Der Chefredakteur war freundlich am Telefon und etwas zerknirscht. Dafür kassieren wir eine Rüge, ganz klar, sagte Hannes Lehner sinngemäß. Er habe mit seiner Redaktion gesprochen, noch einmal an die journalistische Sorgfaltspflicht erinnert, nachzulesen zum Beispiel im Pressekodex des Deutschen Presserates, und die Abläufe so verändert, dass so etwas nicht noch einmal passieren könne. Außerdem sei die Redaktion bereit, mir etwas Gutes zu tun, wenn ich denn eine Idee hätte.
Ich schreibe das hier etwas salopp aus dem Gedächtnis. Hintergrund ist einer dieser üblen Texte, die in der Regionalpresse immer dort aufploppen, wo Menschen öffentlich auftreten, die im kollektiven Gedächtnis gebrandmarkt sind. Querdenker, Putinversteher, Leugner von diesem und jenem. Die Details kann man unten nachlesen und dort auch das Meisterwerk von Andrea Weidemann genießen, immerhin Redaktionsleiterin Plattling-Deggendorf-Osterhofen in der Mediengruppe Attenkofer, die für das Straubinger Tagblatt steht. Veröffentlicht wurde der Text dort am 30. November 2024 auf der Titelseite des Lokalteils in Plattling. Am nächsten Tag habe ich Patrik Baab im Wohnzimmer von Plattling interviewt. Der Saal war voll, trotz oder wegen des Weidemann-Artikels.
Mein Punkt hier ist: Es lohnt sich, solche Angriffe nicht einfach auf sich beruhen zu lassen. Ich hatte es vor zwei Jahren schon einmal versucht beim Presserat und verloren in einer Sache, die viel größer war – mit drei zu zwei Stimmen bei zwei Enthaltungen. Wer weiß. Die Beschwerde ist online, und jeder mag sich selbst ein Urteil bilden. Diesmal war das Urteil auf Ebene eins einstimmig (Beschwerde ist begründet) und auf Ebene zwei fast einstimmig (sechs zu eins): eine Missbilligung, die zwar nicht abgedruckt werden muss, aber in diesem Fall doch sollte („als Ausdruck fairer Berichterstattung“).
Warum es keine Rüge gab, Höchststrafe im Presserat-Kosmos, wissen allein die Götter. Weiter begründet wird das nicht. Das Schreiben des Presserates, immerhin drei eng bedruckte Seiten, wäre ein Thema für sich. Es gelingt den Kollegen dort nicht einmal, den Weidemann-Artikel fehlerfrei zusammenzufassen. So macht mich der Presserat zum Gründer des „Querdenker-Blattes” Demokratischer Widerstand – zu viel der Ehre. Viel wichtiger als irgendwelche Strafen ist aber ohnehin das Gespräch – gerade dort, wo man sich kennt und wo sich jeder Journalist leicht selbst ein Bild machen kann, bevor er in die Tasten haut und Kritiker an den Pranger stellt. Ich bin froh, dass Hannes Lehner zum Telefonhörer gegriffen und auch öffentlich Abbitte geleistet hat, bevor der Presserat sich äußern konnte. Die Zitate, um die es ging, wurden aus der Onlineversion entfernt – genau wie die Bezahlschranke, damit möglichst viele die Entschuldigung sehen. Ich werde dem Chefredakteur vorschlagen, einen seiner Leute zu den nächsten Veranstaltungen der Initiative „Deggendorf miteinander“ zu schicken, und kann mir kaum vorstellen, dass es keine gute Presse gibt, wenn man die Menschen dort erlebt und sich in die Augen gesehen hat.
Diese Beschwerde bezieht sich auf einen Artikel von Andrea Weidemann, der am 30. November 2024 im Plattlinger Anzeiger erschienen ist („Kritiker beantworten kritische Fragen nicht“).
