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Artikel | 09.05.2024
In eigener Sache
Die Pressemitteilung der Landesanwaltschaft über meine Strafe hat zu Falschmeldungen und Spekulationen geführt. Deshalb hier die Sicht aus erster Hand.
Text: Michael Meyen
 
 

Jetzt habe ich es schwarz auf weiß: schwerwiegendes Dienstvergehen. Die Landesanwaltschaft Bayern ist nach knapp einem Jahr Ermittlungen zu dem Schluss gekommen, dass ich gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen habe sowie gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten. Strafe: 15 Monate lang zehn Prozent weniger Gehalt. Das Disziplinarrecht habe, so heißt es in der Verfügung, zum einen die Aufgabe, „das Ansehen und die Integrität des Beamtentums zu wahren“. Zum anderen gehe es darum, „den Beamten, falls erforderlich, zur künftigen Einhaltung seiner Pflichten anzuhalten“. Die Drohkulisse folgt auf der nächsten Seite: Ein „schwerwiegendes Dienstvergehen“ könne „bis zur Entfernung aus dem Dienst führen“. Vorgeworfen werden mir zwei Dinge:

  • eine große Spende von 2019, eingesammelt bei einer Lesetour zum Buch Die Kurden und ausgezahlt an die Rote Hilfe, die als „linksextremistisch“ gilt und in Bayern vom Verfassungsschutz beobachtet wird, dokumentiert durch ein Foto, das neben Kerem Schamberger und mir einen Scheck zeigt („11.000 Euro – Solidarität sichtbar machen!“), sowie
  • die Unterstützung einer Zeitung, die, so sieht es die Ermittlungsbehörde, „verfassungsschutzrelevanten Verschwörungsideologien“ eine Plattform bietet und auf „Diffamierung und Delegitimierung des Staates“ zielt. Gemeint ist das Wochenblatt Demokratischer Widerstand, das mich in zwei Ausgaben (am 25. März sowie am 1. April 2023) als Mitherausgeber nennt und für das ich außerdem im Herbst 2022 in einem kurzen Video geworben habe.

In der Medienberichterstattung zu meiner Disziplinarstrafe wird Punkt eins weggelassen. Die Landesanwaltschaft Bayern hält Punkt zwei für die „schwerere Verfehlung“, geht aber von einem „einheitlichen Dienstvergehen“ aus und hat auch eine „gemeinsame innere Wurzel für das Fehlverhalten“ ausgemacht – eine „bestimmte Neigung des Beamten, eine bestimmte Charaktereigenschaft“. Beide Handlungen seien dazu geeignet, „das gegenwärtige politische System Deutschlands zu delegitimieren“. Im Klartext: Hier ist ein Überzeugungstäter am Werk, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) bekämpft.

Die Vorwürfe selbst habe ich im Buch „Wie ich meine Uni verlor“, erschienen im September 2023, ausführlich diskutiert. Deshalb amüsieren mich Mails von Journalisten wie Sebastian Krass (Süddeutsche Zeitung), der mir am 3. Mai um 13.41 Uhr schreibt: „Ich bitte um eine Antwort auf die Fragen bis heute, Freitag, 15.40 Uhr.“ Audiatur et altera pars: Das wäre leicht möglich, würde aber bedeuten, auch über den Umbau der Universitäten zu sprechen, um den es im Buch geht, weil sonst mein „Fall“ nicht zu verstehen ist.

