und eine Genderdebatte in der Kommunikationswissenschaft. Der Schützling, eine junge Frau, zweifache Mutter, CSU-Lokalpolitikerin, ist hier Mentee und dort Doktorandin. Sie weiß, dass ihre beiden Ratgeber manche Dinge ganz ähnlich sehen. Und sie erzählt Axel Klopprogge von einer bizarren Debatte in der DGPuK, der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, die sich gerade über einen Aufsatz in ihrem Zentralorgan Publizistik zerlegt. „Gender-Stern und Binnen-I“, geschrieben von Rudolf Stöber, Lehrstuhlinhaber in Bamberg, Jahrgang 1959, veröffentlicht im „Forum“ der Zeitschrift und folglich zu verstehen als Einladung zum Widerspruch. Stattdessen gibt es helle Empörung und einen offenen Brief, der den Publizistik-Herausgebern „redaktionelles Versagen“ vorwirft und Stöbers These, von ihm formuliert im Untertitel, unfreiwillig bestätigt. „Zu falscher Symbolpolitik in Zeiten zunehmenden Illiberalismus“ steht dort im Dezember 2020. Knapp die Hälfte der DGPuK-Mitglieder unterschreiben den „offenen Brief“ – gut 400 Wissenschaftler, darunter Dutzende Professoren. Die Fachgesellschaft öffnet auf ihrer Webseite ein Forum, in dem Rudolf Stöber geschlachtet wird und auch die Zeitschrift ihr Fett wegbekommt. Selbst die FAZ berichtet.

Für mich heißt das: Ich muss eigentlich etwas schreiben. Mein Blog Medienrealität, gestartet 2017, bietet neben Rezensionen, Analysen und Veranstaltungen mit Publikum auch die Rubriken „KW Inside“ und „Uni Inside“. KW steht für Kommunikationswissenschaft, und dort passiert etwas, was geradezu nach einem Kommentar ruft. Nur: Will ich das? Schon wieder? Ich habe gerade mit viel Mühe einen Burgfrieden ausgehandelt, nachdem das Institut sich im Mai öffentlich von mir distanziert hatte. Anlass: meine Kritik am Corona-Journalismus, der von Anfang an Propaganda für die Regierungsposition war und nichts von dem geliefert hat, was uns nicht nur in Sonntagsreden versprochen wird, vor allem keine Vielfalt und keine offenen Debatten. Nun also das Gendern. Neues Thema, alte Leier. Also wieder Ärger auf dem Flur. Ich weiß noch, wie froh ich über die Mail von Axel Klopprogge war. Er habe da mal etwas vorbereitet, was ich gern auf meiner Seite veröffentlichen könne. Eine Überschrift von mir („Gendern mit der DGPuK“), drei Links zum Kontext. Und dann kann ich jemanden sprechen lassen, der nicht so leicht einzuordnen ist in eine der üblichen Schubladen, weil er sich als Geschichtswissenschaftler vorstellt, ausgewiesen in der Genese der europäischen Universitäten, sowie als „Personalchef großer Unternehmen“ und weil er mit einer Bildung und mit einer Eloquenz argumentiert, die in meiner akademischen Disziplin rar sind und allenfalls zu finden bei eingewanderten Historikern wie Rudolf Stöber.

Ich habe den Text von Axel Klopprogge, veröffentlicht am 24. Februar 2021, jetzt noch einmal gelesen und dort viele der Punkte gefunden, die uns in den nächsten drei Jahren bei langen Spaziergängen im Englischen Garten beschäftigt haben:

  • Peter Abailard natürlich und seine Diskursregeln: „Niemand kann widerlegt werden außer aufgrund des Zugestandenen, und er darf nur durch das überzeugt werden, was er annimmt“;
  • die Cancel Culture, wieder im Zitat: „Das Canceln gilt offenbar nicht der einen oder anderen These, sondern der Vernichtung der Person, des nicht mehr Publizierens, nicht mehr zu Tagungen eingeladen zu werden, der Verweigerung von Fördermitteln. Und bei jeder Google-Suche wird der Begriff ‚umstritten‘ auftauchen, da ja offenbar nur noch Unumstrittenes Platz hat“;
  • die Gendersprache als „Kandidat für das Museum of Failure“;
  • die Gefahren für die offene Gesellschaft, die (frei nach Umberto Eco) nicht von den Bösen ausgehen, sondern von den Guten;
  • der blinde Faschismus-Fleck („wenn 86 Professoren es vermutlich sogar als Bestätigung ansehen, dass sie so viele sind und im Gleichschritt auftreten – dann müssten doch irgendwann alle Alarmglocken klingen, auch ohne Fackelzüge von schwarzen, braunen oder blauen Hemden“) und nicht zuletzt
  • die Aufforderung, einen Realitätscheck zu machen: „Waren diejenigen, die Gendersprache in aller Konsequenz betreiben, in den letzten Jahren in einer Werkshalle, in einer Straßenbahn, auf einem Gemüsemarkt, in einer Großküche, einem Pflegeheim, auf einem Campingplatz, auf einem Fußballplatz oder in einer Kneipe und haben dort mit Menschen gesprochen?“

