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Meyen am Tresen | 12.04.2025
Eine Woche wie im Rausch
Reisen bildet, sagt der Volksmund. Menschen und Geschichten aus Bayern, Dresden, Hamburg, Berlin. Mit einem Blick auf die Zukunft von Angela Merkel.
Text: Michael Meyen
 
 

Als wir vor gut einem halben Jahr mit den Kolumnen angefangen haben, hatte ich mir das genau so vorgestellt. Ich schreibe auf, was mir in der Woche so passiert ist. Eine Bilanz sozusagen, vielleicht persönlich, vielleicht politisch. Je nachdem. Es ist dann etwas anders gekommen. Manchmal waren ein Buch oder ein Film einfach so stark, dass aus der Kolumne eine Rezension geworden ist. Manchmal wollte ich nur von einem meiner Interviews erzählen und das Besprochene gleich mit den großen Debatten verknüpfen. Und manchmal waren Anregungen von außen umzusetzen, Stichwort KI, Stichwort Frieden.

Wahrscheinlich waren die meisten Wochen auch nicht besonders spannend. Alltag eben. Was soll man davon groß festhalten. Diesmal ist das anders. Sonntag Erich Hambach bei uns im Haus. Ein Interview für die Reihe Im Gespräch. Ich will nicht zu viel vorwegnehmen. Es ging um die Hochfinanz, um den schwarzen Adel, um die Illuminati. Ein Gruselkabinett für alle, die wissen, wo die roten Linien sind zu den Schmuddelkindern. Verschwörungstheorie, pfui. Erich Hambach kann erklären, wie die „Herren des Geldes“ (Untertitel seines neuen Buchs) arbeiten und was man tun kann, um sich ihrem Zugriff zu entziehen. Als die Kameras aus waren, ging es munter weiter mit dem Publikum. Steuerfrei leben, sich auf den Lastenausgleich vorbereiten, Kollateralkonto. Siehe oben. Wir haben dann noch 25 Minuten nachgeschoben, die bei den „Truth Brothers“ zu sehen sein werden, dem Kanal von Erich Hambach.

Montag Dresden. Lesung im Buchhaus Loschwitz. Ich war schon im Juni dort, damals mit dem Buch über die Unterwerfung der Universitäten. Diesmal „Der dressierte Nachwuchs“. Wieder volles Haus. In Loschwitz heißt das: Susanne Dagen, Gastgeberin und Moderatorin, quetscht sich auf einen Hocker zwischen Klavier und Reihe null und sagt: Willkommen zum Gottesdienst. Einige sind zum zweiten Mal da. Neu: Paul Soldan, den ich aus seinen Texten für Multipolar kenne und über sein Buch „Sheikhi“, und Julia Szarvasy, die mich in ihrem Bus für Nuoviso interviewt hat und auf der Ruderboot-Couch. Hinterher kommen (um im Bild zu bleiben) drei U-Boote zu mir. Professoren. Ein Techniker, ein Germanist und ein Medienforscher, der sich sogar mit mir fotografieren lassen will. Dieser Kollege ist nicht an der TU (falls jemand die Fahndung einleiten möchte), aber immerhin. Ich bin oft gefragt worden, ob es an den Unis Gleichgesinnte gibt, und kann jetzt endlich sagen: ja. Ein paar schon.