Zur Sache haben die Ermittlungen nichts Neues beigetragen. Wie auch. Es gibt das Spendenfoto, das Werbevideo und meinen Namen auf den beiden Zeitungstitelseiten. Dass ich als „Herausgeber“ keinen Einfluss auf die Inhalte hatte, wollte mir der Oberlandesanwalt ebenso wenig abnehmen wie mein Motiv, den Verlegern hin und wieder Feedback zu geben, den Demokratischen Widerstand so zu verbessern und es Gegnern damit zugleich schwerer zu machen, die Argumente des Blattes zu ignorieren. Zeugen zu hören, sei überflüssig. Als Mitherausgeber hätte ich mir eben „eine entsprechende Einflussmöglichkeit sichern lassen müssen“. Mein Name sei für das Blatt außerdem „eine Art Gütesiegel“ gewesen – genau wie die Tatsache, dass ich dort „weiterhin Kolumnen“ verfasst hätte. So oder so habe ich mich jedenfalls „nicht eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung diffamieren“.

Das Zitat hat die Landesanwaltschaft dem Extremistenbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 entnommen. Ganz ähnlich wird bei der Spende für die Rote Hilfe argumentiert. Da es einen Fototermin gab, hätte ich mich als „Werbeträger“ zur Verfügung gestellt und nicht überprüft, wofür das Geld ausgegeben wurde. In einem maßgebenden Kommentar zur Treuepflicht von Beamten von 2019 wird die Linie genau an dieser Stelle gezogen: Problem sind nicht Mitgliedschaften oder Überzeugungen, sondern öffentlich sichtbare Aktivitäten. Eine Kandidatur zum Beispiel, Tätowierungen oder „die Herausgabe und Verteilung von Flugblättern mit verfassungsfeindlichen Inhalten – heute würde man Posts und Tweets auswerten“.

Bei beiden Vorwürfen geht es im Kern folglich um die Frage, ob die Rote Hilfe und der Demokratische Widerstand verfassungsfeindlich sind. Ein Antwortversuch würde diesen Text sprengen. Ich weise deshalb hier nur darauf hin, dass die entsprechende Einstufung der Roten Hilfe seit Jahr und Tag umkämpft ist und die Zeitung DW vor allem deshalb als verfassungsschutzrelevant gilt, weil sie die Corona-Politik in nahezu all ihren Facetten kritisiert. In einem möglichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wird es also auch um die Pandemie-Erzählung gehen müssen und um den Berliner Verfassungsschutzbericht 2022, veröffentlicht etliche Wochen nach meiner Kurzzeit-Mitherausgeberschaft. Jeder kann dort auf den Seiten 42 bis 45 selbst prüfen, auf welche Evidenz sich der Abschnitt über den Demokratischen Widerstand stützt.

Der lange Arm der DDR und das Ideal publizistische Vielfalt

Wichtiger scheint mir an dieser Stelle, die „gemeinsame innere Wurzel“ freizulegen, die all meine öffentlichen Auftritte erklärt, von mir selbst aber ganz anders beschrieben wird als von der Landesanwaltschaft. Auch hier wieder im Klartext: Ja, ich sehe mich als Überzeugungstäter, aber nicht als Kämpfer gegen die FDGO, sondern als einer ihrer vielen Verteidiger – und zwar auf dem Feld, das ich als Wissenschaftler beackern darf. Ich bin in der DDR aufgewachsen. Medien und Journalismus waren dort Instrumente der herrschenden Partei. Wer wie ich in den späten 1980ern als junger Erwachsener in Leipzig gelebt und (nicht nur, aber auch) an dem Dreck gelitten hat, der wortwörtlich in der Luft lag (an manchen Abenden war der Aschenebel so schwer, dass man sich kaum aus dem Haus getraut hat), wer dann erlebt hat, dass Freunde und gute Bekannte das Land verlassen haben, weil man darüber (wie über vieles andere auch) nicht öffentlich sprechen konnte, hat das Schlagwort „publizistische Vielfalt“, das mit dem Umbruch verbunden war, als Versprechen verstanden. Fortan wird es möglich sein, so habe ich das damals gesehen, über all die unterschiedlichen Meinungen und Interessen zu diskutieren, die es in einer Gesellschaft gibt. Man wird sich nicht immer einigen können, natürlich nicht, sich aber selbst ein Bild machen können, weil die entsprechenden Informationen und die wichtigsten Interpretationen für jeden zur Verfügung stehen.

