Sie hätten es kommen sehen können. Aber anstatt sich in den umkämpften Staaten der USA an den Tresen, den Stammtischen, in den Fußgängerzonen und an vielen anderen Orten bei den einfachen Menschen umzuhören, haben die Leitmedien lieber an ihrem Traum festgehalten. In dem kam Schein vor Sein. Denn es ging darum, dass erstmals eine Frau, eine schwarze zumal, als Chefin ins Weiße Haus einziehen möge. Wobei die gleichen Leitmedien bis zur Kandidatinnenkür im Sommer nicht viel Gutes über eben jene Kandidatin berichten konnten. Beispiele gab es zuhauf und gute Gründe allzumal, der Stern hatte einige davon noch im Juli nicht ganz vergessen. Was danach kam, ist beispielsweise im Overton-Magazin nachzulesen.
Nun empören sich unsere Leitmedien. Kurze Bestandsaufnahme am Mittwochmorgen kurz vor 9 Uhr, als die Realität des Erdrutschsiegs nicht mehr zu verleugnen war: „Amerika wählt den Rächer“, schreibt t-online, und die FAZ erwartet „Trumps Rache“. Die Zeit hat gleich zwei Titel ähnlicher Art, nämlich Giovanni di Lorenzos Kommentar „Der Alptraum“ und zuvor die Analyse „Der Schock“. Schließlich hat auch der Spiegel seine Blitzanalyse ganz im „Trump-Schock“ verfasst. Soweit also die Reaktion der Kollegen, nachdem endgültig klar war, dass die Leitmedien gemeinsam mit den US-Demokraten auf das falsche Pferd gesetzt hatten. Es gab „lange Gesichter in Kamalas Fankurve“, titelte Jens Berger bereits eine gute Stunde früher bei den Nachdenkseiten:
Es ist schon eine Leistung, gegen einen Donald Trump zu verlieren. Diese Leistung schafft man natürlich nur, wenn man sich von den Inhalten, die beim Wähler ankommen, vollkommen losgelöst hat. Was hätte Harris auch sagen sollen? Dass sie die Politik von Biden 1:1 fortsetzen will? Dass sie eine Politik ganz im Sinne ihrer Großspender verfolgen wird, zu denen das Who is Who des Big Business und der Wall Street gehören? Dass sie weiterhin die Kriege der USA auf dem gesamten Globus führen will? Dass sie ohnehin nur Kandidatin wurde, weil eine aussichtsreichere Alternative aus rechtlichen Gründen keinen Zugriff auf das gewaltige Kampagnenbudget der Biden-Harris-Kampagne gehabt hätte? Das hätte sie machen können, aber dann hätte sie noch weniger Stimmen bekommen. So funktioniert Demokratie, auch wenn deutsche Experten das nicht verstehen wollen.
Womit wir bei den alternativen, oppositionellen Medien angekommen wären. Mit ihnen hätte dieser Text auch problemlos beginnen können, denn die Berichterstattung über die US-Wahl zeugt von einem qualitativen Sprung. Jens Bergers Text ist bereits ein Teil davon, denn den Lesern so früh am Morgen einen treffenden Kommentar zu liefern, ist in der schnelllebigen Medienwelt wichtig. Wem es gelingt, das Zeitgeschehen gut und aktuell zu betrachten, der setzt damit eine Marke und wird von anderen zitiert und wahrgenommen. Was, nebenbei gesagt, immer auch ein Problem von Kolumnen wie dieser ist. Denn wenn wir uns am Medien-Tresen auf ein Bier oder wie zuletzt einen Apfelwein treffen, ist das Thema bei vielen bereits durch. Schade, aber nicht zu vermeiden. Wir machen weiter, trinken zur Beruhigung nach langer Zeit mal wieder ein Gläschen Jack Daniel‘s und schauen in die Medien der Gegenöffentlichkeit. Schließlich gilt es, die These vom Anfang dieses Absatzes zu begründen.
Normalerweise reagieren die Medien der Gegenöffentlichkeit. Das sagt ja bereits ihr Name und ihre Genese, entstehen sie doch, weil die Öffentlichkeit Positionen aus dem Diskurs ausschließt und bestimmte Stimmen, Personen oder Klassen nicht oder nur marginal vertreten sind. Sie sind eine Antwort auf den herrschenden Diskurs und bringen vor allem Meinung. Das liegt in der Natur der Sache und natürlich auch an fehlenden Ressourcen. Wer kann denn mit einer Live-Radio-Sendung aufwarten, die über die aktuelle Lage, die Stimmenauszählung berichtet und einordnet? Vielleicht auch noch mit anderen Protagonisten als jenen, die überall vorkommen? Bislang kaum jemand, nun der Kontrafunk.
Und wer schafft es, interessante Stimmen wie Fritz Vahrenholt, Susanne Heger oder Daniele Ganser in einer Art Morgenmagazin einzubinden, live zu Donald Trumps Rede zu schalten und dabei ein viel interessanteres Programm zu liefern als die Harris-Fankurve bei ARD und ZDF? Tichys Einblick und der Club der klaren Worte. Markus Langemann und Roland Tichy lieferten eine spritzige und informative Sendung, bei der immer der aktuelle Stand der Auszählung eingeblendet wurde.
Und dann war da vor allem Apolut. Dirk Pohlmann und Jens Lehrich führten gekonnt und unterhaltsam durch ganze fünf Stunden Programm. Mehrere Straßeninterviews und ein gut gemachtes grafisches Erklärstück zeugten davon, dass auch die Gegenöffentlichkeit Journalismus kann und was geht, wenn man es einfach mal macht. Dass dabei nicht immer alles klappte, die Website offenbar Verbindungsprobleme hatte und Telegram als Ausspielkanal zuweilen stockte, war zu verschmerzen. Denn es gab interessante Interviews und Perspektiven von Hermann Ploppa, Ulrike Guerot, Thomas Röper, Karin Leukefeld, Jaques Baud und (erneut) Daniele Ganser.
Die Berichterstattung zur US-Wahl war in mehreren oppositionellen Medien ein Journalismus, wie wir uns ihn am Medien-Tresen öfter wünschen. Ein Journalismus, der einen gemeinsamen Bezugspunkt braucht. Politik ist so ein Bezugspunkt, wie schon der Kollege Morhoff vergangene Woche an unserem Tresen feststellte. Gleichzeitig ist klar: Die Ressourcen von alternativen Medien reichen bei weitem nicht aus, um schnell zu reagieren. Eine Sondersendung zum Ende der Ampel wäre wohl auch zu viel verlangt. Es muss noch Luft nach oben geben. Außerdem ist die Frage berechtigt, ob Sondersendungen nebst den allgegenwärtigen Live-Tickern wirklich immer sinnvoll sind und man nicht lieber mit etwas Abstand analysieren sollte. Wir machen das an dieser Stelle auch weiterhin. Aber wir freuen uns gleichwohl über andere Formate und darüber, wenn Sie sich mit an den Tresen setzen, um in und auf die Medien zu schauen. Und auf die Einordnung der Berichterstattung der Alternativmedien durch Michael Meyen im neuen Medienwelt-Video. Darauf noch einen Jack Daniel‘s mit viel Eis. Prost!
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.