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Meyen am Tresen | 29.03.2025
Lasst die Taube fliegen
Milosz Matuschek startet im Pareto-Universum eine Plattform gegen den Krieg. Mein erster Text dort dreht sich um mich selbst.
Text: Michael Meyen
 
 

Die Friedenstaube hat meine Kindheit und meine Jugend begleitet und wahrscheinlich auch beschützt. Ich bin auf der Insel Rügen aufgewachsen und sehe immer noch, wie der Bürgermeister am 1. Mai 1975 die US-Niederlage in Vietnam verkündete. Vielleicht war es auch der örtliche Parteisekretär. Egal. Der Sprecher stand jedenfalls am Heimatmuseum vor all den Fahnen, vor Sportlern, Pionieren und Erwachsenen, die mit ihren Kollegen durch das Dorf gegangen waren und jetzt auf den ersten Schnaps warteten. Ein Maiwässerchen, was sonst am Kampf- und Feiertag der Werktätigen. Ich Knirps war schon jetzt trunken vor Glück. Wenn ich einst groß sein bin, daran konnte es keinen Zweifel mehr geben, dann würde der Imperialismus besiegt sein und mit ihm der Krieg.

Picassos Friedenstaube war überall. Bei solchen Demos, in der Presse und in der Schule sowieso. Der Sozialismus, darauf schworen die Lehrer genauso Stein und Bein wie alle Funktionäre, der Sozialismus führt keinen Krieg. Es gab zwar immer wieder Gerüchte über Flussinseln, um die sich Moskau und Peking streiten würden, aber Asien war weit und China vielleicht nicht ganz so sozialistisch. Dann kam der Dezember 1979. Afghanistan. Ich war zwölf und konnte mir das schon deshalb nicht schönreden, weil es Olympia traf und damit zwei Sommerfernseh-Wochen. Was sind Goldmedaillen wert, wenn die Besten fehlen? Wenig später ging es um U-Boote. Ein Junge, nur wenig älter als ich, hatte an die Ostsee-Zeitung geschrieben, das Regionalblatt der SED, und gefragt, was die sowjetische Marine in schwedischen Gewässern mache und warum er sowas nur im Westradio hören könne. Als die Antwort kam, stand er mit dem Brief auf der Straße. Seht her, liebe Leute: Sie nehmen mich ernst. Was ist jetzt mit diesem Sozialismus und seinem Frieden?

Ich weiß noch, dass ich den Brief lesen musste (in der Schule wusste jeder, dass ich Journalist werden wollte), aber nicht mehr, was dort stand. Wahrscheinlich hat sich die Redaktion mit einem Missverständnis herausgeredet, mit Fake News oder mit Wilhelm Busch. Der Friede muss bewaffnet sein. Die Geschichte mit Igel und Fuchs gefiel mir. Da waren diese Zähne und damit die Drohung von Raubtier und Kapitalismus. Und da war ein eher zartes Lebewesen, das auf den Verstand setzte. „Und also bald macht er sich rund, zeigt seinen dichten Stachelbund – und trotzt getrost der ganzen Welt, bewaffnet, doch als Friedensheld.“

Im Alltag war das nicht ganz so einfach, selbst für Kinder. Bei den Sportfesten hätte ich lieber einen Schlagball genommen als die F1, eine Handgranatenattrappe, die über die 35-Meter-Marke fliegen musste, damit der kleine Werfer überleben kann. Ich mochte die Soldatenspiele nicht, die alle paar Wochen angesetzt wurden, und schon gar nicht die Lager, die am Ende der Schulzeit warteten. Zwei Wochen in einer Baracke mit Frühsport in der Kälte und mit irgendwelchen Knallköpfen, die mir sagen konnten, was ich zu machen habe. Das heißt: Sie sagten das nicht. Sie brüllten. Und sie konnten jeden bestrafen, der nicht spurte. Ich hasste das Militär – und das nicht nur, weil ich nie sicher war, die Sturmwand beim ersten Anlauf zu nehmen und die Gasmaske schnell genug aus der Tasche zu haben.

Ich überspringe die drei Jahre, die ich Uniform getragen habe. In meinem Gedächtnis ist dort eine Leerstelle. Ich bin mir aber sicher, dass es schrecklich gewesen sein muss, und höre noch all die Stimmen, die vorher auf mich eingeredet hatten. Wenn du an die Uni willst, Michael, dann musst du dafür bezahlen. Dann musst du zeigen, was dir dieses Land wert ist und die Arbeiterklasse, die hier nun mal regiert und später auch dein Studium bezahlt. Gib uns einen Fitzel deiner Lebenszeit. Ich habe diese Stimmen verflucht und dachte, dass ich ihnen nicht entkommen kann. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt. Ich wusste es schon im ersten Semester, weil neben mir Jungs saßen, die nur 18 Monate bei der Fahne waren und trotzdem einen Platz bekommen hatten. Dass die DDR kurz danach ohne einen Schuss zusammenbrach, habe ich nicht verstanden, aber trotzdem aufgeatmet. Du musst nicht mehr Reserveoffizier werden. Wenigstens das nicht. Die drei Lehrgangswochen habe ich in der Pathologie des Uni-Krankenhauses verbracht, vermutlich mit irgendwelchen Aufräumarbeiten.

Mein Sohn ist 1995 zur Welt gekommen. Ein Stammhalter. Ein Brüderchen für unsere Tochter. Aber auch ein Soldat. Ich habe mit mir selbst gewettet, dass es keine Armee mehr geben würde und vor allem keine Wehrpflicht, wenn er 18 ist, und geschworen, dafür alles zu tun, was mir möglich ist. Dass es dann dieser Minister von der CSU war? Was soll’s, dachte ich. Hauptsache, der Junge kann selbst entscheiden, wo und wie er in die Erwachsenenwelt gehen will.

Damals war ich mir sicher: Bertolt Brecht hat gewonnen. Endlich weiß Deutschland, dass es nicht Karthago sein will. Jetzt schreibe ich für die Friedenstaube und würde diesen Brecht lieber heute als morgen auferstehen lassen. So schwer kann das doch nicht zu verstehen sein mit den drei Kriegen.

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Bildquellen: Victoria @Pixabay