Ich weiß noch, wie Renate Damm zu uns nach Leipzig in den Hörsaal kam, Justiziarin im Verlag Axel Springer. Wir waren skeptisch. Die Bild-Zeitung, das Flaggschiff des Kapitalismus. Und überhaupt. Damms Auftritt ist hängengeblieben. Das Pluralismusmodell. Öffentlichkeit als Feld der Verständigung. Nicht jedes Blatt muss alle Sichtweisen bringen, aber alle zusammen dann schon. Was die DDR und Renate Damm mit den Kurden, der Roten Hilfe und dem Demokratischen Widerstand zu tun haben? Der andere deutsche Staat ist auch gescheitert, weil er Andersdenkende und Gegenpositionen aus dem Debattenraum ausgeschlossen hat. Dem Klassenfeind keine Angriffsfläche bieten. Geschlossenheit zeigen, Genossinnen und Genossen. Keine Fehler zugeben, keine Schwäche zeigen. Diese Kommunikationspolitik ist mit einem bestimmten Menschenbild verknüpft – mit der Idee, dass nur einige wenige (hier: echte Kommunisten, am besten aus der Arbeiterklasse und verdient im Kampf gegen den Faschismus) in der Lage sind, die volle Wahrheit zu verkraften, und dass der Mensch verführbar ist und schwer zu kontrollieren, vor allem in der Masse nicht. Aus einer marxistischen Perspektive klingt das zwar merkwürdig (das Sein bestimmt schließlich das Bewusstsein), dieser Widerspruch ist den Medienlenkern damals aber offenbar nicht aufgefallen oder sie wollten ihn nicht sehen. Vielleicht waren sie einfach zu sehr davon überzeugt, die Bevölkerung erziehen und so einen „neuen Menschen“ schaffen zu können.

YPG, YPJ und die Rote Hilfe

Für die Kurden habe ich mich ab Mitte der 2010er Jahre interessiert, weil sie in der Öffentlichkeit entweder gar nicht oder nur als Täter („Terroristen“) und Opfer (des Islamischen Staates) sichtbar waren. Eine Million Menschen in Deutschland, die oft nicht einmal als Kurden erkennbar sind, weil sie einem ihrer Herkunftsländer zugeschlagen werden (Türkei, Syrien, Iran, Irak). Zumindest in den Leitmedien war nirgendwo zu lesen, dass Abdullah Öcalan](https://free21.org/wie-der-pkk-chef-vom-terroristen-zum-gesellschaftstheoretiker-wurde/) im Gefängnis ein Gesellschaftsmodell entwickelt hat, das die Demokratiedebatte im Westen auch deshalb beleben kann, weil es in Rojava längst ausprobiert wird. Bei vielen der gut 50 Lesungen zum Buch habe ich Kurden kennengelernt, die nach Demonstrationen oder Hausdurchsuchungen kostspielige Gerichtsverfahren laufen hatten. Ein zentrales Thema in diesen Prozessen: Symbole von YPG und YPJ, von kurdischen Einheiten, die der PKK und Öcalans Ideen nahe stehen und deshalb von deutschen Behörden als Ersatz gewertet wurden. Wer etwa einen roten Stern auf Gelb und Grün trägt, so hieß es, der werbe nicht für die Männer und Frauen, die in Syrien gegen den IS kämpfen, sondern für eine Partei, die in Deutschland seit 1993 verboten ist. Ich habe das bei einem kurdischen Kulturfestival im September 2017 in Köln selbst erlebt: Polizeiwagen rund um das Gelände und Uniformierte mit Schnellheftern. Die Liste mit verbotenen Symbolen, die das Bundesinnenministerium damals gerade erst erweitert hatte. Was darf wo gezeigt werden? Meinungsfreiheit ist mein Thema. Ob und wie die Exekutive politische Kundgebungen jeder Art (auch bei Posts im Netz) einschränken kann, muss vor Gericht geklärt werden.