Der Artikel verstößt gegen die Pressekodex-Ziffern 1, 2 und 9. Die Autorin legt mir zwei wörtliche Zitate in den Mund, die (wenn sie denn wahr wären) nicht nur geeignet sind, meine Ehre zu verletzen (Ziffer 9), sondern es mir auch unmöglich machen würden, weiter als bayerischer Beamter zu wirken. Eine „wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“ (Ziffer 1) wäre dabei nicht schwer gewesen, wenn Frau Weidemann sorgfältig gearbeitet (Ziffer 2) oder mir die entsprechenden Zitate vor der Veröffentlichung vorgelegt hätte. Es gab vorab einen Mailaustausch (siehe Punkt 3), der sich aber auf etwas ganz anders bezog und mich schon vor der Veröffentlichung daran zweifeln ließ, dass die Ziffern 1 und 2 des Pressekodex Richtschnur des Arbeitens von Andrea Weidemann sind.
Für den 1. Dezember 2024 hatte die Initiative „Deggendorf miteinander“ in der Nachbarstadt Plattling eine Buchlesung von Patrik Baab angekündigt und mich gebeten, die Ausführungen des Kollegen wissenschaftlich einzuordnen. Der Titel der Veranstaltung („Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben“) entsprach dem Untertitel des Buchs „Propaganda-Presse“, das Patrik Baab im Sommer in der Reihe „Hintergrund kompakt“ veröffentlicht hat. Am 27. November erhielt ich folgende Mail:
Sehr geehrter Herr Meyen, in der Hoffnung, dass ich als Mitarbeiterin der Plattlinger Redaktion der Mediengruppe Attenkofer für Sie nicht in die Kategorie „Propaganda-Medium“ falle, hätte ich zu Ihrer Veranstaltungsteilnahme am kommenden Sonntag in Plattling/Niederbayern folgende Fragen: 1. Auf der Suche nach näheren Informationen zu Ihrer Person habe ich mehrfach gelesen, dass Sie der Ansicht sind, dass die (Leit-)Medien bewusst auf die Gesellschaft Einfluss nehmen, also manipulieren. Welche Belege haben Sie dafür? Und: Gilt das Ihrer Ansicht nach für alle Medien? Und für alle Themenbereiche? 2. Auch haben Sie sich kritisch zu journalistischen Faktencheckern geäußert und Sie als Propagandamaschinen bezeichnet. Heißt das, dass auch Medien wie z.B. Correctiv Ihrer Meinung nach nicht glaubwürdig sind? 3. Wenn man heute von Medien spricht, muss man vor allem das Internet im Blick behalten. Ist es nicht so, dass gerade dort ungefilterte (Falsch-)Informationen verbreitet werden? Für eine zeitnahe Rückmeldung wäre ich Ihnen sehr dankbar. Mit besten Grüßen, Andrea Weidemann, Redaktionsleitung Plattling-Deggendorf-Osterhofen
Eine solche Beschwerde ist nicht der Ort, sich im Detail mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Ich will deshalb nur darauf hinweisen, dass es hier schlicht keine vernünftigen Antworten gab. Frage 1 beschreibt gewissermaßen die Geschäftsgrundlage von Journalismus und Medienforschung. Wenn man nicht von Wirkungen ausgehen würde, könnten sich beide Berufsgruppen die Arbeit sparen. Zum Thema „Glaubwürdigkeit der Medien“ (Frage 2) habe ich mich 2001 habilitiert und schon seinerzeit darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um keine sinnvolle Kategorie für die Bewertung journalistischer Leistungen handelt. Frage 3 ist suggestiv und so allgemein formuliert, dass eigentlich nur ein „Ja“ möglich ist. Ich habe deshalb am nächsten Morgen eher ironisch geantwortet und die Kollegin zugleich an die Berufstugenden erinnert:
Was soll ich dazu sagen, liebe Andrea Weidemann? Sie finden im Internet komische Sachen über mich und fragen dann, ob dort Falschinfos verbreitet werden. Am besten (das ist ja auch das Credo von Patrik Baab): Sie kommen am Sonntag und machen sich selbst ein Bild. Bis dahin mit den besten Grüßen
Antwort:
Sehr geehrter Herr Meyen, natürlich werde ich am Sonntag anwesend sein. Trotzdem schade, dass sie auf meine Fragen nicht antworten. Ich habe keine „komischen Sachen“ gelesen, sondern konkrete Aussagen von Ihnen zitiert. Darf ich noch mit einer Stellungnahme rechnen?
