Eigentlich wollte ich heute über Weihnachten schreiben. Über die beiden Bücher unter meinem Tannenbaum. Ein dickes und ein dünnes, geschrieben von zwei Ostdeutschen, die beim Umbruch vor über 30 Jahren mittendrin waren und nicht nur dabei und auch dadurch heute etwas liefern können, was man so nicht in den Buchläden findet. Dann kam Elon Musk und mit ihm ein Thema, das diese Seite schlecht ignorieren kann. Eine „Disruption“ hat Burkhard Müller-Ullrich in der Sonntagsrunde angekündigt, und Peter J. Brenner, Literaturprofessor und Dauergast im Kontrafunk, sprach von einem „gigantischen Scoop“. Das X-Gespräch mit Alice Weidel könne zu einem „Wendepunkt der Mediengeschichte“ in Deutschland werden. Machtübernahme der „neuen Medien“ gewissermaßen, ganz ähnlich wie in den USA, wo die Musik ja längst bei Joe Rogan und Co. spiele. Gerald Markel, Unternehmer aus Österreich und gleichfalls Stammgast bei BMU, hatte zwar vorher etwas Wasser in den Wein gegossen (das Ganze sei für Weidel auch ein „Risiko“, schließlich könne sie sich auch „unsterblich blamieren“), aber mein Tresen-Thema war kaputt. Schon wieder eine Wende. Diesmal zwar nur in der Mediengeschichte, aber sei‘s drum. Das durfte ich nicht verpassen.
Der Kontrafunk hat dann live übertragen, mit zwei Simultanübersetzern. Vorher gab es noch etwas Aufregung um einen Serverangriff, aber wie es sich für eine echte Revolution gehört, waren selbst für den Fall der Fälle schnell Mittel und Wege gefunden. Also auf in den Kampf, Seite an Seite mit vier Kontrafunk-Männern, die hinterher nicht so recht wussten, was sie sagen sollten über Alice Weidel. Die Sache mit dem Mars natürlich. Das hat Michael Andrick in der Berliner Zeitung fein auseinandergenommen. Dann also ihr Englisch. Besser als bei Baerbock, gewiss, mit einigen Vokabeln, die, das war Frank Wahlig aufgefallen, die Meisterin verraten. Verhandlungssicher, warf einer der Kollegen ein, als säße man in einem Bewerbungsverfahren und könne folglich auch die „Nervosität“ entschuldigen. Ganz einig war sich die Herrenrunde aber nicht. Geht schon noch besser irgendwie, auch im Englischen. Es fiel sogar das Wort Sprachbarriere.
Vielleicht erzählt das schon die ganze Geschichte. Die Deutschen fühlen sich erst dann perfekt, wenn kein Zuhörer merkt, dass sie nicht dort wohnen, wo die Macht aus Übersee zu Hause ist. Anpassen ist das Gebot der Stunde, immer noch. Erst sprachlich, dann inhaltlich. Rauf mit dem Rüstungsetat, hatte Alice Weidel schon vorher in das Programm einer AfD-Regierung geschrieben. Viel zu wenig bisher, sagte sie dann zu Elon Musk. Ein bisschen mehr als ein Prozent vom BIP im Durchschnitt all der letzten Jahre. Das könne so nicht weitergehen. Danach hat sie vor allem gefragt und zugehört. Eine gute Schülerin eben. Wie stellen sich das die künftigen Herren in Washington denn vor mit Israel und mit der Ukraine? Der Mars, aha. Interessant.
Werbung für die AfD, hatten Leitmedien und Berliner Politikbetrieb vorher gestöhnt. Ein Eingriff in den Wahlkampf, womöglich unzulässig. 150 EU-Beamte sollen zu einer Spätschicht gerufen worden sein. Als ob nicht einer reichen würde oder vielleicht zwei, wenn jemand zwischendurch mal muss. Vermutlich gab es hinterher Sekt in Brüssel. Wofür steht die AfD? Ein Elfmeter zum Einstieg, kläglich vergeben. Weidel erwähnt den Partei-Ursprung Euro-Kritik und den Namen Merkel, um ein Geplänkel über Energiepolitik einzuleiten, das zu einer Werbung für Atomstrom wird und zu einer Verbeugung vor der CO2-Erzählung. Den Fußabdruck reduzieren, auch mit einer Kanzlerin Alice Weidel. Ich verlinke hier meine Apolut-Gespräche mit Bernd Fleischmann, der das „Klima-Märchen“ auseinandernimmt, und mit Thomas Eisinger, wo es um Schuld und Sühne geht und um die Macht einer Erzählung, die uns vor die Grundsatzfrage stellt, ob wir überhaupt guten Gewissens weiterleben können. Da wir gerade bei Energie- und Geopolitik sind: Für Alice Weidel war das Gas 2022 plötzlich weg. Einfach abgedreht. Nordstream? Kein Thema unter Freunden. Auch dazu gibt es ein Apolut-Gespräch – mit Hansjörg Müller, der vier Jahre im Bundestag dabei war und dann ein Buch geschrieben hat über die Parteiensteuerung.
Ich will nicht ungerecht sein. Ein paar AfD-Tore sind später noch gefallen. Meinungsfreiheit, Ausgrenzung des politischen Gegners, Einwanderung, Kriminalität, Bürokratie. Der Steuer-Staat, der immer mehr einnimmt und trotzdem immer weniger in der Lage ist, seinen Job zu machen und für Sicherheit zu sorgen, für eine reibungslose Verwaltung, für eine Infrastruktur, die funktioniert. Plastisch wird das aber immer erst bei Elon Musk. Berge von weggeworfenen Pässen an der mexikanischen Grenze, Ladendiebe in Kalifornien, 25.000 Stempel für das Tesla-Werk in Grünheide – und das offenbar nicht nur einmal. Was die AfD unternehmen wird, wenn sie gewählt werden sollte? Man weiß es auch nach diesem Gespräch nicht – vor allem bei der sozialen Frage nicht. Die Schere zwischen Arm und Reich kommt nicht vor, wenn jemand wie Musk zu Tisch bittet und kein Journalist danebensitzt, der das anspricht, was der deutsche Wähler wissen will und vielleicht sogar die Welt. Muss ich hier noch über den „Kommunisten“ Hitler schreiben oder über das, was Alice Weidel zur Wirtschafts- und Medienpolitik im Dritten Reich gesagt hat? Der Historiker und Medienforscher in mir zieht es vor zu schweigen, weiter auf die nächste Wende zu warten und bis dahin die beiden Bücher zu empfehlen, um die es heute eigentlich gehen sollte. Ingrid Schreyer und Michael Beleites. Vielleicht ist die nächste Woche ja ruhiger.
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