Die Spenden aus dem Publikum der Lesetour an die Rote Hilfe weiterzuleiten, war vor diesem Hintergrund folgerichtig. Die Kampagne „Solidarität sichtbar machen!“ zielte auf die Kriminalisierung der Symbole von YPG und YPJ. Gerechtigkeit darf nicht an Anwaltskosten scheitern. Und wenn Behörden und Polizei alles richtig gemacht haben, werden die Gerichte entsprechend urteilen. Die Landesanwaltschaft wirft mir nun vor, „die Verwendung der Spendengelder durch die ‚Rote Hilfe‘ nicht überprüft zu haben“, und führt an, dass sich die Organisation bis heute nicht von den Taten der RAF distanziert habe und bei „gewaltbereiten Tätern“ von „politischen Gefangenen“ und „Repression“ spreche. Das mag alles sein. Mit meiner Spende hat das nichts zu tun. Hier ging es um etwas, was als Meinungsstraftat eingestuft wurde. Der Kontext wird nicht nur auf der Webseite der Roten Hilfe deutlich, sondern auch in der gedruckten Zeitung.

Das Foto, das dort auf Seite 6 abgebildet ist, hat den Weg in meine Disziplinarverfügung gefunden, dabei aber den Text verloren. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Von der Argumentation der Landesanwaltschaft wäre jedenfalls nichts übriggeblieben. Warum sollte ich die Verwendung von Geldern „überprüfen“, wenn eine Organisation sich öffentlich gleich doppelt bindet? Nicht nur nebenbei: Kerem Schamberger, mein Co-Autor, und ich hätten es uns leicht machen können. 11.000 Euro: Das sind für jeden von uns 110 Euro pro Abend. Ich kenne Kollegen, die unter 500 Euro Honorar keinen Fuß vor die Tür setzen. Genau das wollten wir nicht. Wer ohnehin aus Steuern bezahlt wird, muss nicht doppelt kassieren. Den Kampf gegen die Symbole von YPG und YPJ haben die Behörden 2020 vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht verloren. Begründung: eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Zeitungs-„Herausgeber“, Testimonial, Kolumnist

Die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand wäre nie gegründet worden, wenn die Leitmedien im Frühjahr 2020 ihren Job gemacht hätten. Dies ist zwar kein Forschungsbericht, ich verlinke aber trotzdem einen meiner Blogbeiträge von Anfang 2022 sowie zwei Studien. Die eine sagt, dass die Corona-Berichterstattung der Leitmedien zwischen März 2020 und April 2021 „regierungsnah und regierungskritisch“ war: „Sie war regierungsnah, weil die Medien, ähnlich wie die Politik, überwiegend für harte Maßnahmen plädierten. Sie war zugleich aber auch regierungskritisch, weil den Medien diese Maßnahmen oft gar nicht hart genug erschienen oder zu spät kamen“. Die andere sammelt auf über 150 Seiten Fälle, die für „Qualitätsdefizite im Corona-Journalismus“ stehen. Wie immer man zu solchen Belegen steht: Es wird sich nicht wegdiskutieren lassen, dass der Demokratische Widerstand die Antwort auf ein reales Problem war. Niemand würde Geld und Zeit in ein solches Blatt investieren (weder Macher noch Käufer, mögliche Sponsoren und Leser), wenn er das Gefühl hätte, mit seinen Themen und Positionen in der Öffentlichkeit vertreten zu sein. Das heißt nicht, dass ich alles gut finde, was der Demokratische Widerstand veröffentlicht. Das heißt auch nicht, dass es keine Grenzen des Sagbaren gibt. Für strafbare Äußerungen gibt es einen Gesetzesapparat. Der Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, der von der Landesanwaltschaft unter Berufung auf das Berliner Landesamt gegen die Wochenzeitung ins Feld geführt wird, ist neu und ein zweischneidiges Schwert, weil er dazu geeignet scheint, jede Kritik am Regierungshandeln zu kriminalisieren.