Versteckt in einer der letzten Dresdner Reihen: Michael Beleites, eine Ikone der DDR-Umweltbewegung und später ein Jahrzehnt lang Beauftragter für die Stasi-Unterlagen in Sachsen. Er hat eine Rezension mitgebracht, die er gerade für die Sezession geschrieben hat, und einen Gedanken, der mich später schlecht schlafen lässt. Müssen wir die Geschichte vom Herbst 1989 umschreiben? Ganz neu ist dieser Gedanke nicht, natürlich nicht. Wer dabei war, hat sich schon damals gefragt, wie die Stimmung so schnell kippen konnte vom Wunsch nach einem anderen, besseren Sozialismus zu Helmut Kohl und seiner D-Mark. Daniela Dahn, wie Michael Beleites seinerzeit in vorderster Front, hat den schwarzen Peter an den Journalismus weitergegeben. Tamtam und Tabu. Eine Kampagne, losgetreten von Horst Teltschik, Kohls wichtigstem Mann, die sich um SED-Skandale drehte und so wie eine Nebelkerze verhüllte, um was es eigentlich ging. Die Herren des Geldes, würde Erich Hambach sagen. „Alte Besitzverhältnisse“ wieder herstellen und damit „alte Machtverhältnisse“, sagt Daniela Dahn. Michael Beleites ergänzt das nun durch das, was er gesehen und erlebt hat, bei der Auflösung des Geheimdienstes in Gera zum Beispiel. Da seien Leute wie er gewesen, natürlich. Legitimiert durch das, was vorher war. Überall im Land seien aber plötzlich auch unbeschriebene Blätter aufgetaucht, laut und damit schnell ganz vorne dran. Ein Forschungsthema, ohne Frage.

Bevor ich das zu Ende gedacht habe, sitze ich im Rudolf-Steiner-Haus, nur ein paar Steinwürfe weg von der Alster. Ich würde gern „Hamburgs Wohnzimmer“ schreiben, aber dazu taugt der Saal im Souterrain dann doch nicht ganz. Immerhin: steuerfinanziert. Geht also doch. Eingeladen hat unter anderem der Nachdenkseiten-Gesprächskreis vor Ort. Thema: Wandel der Universitäten. Wieder sind Kollegen da, auch aus dem Mittelbau und aus der Rentnergeneration, die sich zu erinnern glauben, alles schon erlebt zu haben, damals, in ihrer großen Zeit. Nun ja. Wichtiger: Walter Weber ist da, ein Arzt, Koryphäe in Sachen Krebs, 80 inzwischen, der meinen letzten Auftritt in Hamburg organisiert hat. Große Freiheit, Sommer 2022. Die Sonne schien, und es roch nach Aufbruch. Aus dem ganzen Land waren sie gekommen, aus Nord und Süd, von links bis rechts, aus allen nur denkbaren Bewegungen und Milieus. Corona als Klammer, genau wie der Glaube, dass unsere Zeit jetzt anbricht.

Es kam dann anders, aber das ist hier nicht mein Punkt. Walter Weber, der alte Weggefährte, zieht Bilanz – bei einem Becks in seinem Haus, genau da, wo wir vor drei Jahren in größerer Runde beraten haben. Walter hat inzwischen einen Prozess hinter sich mit knapp zwei Dutzend Verhandlungstagen und den entsprechenden Kosten. Maskenatteste. Was immer wir aufgefahren haben an Beweisanträgen, sagt Walter, es wurde abgeschmettert. Und trotzdem. Wir müssen sie zwingen, sich damit auseinanderzusetzen. Immer wieder. So ähnlich habe ich das zwei Stunden vorher im Steiner-Haus gesagt, mit Vaclav Havel als Referenz. 500 Ärzte, schätzt Walter Weber, haben wie er Atteste ausgestellt. 500 bei einer sechsstelligen Zahl an Kollegen. Sicher gibt es eine Dunkelziffer. Lassen wir es bei den 500, weil Walter Weber hier die Folgen kennt. 80 Prozent von diesen 500 haben Haus- und Praxisdurchsuchungen erlebt. Er selbst zwei, der Spitzenreiter acht. Die Maske war der Test. Als die Spritze kam, wusste jeder, auf was er sich einlassen würde - selbst ein Medienforscher wie ich. Die maskierte Öffentlichkeit, veröffentlicht im Oktober 2020, war mit Sicherheit nicht mein bester Text, aber der, der den meisten Wirbel auslöste und später sogar zweimal vor Gericht verhandelt wurde.

