Interessiert sich eigentlich irgendein Politiker von Union, SPD, Grünen und Co. für den Willen des Volkes? Ich gebe zu, meine Witze waren schon mal besser. Aber was soll man angesichts der Ereignisse kurz nach der Bundestagswahl da noch schreiben? Bleibt einem nicht das Lachen im Halse stecken, wenn Medien und Politik versuchen, das neue „Sondervermögen“ für die Bundeswehr durchzupeitschen? Die Reaktionen auf die Bundestagswahl kurz nach Stimmenauszählung zeigen zumindest, was das ganze Gerede von der Demokratie wert ist.
Wenn falsch abgestimmt wird, dann muss das geheilt werden. Zum Beispiel durch den alten Bundestag, der noch mal schnell die Bundeswehr retten soll. Den Medien-Mainstream freut es und da die (übliche) Doppelmoral zu den typischen Themen am Medien-Tresen gehört, schauen wir heute genauer hin. So ganz nüchtern können wir dabei nicht bleiben, versuchen aber, uns ob des Themas an die Zwei-Dosen-Regelung der Bundeswehr zu halten. Die gilt zwar nur im Auslandseinsatz, aber wir sind hier schließlich auch im Einsatz – an der Heimatfront. Und beim nächsten Krieg könnte auch die einstige Kriegsdienstverweigerung hinfällig sein. Insofern bereite ich mich schon mal auf den Volkssturm vor.
Aber zur Sache. Europa steht verteidigungs- und sicherheitspolitisch mit dem Rücken zur Wand, die Verteidigungsausgaben müssen deshalb erhört werden, schreibt der Deutschlandfunk. Das ist kein Zitat, da fehlt kein Konjunktiv, das ist beim nationalen Hörfunk Fakt. Und der Kommentar von Jörg Münchenberg begründet das. Es gebe viele gute Argumente dafür, dass der abgewählte Bundestag auf die Neuauflage verzichten sollte, sagt er. Stichwort: mangelnde Legitimität. Aber was schert einen die Legitimität, wenn es „gewichtigere Gründe“ gibt? Es brauche ein Ausrufezeichen, kommentiert Münchenberg. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Wie Raubritter in andere Länder einfallen und da mal eben die nötigen Kröten erbeuten, ist bereits seit dem ewigen Landfrieden von 1495 verboten und gemeinhin geächtet. Unprovozierter Angriffskrieg und so. Außerdem: Die Bundeswehr wäre dazu ja kaum in der Lage, darum geht es ja gerade. So kommt der gemeine Kriegstreiber und Waffeneinkäufer nicht weiter.
Im neuen Bundestag gibt es dann eine „Sperrminorität“ dieser Ewiggestrigen in Rechts-Blau oder Links-Rot, die die Zeichen der Zeitenwende nicht erkannt haben und das Geld für unsere Truppe nicht freigeben wollen. Nun wollen die einen, die Rechts-Blauen, ja auch gerne ganz viel Geld für die Bundeswehr ausgeben und die anderen, die Links-Roten, die Schuldenbremse abschaffen und ohnehin am liebsten überall mitspielen. Aber Schulden wollen die einen nicht und gegen Waffen sind angeblich die anderen. Immerhin. Darauf die erste Dose. Ein paarmal ansetzen und ansonsten müssen wir haushalten.
Ein gutes Stichwort. Das Haushaltsrecht ist das wichtigste Recht des Parlaments, das jetzt das Sondervermögen durchwinken soll, nachdem sich die alten Abgeordneten teilweise schon verabschiedet haben. „In besseren Zeiten wäre das ein aberwitziger Plan. In besseren Zeiten wäre er aber auch überflüssig“, schreibt Daniel Brössler in der Süddeutschen. Aber wenn die Demokratie nicht das ergibt, was man sich wünscht – ob in den USA oder in Europa – dann muss man handeln. Denn wenn die USA mit Russland, China und „diversen Schurkenstaaten“ eine „skandalöse Resolution“ durchsetze, dann muss gehandelt werden. Man wird dann kurzerhand selbst zu einer Art Schurkenstaat, bei dem der Wille des Volkes nichts gilt. Das heißt dann entweder „unsere“ oder beim SZ-Autor „wehrhafte“ Demokratie.
Auch der Handelsblatt-Journalist Christian Rickens ist für das „Sondervermögen“, übersetzt dessen euphemistische Sprachregelung aber immerhin in „Sonderschuldentopf“. So ganz wohl ist den Vertretern des Mainstreams nicht, bei T-Online ist die Rede von einem „steilen Manöver“. Das aber, so meint der FAZ-Kommentator, schon deshalb geboten sei, weil die äußere Sicherheit „die unbedingte Voraussetzung für ein geregeltes Staatswesen“ bilde. Und der Staat, das ist ja eine alte Erkenntnis, steht in Deutschland immer über der Demokratie.
Natürlich gibt es auch ganz andere Stimmen. Michael Maier titelt in der Berliner Zeitung, dass Grüne und Merz den neuen Bundestag „austricksen“ könnten und erinnert an Annalena Baerbocks Gerede von den vielen hunderten Milliarden Euro für die Verteidigung der Ukraine, die bereits vor der Wahl öffentlich wurde. Und Kevin Gensheimer stellt ebenfalls in der Berliner Zeitung noch einmal ganz klar fest, dass ein solches Sondervermögen den Wählerwillen missachtet:
„Sehr viele Deutsche wünschten sich andere Verhältnisse im Bundestag und damit eine andere Außen- und Verteidigungspolitik. Das wird nicht nur durch die Verdopplung der Wahlergebnisse von AfD und Linke deutlich, sondern auch von BSW, das zwar die 5-Prozent-Hürde knapp verfehlte, aber immerhin von rund 2,5 Millionen Menschen gewählt wurde. Es war die Union, die sich während der Ampel gegen mehr Staatsausgaben gestellt hat. Keine 48 Stunden nach der Wahl klingt man schon wieder anders. Die CDU-Wähler dürften von den Merz-Tricksereien nicht begeistert sein.“
Was schert mich mein Geschwätz von gestern, wenn ich erst am Kanzlerwerden bin, scheint sich dagegen Friedrich Merz zu denken. Auch Michael Jäger schreibt im Freitag schlichtweg von einem Skandal, wenn Union, SPD und Co. einfach am Wahlergebnis vorbei tricksen. Bei einer so wichtigen, ja vielleicht sogar lebenswichtigen Frage wie der Aufrüstung wäre das ein „krass antidemokratischer Vorgang“. Alexander Wallasch findet ebenso deutliche Worte:
„Merz widersetzt sich ganz im Sinne der Ukraine – möglicherweise auch im Sinne BlackRocks – aktiv dem Ergebnis der Bundestagswahlen. Der mutmaßlich nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland verhöhnt die Wähler: Er beraubt sie sehenden Auge ihres Wohlstandes und riskiert eine unkalkulierbare Eskalation des Ukrainekrieges mit einer deutschen Beteiligung.“
Da braucht man nicht mehr viel zu ergänzen, sondern kann die zweite Dose gleich auf Ex leeren. Prost!
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
Berichte, Interviews, Analysen
Freie Akademie für Medien & Journalismus