Ich verweise hier auf einen Beitrag von Dietrich Murswiek, der dem Verfassungsschutz am Beispiel der Ahrtal-Katastrophe vorwirft, „Kritik an der Regierung mit Kritik am Demokratie- und am Rechtsstaatsprinzip“ zu verwechseln, so „die Grenzen juristisch fassbarer Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ aufzuweichen und sich selbst dazu zu ermächtigen, „oppositionelle Bestrebungen als extremistische Bestrebungen zu bewerten“. Und weiter unten: „Hier werden die Weichen für eine Bewertungspraxis gestellt, die jede Protestbewegung als angeblich den Staat delegitimierend anprangern kann. Das ist undemokratisch, muss korrigiert werden und darf sich im nächsten Verfassungsschutzbericht nicht wiederholen.“ In Fragen umgewandelt und auf mein Thema gemünzt: Wo liegt die Grenze zwischen legitimer Kritik und Debattenbeiträgen, die schon deshalb zu gesellschaftlicher Stabilität beitragen, weil sie Positionen öffentlich sichtbar machen, die in den Leitmedien marginalisiert werden, und einer Delegitimierung des Staates? Wer legt diese Grenze fest?

Dass ich im Herbst 2022 für den Demokratischen Widerstand geworben habe, ist seinerzeit untergegangen. Ein kurzes Video mit ein paar hundert Aufrufen. Der Text ist eine Reaktion auf den Konzentrationsprozess, den die deutsche Tagespresse seit etlichen Jahren erlebt und der über Großverlage und Zentralredaktionen nicht nur zu einem erheblichen Auflagenschwund führt, sondern auch zu ersten Landkreisen, in denen es keine gedruckte Lokalzeitung mehr gibt (Greiz und Prignitz). Als mich Anselm Lenz, einer der beiden DW-Verleger, um ein Statement bat, kannte ich die Zeitung nicht besonders gut. Ich wusste, seit wann es sie gibt und dass sie auf Demonstrationen verteilt wird, bei denen es um die Corona-Politik von Bund und Ländern ging. Ich wusste auch, dass Lenz und sein Mitstreiter Hendrik Sodenkamp 2016 am Wiener Kapitalismus-Tribunal beteiligt waren, das für den Nestroy nominiert wurde, einen wichtigen Theaterpreis. Und ich ahnte zumindest, welche Energie es kostet, Woche für Woche 15 Zeitungsseiten zu füllen (auf Seite 16 stehen stets die ersten 20 Grundgesetz-Artikel). All das findet sich in meinem Video: „Ich bin Michael Meyen, Presseforscher und Pressehistoriker und bin froh, noch etwas Historisches erlebt zu haben, die Geburt dieser Zeitung in einer Zeit, in der die Presselandschaft schrumpft, in der wir immer weniger selbständige unabhängige Zeitungen haben. Wer Pressevielfalt liebt, dem sei dieses Blatt ans Herz gelegt.“

In der Disziplinarverfügung finden sich Zitate aus vier Texten, die in den DW-Ausgaben 126 und 127 stehen. Im Netz kann das jeder nachlesen und auf den beiden Titelseiten auch meinen Namen finden („Herausgegeben von Anselm Lenz, Hendrik Sodenkamp, Michael Meyen und Giorgio Agamben“):

