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Medien-Tresen | 14.03.2025
Rumänien und die Adjektive
Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu darf nicht erneut antreten. Die hiesigen Medien lassen kein gutes Haar an ihm. Wofür steht er wirklich?
Text: Helge Buttkereit
 
 

In Rumänien geht es um die Demokratie, und Martin Sonneborn stellt die richtigen Fragen: Ist Michael Roth schon vor Ort? Der SPD-Politiker trieb sich zuletzt in Georgien herum, um angeblich für die Demokratie zu streiten. Nun wäre Rumänien dran, denn dort darf der Erstplatzierte der annullierten Präsidentschaftswahl nicht erneut antreten. Sonneborn schreibt auf X: „Auf den Straßen in Bukarest geht's rund – aber wo bleibt eigentlich Michael Roth, wenn man ihn braucht?! Michi, Sturm aufs Parlament...? Sie haben doch Tagesfreizeit jetzt... Smiley!“ Roth ist nicht mehr im deutschen Bundestag, aber halt, er muss dieser Tage ja noch mal ran, Kriegskredite bewilligen. Damit hat die SPD ja seit mehr als einem Jahrhundert Erfahrungen.

Um die – nennen wir es einmal kreative – Auslegung von Demokratie in unserem Land geht es an dieser Stelle aber nicht, das hatten wir schon. Thema ist Rumänien. Und das Adjektiv. Rumänien ist dieser Tage klar, aber warum Adjektive? Journalistische Sprachlehrer wie Wolf Schneider halten sie für „die am häufigsten überschätzte und am meisten missbrauchte Wortgattung“. So steht es in Schneiders Standardwerk „Deutsch für Profis“, das ein Vergnügen ist. Er meint, Adjektive blähten die Sprache auf und seien meist vermeidbar. Wir können ergänzen: Adjektive drängen in eine Richtung. Besonders beliebt wäre da das „umstritten“, das bestimmte Menschen in den Medien immer wieder vor ihrem Namen lesen müssen – Beispiele gibt es im gleichnamigen Buch, herausgegeben von Marcus Klöckner. Aber es gibt noch schärfere Adjektive, die unsere Medien gerne denjenigen verleihen, deren Ansichten sie nicht teilen.

Călin Georgescu, der Sieger der ersten Runde der annullierten rumänischen Präsidentschaftswahlen im November, bekommt von den Medien viele solcher Adjektive verpasst. Er soll extremistisch, rechtspopulistisch, rechtsextrem, prorussisch, ultrarechts, rechtsradikal, nationalistisch oder auch russophil sein. Mit diesen Adjektiven wird er jenseits der vorgeblich demokratischen Brandmauer verortet und bekämpft. Das rumänische Verfassungsgericht hat ihn diese Woche endgültig aus dem Rennen genommen. Tagesschau.de berichtet, dass der – in diesem Fall „rechtsradikale“ – Georgescu demokratische Grundwerte nicht anerkenne und deshalb ausgeschlossen bleibe. Woher aber kommen all diese Adjektive? Wie sind sie begründet und wer hat ein Interesse daran, dass der Politiker kaltgestellt wird? Wichtige Fragen, bei denen wir erst einmal das rumänische Nationalgetränk, den Țuică, auf dem Tresen stehen lassen. Wir bleiben vorerst nüchtern.

Bevor wir uns auf die Suche machen, schauen wir noch einmal auf Martin Sonneborn. Denn er hat die Ereignisse schon kurz nach der Wahl-Annullierung aufgearbeitet. Ausführlich per Video oder Text. Wenn die EU schon mal sinnvolle Sachen finanziert, dann sollte man darauf hinweisen. Zumal Sonneborn und seine Mitarbeiter genau das gemacht haben, was eigentlich die Aufgabe der Journalisten wäre: recherchieren. Dabei stellt er klar, dass die Vorgänge rund um die Wahl völlig unverständlich sind und dass ausgerechnet die Regierung für die TikTok-Kampagne verantwortlich sein dürfte (wie beispielsweise auch Telepolis berichtete), die Georgescu bis heute zur Last gelegt wird. Es gibt so viele Ungereimtheiten, dass Sonneborn eine geschlagene Stunde vor der Kamera steht. Respekt. Schauen Sie es sich also an oder lesen Sie es durch. Aber gerne erst nach ihrem Aufenthalt hier am Medien-Tresen.

Wir suchen nach den Adjektiven erst einmal an halbwegs offizieller Stelle: in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien. Die Zeitung für die deutsche Minderheit im Land, der mittlerweile nur noch etwa 23.000 Menschen angehören, wird vom Staat finanziert. Dort interessiert zunächst, welche Adjektive Georgescu vor dem „schockierenden“ Ergebnis (also vor seinem Überraschungssieg) zugeschrieben wurden. Die Antwort: gar keins. In den Wochen vor der Wahl kommt er genau einmal in einem Bericht vor – und zwar als „unabhängiger“ Kandidat.

