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Meyen am Tresen | 31.05.2025
Krieg dem Kapitalismus
Daniel Sandmann sucht Frieden und hat auf dem Weg dorthin ein Buch geschrieben, das wie Musik klingt und nicht nur bei Gleichgesinnten nachhallt.
Text: Michael Meyen
 
 

„Eine wohltemperierte Abrechnung hin zum Frieden“ steht auf dem Cover, und ich dachte gleich: Das ist doch etwas für die Friedenstaube. Ist es auch, aber anders als zunächst gedacht. Vielleicht hätte ich mir einen Moment Zeit nehmen sollen für den Haupttitel. Drei Substantive ohne Punkt und Komma. Raffen Sterben Trance. Besser kann man das Leiden an dieser Welt nicht in Worte gießen – vor allem dann nicht, wenn daraus ein Satzstrom wird, der einen Rhythmus von ganz eigener Kraft entwickelt. Man braucht keine Noten, um einen Ohrwurm zu schreiben. Mit Buchstaben geht das auch. Wer das nicht glaubt, lese dieses Buch von Teer Sandmann und lasse sich von seiner Melodie durch die Abgründe dieser Zeit tragen.

Ich habe den Autor im Spätsommer 2020 kennengelernt, bei einem Rubikon-Treffen. Das schreibt sich jetzt so leicht hin, war aber damals fast ein Abenteuer. Schon die Bahnfahrt. Die Blicke, das Zischen, der Hass. Sie da! Wo ist Ihre Maske? Ich hatte überlegt, ob ich mir das antun will, und war auch nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee ist, drei Tage mit lauter Dissidenten auf einem Haufen zu sein. Mehr Zielscheibe geht kaum. Vor Ort war das dann alles wie weggeblasen. Abends ein Lagerfeuer und tagsüber Menschen wie Daniel Sandmann, der sich auf seinen Büchern Teer nennt und weiß, was Glück ist:

Der Augenblick, den du mit dem Andern und durch das Andere erlebst, unbelangt von Staat, Norm und Konzern: dieser Augenblick hebt deine Einsamkeit auf. Die aufgehobene Einsamkeit aber ist die Freiheit, die wir als Wärme erleben. Als Feuer im Körper. (90)

So war das an jenem Augustwochenende. Jeder, der ein wenig älter ist, hat längst erlebt, dass keine Flamme ewig brennt. Nach Corona kamen die Kriege. Und selbst die, die solche Tage nicht vergessen wollen, verlieren sich im Kleinklein ihrer Eitelkeiten. Daniel und Teer Sandmann machen aus diesem Stoff eine grandiose Sinfonie, die darüber erhaben ist, mit dem Finger auf diesen zu zeigen oder auf jenen. Hin und wieder eine Andeutung: Das muss reichen. Der Formaterfinder, der sein Baby mit einem plumpen Satz schützt. „Nicht einfach kritisieren, mach es besser!“ Eine Redaktion der Gegenöffentlichkeit, hochgelobt, die kurze Sätze will und kurze Texte. Dieses Feld können und wollen die Sandmänner nicht bestellen, genau wie all das, was im Namen einer „Menschheitsfamilie“ daherkommt. „Liebe Community. So begrüßt ein dissidenter Moderator das Publikum in einer dissidenten Talkshow.“ (87) Etwas mehr Platz bekommt Rainer Mausfeld:

Warum schweigen die Lämmer? Ein tolles Buch. Es hat gegriffen. Dann hat sich gezeigt: Das System, von diesem Buch dekonstruiert, muss einen Zacken zugeben an Totalität und schon schlüpft auch die Analyse mit hinein ins System und ins Schweigen und der Autor wird selbst zum Lamm. (21)

Ich kenne das Lied, das Daniel aka Teer Sandmann hier singt. Wie er bin ich von links gekommen und habe erlebt, „wie meine Welt leer wurde“ (23). Wie er weiß ich inzwischen, dass ich in „meinen Kreisen“ von einst nicht mehr klarkommen würde und dass es mit den neuen keinesfalls einfacher ist. Hier, immer noch und trotz alledem, die Idee, dass sich Glück planen lässt, und damit „der Wahn“, „ein Ziel zu erreichen und alles auszumerzen, was dem Ziel in die Quere kommt“ (143): „Die linken Ideen münden in Ordnungen und im Polizeistaat“ (24). Und dort Kritiker der Macht, die vor den Gerichten der gleichen Macht um ein wenig Wohlstand streiten, sich nur noch gegenseitig interviewen, die AfD hoffieren und auf Personen zielen, wo es um Strukturen gehen müsste. Klaus Schwab, Bill Gates, Jeff Epstein statt Kapitalismus. Was bleibt euch noch, Kinder, wenn ihr zwar den Totalitarismus erkennt, aber nicht sehen wollt, „wie dieser alternativlos aus dem Kapital hervorschießen musste“ (40)?

Der letzte Satz ist ein Versuch, den Takt aufzunehmen, den dieser Text anschlägt. Teer Sandmann sagt, dass ihn „die Musik aus der Renaissance“ noch mehr gerettet habe als das Schreiben, und baut vielleicht auch deshalb immer wieder Miniaturen ein, die zeigen, dass Kunst auch dann Jahrhunderte überdauern kann, wenn jemand wie ich noch nie davon gehört hat. Daniel Sandmann reicht. Vergesst all eure Gegenentwürfe, singt dieser Künstler:

Wir sind für nichts. Wir stören die Haltungen und schaffen Nischen. Indem wir stören. Wir sind für alles, was nicht in ein „wir sind für“ mündet. Bloß, ist das alles nicht schon eine Haltung? Und wer sind „wir“? (79)

Die Sache mit dem Frieden, natürlich. Es gibt in diesem Buch einen Traum, in dem ein „lieber Gott“ alle Journalisten tötet, „die neuen Schwarzhemden“ (49), „die in diesem medialen Schlachtfeld, Journalismus genannt, mitfeuern und mitgeifern und ihrer Niedertracht freien Lauf lassen“, und mit ihnen auch alle, „die binnen einer Woche auch nur einen Cent noch überweisen an diese Instrumente der Niedertracht und der Geistvernichtung“ sowie Parteimitglieder und Manager, jeden Adelsclan und alle Künstler, „die der Macht zusprechen“ (55). Sie ahnen es schon: Diese Liste ist unvollständig und mit ihrer Wucht eine Ausnahme in dieser „wohltemperierten Abrechnung hin zum Frieden“. Daniel und Teer Sandmann suchen nach Ruhe und Trance. Frieden: Das ist nicht nur das Ende des Kapitalismus oder das vergessene Stück aus der Renaissance. Frieden bringt auch die Runde im Waldsee:

Komme ich aus dem Wasser, komme ich nach Hause. Mag sein, dass im Orgasmus der Tod vergessen geht, im Wasser aber verliert er die Bedeutung und vermengt sich mit dem Leben aufs Unkenntliche. Stilles Jauchzen, meerjungfrauartiges Kreisen, kindliches Drehen um sich selbst und ohne Bezugspunkt: das sind die Ausdrucksformen dieses ungeplanten Glücks. (157)

Jetzt weiß ich auch, warum ich schon als junger Mann jeden Tag ohne Schwimmgelegenheit für einen verlorenen Tag gehalten habe.

Bildbeschreibung

Teer Sandmann: Raffen Sterben Trance. Eine wohltemperierte Abrechnung hin zum Frieden. Hamburg: tredition 2024.

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Bildquellen: Blaibacher See. Foto: Autor