  • „Seit dem 29. Juni 2022 wird Michael Ballweg in Folterhaft gehalten, weil er dem Corona- und Kriegsregime unbequem wurde“ (Nr. 126, S. 1 – ein Teaser für den Demokalender auf S. 6)
  • „In diesem Land regieren Mörder – sie werden es niemals eingestehen. Sie werden bis zum letzten Tag noch lügen und niemals eingestehen, was wirklich war. Sie werden töten, immer wieder. Und trotzdem scheitern, wie die letzten mit übergroßem Terrorapparat“ (Nr. 126, S. 4 – Auszug aus einem „Kommentar“ von Paul Brandenburg, einem Arzt, der mit „summa cum laude“ promoviert wurde und der hier der Frage nachgeht, warum das „Bürgertum“ in den Corona-Jahren das Grundgesetz nicht verteidigt hat)
  • „Er brachte die Corona-Lüge im August 2020 mit Millionendemos zum Einsturz: Bürgerrechtler Michael Ballweg. Seit 29. Juni 2022 hält ihn das Terrorregime in Folterhaft in Stammheim. Sein Vergehen: Er sagt die Wahrheit.“ (Nr. 127, S. 1 – wieder ein Teaser für den Demokalender auf S. 6)
  • „Was wir aber nicht geschafft haben, ist, dass diese ganzen Verbrecher des Covid-Regimes endlich dort sind, wo sie hingehören: Alle ins Gefängnis. (…) Wir müssen unbedingt weitermachen bis zum umfassenden Sieg“ (Nr. 127, S. 7 – Auszug aus einer Demorede von „Dolli“, der von der Redaktion mit dem Hinweis „starker Redebeitrag“ versehen wurde)

Die Landesanwaltschaft nutzt diese vier Zitate, um zu beweisen, dass es in den fraglichen DW-Ausgaben nicht um die „Überzeugungskraft des Arguments“ gehe und auch nicht um „Kritik an bestehenden Zuständen“ oder die Änderung von Regelungen „in dem dafür rechtlich vorgesehenen Verfahren“, sondern um „Diffamierung und Delegitimierung des Staates“. Unter der Überschrift „Vorwürfe“ gibt es vorher weitere Textfetzen aus besagten Zeitungsausgaben, die dann aber später nicht mehr aufgegriffen werden („Corona war ein Verbrechen“, „Im April 2021 erschütterte ein Urteil aus Weimar das Coronaregime“, die WHO plane „die Entmachtung aller Regierenden und die Vorbereitung der Eine-Welt-Herrschaft“, Trump sei „auch mit dem Mittel der Wahlfälschung“ abgesägt worden).

Noch einmal: Ich habe das alles nicht geschrieben. Zweimal verweist die Redaktion zu Werbezwecken auf den Fall Ballweg, zu dem es inzwischen ein Buch gibt, das zumindest den Raum für eine Debatte öffnen sollte, die keine Interpretation von vornherein verwirft. In den anderen beiden Fällen bietet die Zeitung Positionen eine Bühne, die zwar harsche und in der Wortwahl möglicherweise überzogene Kritik an der Corona-Politik äußern, aber von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und sachliche Anknüpfungspunkte haben. Impfzwang (Care-Berufe, Bundeswehr), Impfschäden, Sterblichkeitsstatistiken, WHO-Pandemievertrag: All das wird in Teilen der Bevölkerung diskutiert und braucht deshalb Öffentlichkeit – auch 2023 schon und noch mehr seit Veröffentlichung der RKI-Protokolle. Ich maße mir nicht an, für Paul Brandenburg oder „Dolli“ den Anwalt zu spielen. Erwachsene können für sich selbst sprechen. Beide bedienen hier den Imperativ der Aufmerksamkeit, um ihrem Anliegen gegen das Schweigen von Leitmedien und Politikbetrieb Gehör zu verschaffen. Es geht dabei zumindest vordergründig nicht um „richtig“ oder „falsch“, sondern um das Gespräch als „Seele der Demokratie“ (Peter Glotz). Wie passt das mit dem Etikett „Diffamierung und Delegitimierung des Staates“ zusammen?