Das Establishment hatte ihn nicht auf dem Zettel und musste nach der Wahl Adjektive finden. Im ersten Text zum Wahlergebnis ist er „Russlandfreund“ und „Rechtsextremist“, dann nennen sie ihn in der Allgemeinen Deutschen Zeitung einen „prorussischen Rechtsextremisten“. Gründe dafür gibt es im Text nicht. Auch andere Artikel auf der Website steigen nicht tiefer ein. Immerhin darf der Kandidat einmal noch klarstellen, dass er kein Extremist sei. Die Zweitplatzierte liefert dann die Stichworte, mit denen ihn der Mainstream fortan überzieht: ein „bekennender Putin-Bewunderer und Gegner der NATO und der EU“, im Diskurs an Nicolae Ceaușescu „angelehnt“. Schlimmer geht nimmer in Rumänien. Die Adjektive rechtfertigen in der Folge – zumindest für die hiesigen Journalisten –, dass die Wahl erst annulliert und der Wahlsieger dann von weiteren Abstimmungen ferngehalten wird.

Martin Sonneborn:

Seine Biographie weist den gelernten Agronomen und Dozenten der Universität Bukarest als „etablierten Politiker mit verschiedenen Regierungsämtern, darunter leitende Positionen in den Ministerien für Umwelt und auswärtige Angelegenheiten“ (Euractiv) sowie als erfahrenen Diplomaten aus. Georgescu war Sonderberichterstatter für Giftmüll beim UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, Präsident des European Research Center des Club of Rome in Winterthur und Exekutivdirektor beim United Nations Global Sustainable Index Institute in Genf und Vaduz. Mehrmals wurde er für das Amt des Ministerpräsidenten vorgeschlagen, zuletzt 2021 von der zu Melonis EKR-Fraktion gehörenden AUR, zur jetzigen Präsidentschaftswahl war er parteilos angetreten. Jene ihm nachgesagte Sympathie zu Organisationen und Funktionsträgern der NS-Zeit scheint Georgescu mit einer Vielzahl rumänischer Bürger und Amtsträger zu teilen, auch mit Rumäniens rechtskonservativem Noch-Präsidenten Johannis, der einem Sympathisanten der faschistischen Eisernen Garde gar den Orden „Stern von Rumänien“ verlieh.

Aber was will denn nun Georgescu? Der deutschsprachigen Medien-Mainstream bemüht sich kaum um Inhalte jenseits der Adjektive. Der Standard aus Österreich nennt ihn einen „Ökofaschisten“, weil er „auch eine romantische Vorstellung von einem autarken Leben in der Natur“ vertrete. Der ganze Artikel beruft sich auf einen Experten, der fragwürdige Verbindungen sieht. Ein wenig Kontaktschuld geht immer: von der orthodoxen Kirche in die Geschichte und zurück. Irgendwas bleibt schon hängen. Und genau darum soll es wohl gehen.

Der Journalist Roland Schatz, der Georgescu seit Jahren kennt, hat Anfang des Jahres in The European auf den Skandal hingewiesen. Immerhin, es gibt also Medien, die berichten. Bei Roland Schatz steht auch, worum es wirklich geht: Korruption. Deshalb wollten die Rumänen einen Neuanfang. Dafür stand Georgescu. Nach seinem Wahlsieg wurde er dem Establishment wohl zu gefährlich. Zuletzt sagte er Schatz: „Wo ist der Rechtsstaat? Wo ist der sprichwörtliche Respekt für den Andersdenkenden?“ Wir erwarten das weder im rumänischen Establishment noch in der EU-Spitze. Eher das Gegenteil.

Schack thematisiert den Skandal, den die anderen Medien wie die Tagesschau nüchtern verkünden. Ist ja ein rechtsextremer, russophiler und so weiter, Sie wissen schon. Was aus dem offenbar postdemokratischen Rumänien wird (das Adjektiv scheint an dieser Stelle angebracht), bleibt offen. Der größte Nato-Stützpunkt in Osteuropa kann zumindest vorerst ungestört weiter aufgerüstet werden. Wenn das mal nicht … Aber wir wollen ja keine Verschwörungstheorien in die Welt setzen. Wobei: Auch das hat (nicht nur) Martin Sonneborn schon. Darauf einen Țuică. Noroc!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Călin Georgescu am 7. März. Foto: picture alliance / AP, Andreea Alexandru