Was bleibt von all den Kämpfen? Wir haben die Leute aus der Vereinzelung geholt, sagt Walter. Die 20 Prozent, die dagegen waren. Wir haben ihnen gezeigt, dass sie nicht allein sind, und diese Leute mobilisiert. Gescheitert sind wir an Schritt drei. Strukturbildung. Es fehlt uns an Geld, Michael. Walter Weber hat an Regionalbüros gebastelt. „Ärzte für Aufklärung“ in Thüringen – und das ist nur eins von vielen Beispielen. Wer weiß, wie viel Geld es in diesem Land gibt und wie viele wirklich reiche Leute, der weiß auch, dass wir hier über Peanuts sprechen. Wem es gut geht, der will, dass alles weiter seinen Gang geht. Der will keine Strukturen für irgendeine Opposition. Walter Weber hat mit einer seiner Nichten gerade „Das siebte Kreuz“ gelesen. Anna Seghers, Schulstoff in der DDR. Weißt du, was ich da gelernt habe, Michael? Echter Widerstand hat zwei Bedingungen. Keine Familie und keine Angst vor dem Tod.

Der Zug nach Berlin ist pünktlich und mein Gastgeber folglich noch nicht da. Gibt’s doch nicht, sagt er. Hat es noch nie gegeben. Über meinen Auftritt im Sprechsaal breite ich den Mantel des Schweigens. Die Idee klang super: Wir machen dort eine Ausstellung mit aktuellen Bildern aus Gaza, gekauft von der dpa, und du, Michael, bringst deine Bücher über Cancel Culture, Jugend und Universitäten zusammen, um zu erklären, warum Deutschland wegschaut. Die kastrierte Öffentlichkeit. Der beste Titel geht ins Leere, wenn niemand weiß, dass ich sprechen werde. Vielleicht ist das so, wenn der eigene Verlag der Veranstalter ist. Jens Fischer Rodrian hat durch einen Zufall erfahren, dass ich da bin, und bringt die CD Voices for Gaza, ganz frisch in der Reihe „Protestnoten“. Auf dem Cover: große Namen von Didi Hallervorden über Tino Eisbrenner, Nirit Sommerfeld und Diether Dehm bis zu Wolfgang Wodarg. Fünf von fast 40. Sorry an die, die ich auslassen musste. Der gleiche Zufall hat Kathrin Schmidt in den Sprechsaal geführt, Mitglied des PEN-Zentrums, Buchpreisträgerin, Maßnahmenkritikerin. Sie hat wie immer ihr Strickzeug dabei.

Ein kleines Publikum, frei von Kameras, erlaubt, in die Tiefen zu tauchen und dabei auch zu riskieren, im Trüben zu fischen. Erich Hambach hätte seine Freude gehabt. Und wer weiß schon, was daraus später wächst. Ein paar Minuten vor Beginn gehe ich durch das Regierungsviertel und höre plötzlich meinen Namen. Eine ARD-Frau, die auf Friedrich Merz wartet. Koalitionsvertrag fertig, Kamera schussbereit. Mein Film über die Duldungspflicht, sagt die Frau und strahlt über das ganze Gesicht. Er ist fertig. Premiere nächste Woche. Sie war bei einem meiner letzten Berliner Vorträge und wird jetzt mit ihrem Namen für ein Produkt stehen, dass so nicht im Ersten laufen kann. Noch nicht, würde Walter Weber sagen. Ende nächsten Jahres, sagt er mir beim Abschied, steht Merkel vor Gericht. Ist der Gedanke erstmal da, so begründet er das sinngemäß, dann ist er nicht mehr aufzuhalten. Mal schauen, wie das jetzt mit der Deutschen Bahn wird bei der Rückfahrt nach Bayern. Ich nehme mir vor, dass wir pünktlich sind.

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Bildquellen: Tobias Schönebeck auf Pixabay (Dresden, Blaues Wunder in Loschwitz)