Frau Weidemann war dann nicht bei der Veranstaltung, hat aber vorab den Artikel veröffentlicht, über den ich mich hier beschwere.
Beide Zitate befinden sich im vierten Absatz des Artikels, der offensichtlich darauf abzielt, ein „Porträt“ von Michael Meyen zu liefern. Dass mein Leben und mehr als 20 Jahre auf einer Professur für Kommunikationswissenschaft an der LMU München dabei auf die beiden Ausgaben der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand (DW) reduziert werden, in denen ich als einer von vier „Herausgebern“ genannt werde, mag schlechter Stil sein. Wenn allerdings mit Anführungszeichen (also als wörtliches Zitat markiert) behauptet wird, ich hätte Deutschland als „Spritzenmörder-Diktatur“ bezeichnet, hört der Spaß auf. Ich habe im März 2002 einen Eid auf die bayerische Verfassung geschworen und würde mich mit einer solchen Aussage selbst ins Abseits stellen und meine berufliche Zukunft aufs Spiel setzen. Dazu kommt, dass der Plattlinger Anzeiger in einer Region erscheint, die seit mehr als dreieinhalb Jahren meine Wahlheimat ist. Eine solche Falschberichterstattung ist so geeignet, meine Reputation auch über mein berufliches Wirken hinaus nachhaltig zu beschädigen.
Das gilt so in etwas abgeschwächter Form auch für das zweite Zitat. Nach einer Zusammenfassung zum Wirken besagter Wochenzeitung folgt „Meyens Meinung“, wieder in Anführungszeichen und mir damit wortwörtlich in den Mund gelegt: „Die Medien haben sich der Propaganda der NATO vollumfänglich unterworfen.“
Ich kann nur mutmaßen, von wem beide Zitate stammen. „Propaganda der NATO“ ist nicht mein Thema, Pauschalisierungen wie „die Medien“ liegen mir fern, und ich würde den Teufel tun, die Bundesrepublik Deutschland als „Diktatur“ zu bezeichnen oder das Wort „Spritzenmörder“ in den Mund zu nehmen (wie auch das Wort „vollumfänglich“, aber das nur am Rande). Falls beide Zitate im DW gestanden haben sollten: Ich habe meine „Beziehung“ zu dieser Wochenzeitung in einem Buch behandelt (Wie ich meine Uni verlor, 2023) und außerdem eine Stellungnahme veröffentlicht (In eigener Sache, 9. Mai 2024).
Dort steht auch, dass ich gegen die Disziplinarstrafe klage, von der Andrea Weidemann zu berichten weiß (verhängt allerdings nicht „von der LMU“, sondern von der Landesanwaltschaft, einer internen Ermittlungsbehörde). Das Verfahren läuft noch. Die Kürzung der „Bezüge um zehn Prozent“ ist folglich ausgesetzt. Ich könnte mich hier also auch wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 13 beschweren.
Zusammengefasst: Andrea Weidemann zielt mit ihrem Text darauf ab, meine Ehre zu verletzen, meine Reputation in Frage zu stellen und die Leser ihrer Zeitung so davon abzuhalten, die Lesung von Patrik Baab am folgenden Tag zu besuchen. Die Autorin legt mir dazu zwei Zitate in den Mund, die nicht von mir stammen. Statt diese Zitate von mir bestätigen zu lassen, schickt sie in einer Mail das, was sie offenbar unter „kritischen Fragen“ versteht (Überschrift des Artikels), und wundert sich dann auch noch, dass es darauf keine Antworten gibt. Der Beitrag verstößt gegen die Ziffern 1, 2 und 9 des Pressekodex und würde auch bei Ziffer 13 einer näheren Prüfung nicht standhalten.
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