Axel Klopprogge hat auf unseren Wegen durch das grüne München immer auch Ideen und Verknüpfungen für neue Texte getestet. Es war dann fast folgerichtig, dass einige dieser Texte auf der Webseite der Freien Akademie für Medien & Journalismus erschienen sind, die meine Frau Antje und ich im Herbst 2022 gestartet haben. Diese Webseite war eigentlich als Mittel zum Zweck gedacht. Wir wollten jungen Leuten das Handwerkszeug für einen Journalismus mitgeben, der beobachtet, fragt und liest, bevor er urteilt. In Kurzform: Recherche statt Haltung. Weg vom Bildschirm, raus in die Wirklichkeit. Unsere Studenten waren beim Eishockey, auf Demos, in der Schule. Eine Frau ist einen Tag mit einer Hebamme mitgegangen, und ein Mann hat die Bauernhöfe in seiner Umgebung abgeklappert. Unser Credo: Haltet die Augen offen und redet. Dann habt ihr Themen ohne Ende. Ich könnte jetzt erzählen, wie schwierig das mit Menschen ist, die in und mit dem Handy leben, aber das ist eine andere Geschichte. In dieser hier liegt der Link zu Axel Klopprogge auf der Hand: Wir hatten ein Portal, und er hatte Stoff. „Masse ohne Klasse“, sein erster Text, erschien am 23. Januar 2023 und wurde im Februar 2023 in zwei Teilen vom Magazin Hintergrund übernommen, dort unter der Überschrift „Wie schafft es eine Minderheit, eine Mehrheit in Geiselhaft zu nehmen?“. Ganz ähnlich lief das ein gutes Jahr später mit einem Beitrag über die Ausstellung „Verbotene Bücher“ im Literaturhaus München. Titel bei uns: „Gute und böse Zensur?“ Dazwischen liegen einige Klopprogge-Essays, die Hintergrund exklusiv veröffentlicht hat, und eine Rezension des Buchs „Methode Mensch“, das ich schon vorab hatte lesen und kommentieren dürfen.

Bildbeschreibung

Als meine Frau und ich im Sommer 2024 darüber nachdachten, künftig an jedem Werktag Texte mit Wiedererkennungswert zu veröffentlichen und unsere Seite so auch an die Kurse anzupassen, die wir inzwischen anbieten (verlängerte Wochenenden für alle Altersgruppen statt ein ganzes Jahr für Menschen unter 35), war uns sofort klar, dass wir Axel Klopprogge fragen müssen. Wir wollten etwas, was es so auf keiner Seite des Grabens gibt, weder bei den Leitmedien noch bei ihren Gegenspielern. Eine Journalismus-Rundschau, die beide Seiten lobt oder kritisiert, je nachdem. Buchrezensionen, die nicht dem Verlagsmarketing folgen. Schlaglichter aus Ländern, die gar nicht weit weg sind und doch viel zu selten auf dem Schirm. Und eine Kolumne, die die sozialen Widersprüche und Schieflagen hierzulande einfängt. Oben & Unten.

Wir haben damals kein Protokoll geführt, sodass ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen kann, ob es ein Programm gab und wie dies im Fall der Fälle aussah. Egal. Jeder Redakteur weiß, dass sich Kolumnen verselbständigen und ein Kind ihres Autors werden. Wir lieben dieses Kind, weil es in der Wirklichkeit lebt, ausspricht, was es dort zu sehen gibt, und dabei auch keine Rücksicht auf die Verwandtschaft nimmt. In Axel Klopprogge wohnt nicht nur ein Historiker, ein Personalmanager und ein Unternehmensberater, sondern auch ein Journalist. Neugier und immer wieder Lust auf Menschen, Offenheit auch da, wo das Urteil festzustehen scheint, und die Gabe, das alles so aufzuschreiben, dass es jeder verstehen kann: Das ist genau das Paket, das dieser Beruf verlangt. Wir sind deshalb mehr als froh, den Texten ein Zuhause gegeben zu haben, die in diesem Buch versammelt sind.

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Bildquellen: Friedrich Philipp Reinhold (1779 bis 1840): Rast von der Arbeit auf dem Feld