Die Medienkolumne für den Demokratischen Widerstand habe ich nach 41 Ausgaben und ziemlich genau einem Jahr Mitte März 2024 eingestellt. Es ist anstrengend, jede Woche neben einem normalen Job und vielen Vorträgen ein Thema zu finden und so aufzubereiten, dass es in einen Zeitungskasten passt. Ich war müde und wollte wieder mehr Zeit für die Langstrecke haben, für Bücher vor allem und für größere Projekte. Geschrieben habe ich die Kolumne aus zwei Gründen. Nummer eins ist ganz egoistisch. Der Rhythmus einer Wochenzeitung zwingt dazu, am Ball zu bleiben. Ich war noch nie so nah dran am Puls der Medienpolitik. Grund Nummer zwei hat mit meinem Thema zu tun. Medien definieren Wirklichkeit. Um das verstehen und sich orientieren zu können, braucht es Medienkompetenz. Dazu kann ich nach mehr als zwei Jahrzehnten in Forschung und Lehre beitragen. Ich würde eine solche Kolumne auch für die Süddeutsche schreiben oder für die Berliner Zeitung, aber dort hat mich niemand gefragt. „Gute“ und „schlechte“ Medien kenne ich nicht. „Gute“ und „schlechte“ Leserkreise auch nicht. Die Menschen können selbst entscheiden, was sie lesen wollen und was sie dann damit machen.

Noch einmal die DDR

Der Link zur DDR hat sich über die Landesanwaltschaft in diesen Text geschlichen. Der Ermittler hat ein „Persönlichkeitsbild“ eingeholt, erkennbar geschrieben von meinen Kollegen am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Wahrscheinlich wussten sie nicht, dass ich das Papier in meiner Disziplinarakte finde und in weiten Teilen auch in der Disziplinarverfügung. Ich habe nicht gezählt, wie oft ich in der DDR vor ein „Kollektiv“ treten und irgendwelche Sünden erklären musste. Immerhin: Damals wurde der Sünder gehört. Heute meint die Ermittlungsbehörde, meine Sicht auf das „Persönlichkeitsbild“ tue nichts zur Sache. Wenn die Universität sage, dass ich mich mit meinen Positionen seit 2018 „kontinuierlich vom übrigen Kollegium“ entfernt habe, dann sei das „ein Kriterium dafür, wie stark Achtung und Vertrauen beeinträchtigt werden“. Also: „zu Lasten des Beamten“ Meyen zu werten. Ich drehe den Spieß einfach um: Was meine Kollegen da schreiben, fällt auf sie selbst zurück. Ich will das hier gar nicht alles ausbreiten, vor allem die Details aus dem Institutsleben nicht, die akademischen Nachwuchs betreffen. Nur so viel: Was soll man von Medienforschern halten, die mir vorwerfen, ich sei auf Plattformen zu finden, „die dem Umfeld der ‚Querdenken‘-Bewegung von Corona-Leugnern und allgemein dem Milieu von Verschwörungsideologen zuzurechnen seien“? Seit wann verwenden Wissenschaftler Kampfbegriffe ohne jede Definition? Und vor allem: Was hat der Streit um wissenschaftliche Positionen, die ich in meinen Büchern „Breaking News“ (2018) und „Die Propaganda-Matrix“ (2021) vertrete oder in einem Multipolar-Aufsatz, mit meiner Verfassungstreue zu tun? Wissenschaft ist „disziplinierte Skepsis“ (Michael Esfeld). Wissenschaft weiß (hoffentlich), dass wir morgen mehr wissen können oder etwas ganz anderes. Wissenschaft kann es sich deshalb nicht leisten, den Zweifel zu disziplinieren.

Die Strafe würde mich nicht ruinieren. Zehn Prozent weniger Gehalt: Das ist machbar, wenn die Kinder aus dem Haus sind und die Fixkosten im Keller. Ich habe in den letzten Jahren außerdem gelernt, dass jedes Gerichtsverfahren mit meiner Beteiligung Schlagzeilen produziert und nicht nur deshalb auch jenseits der Kostenfrage belastend ist. An einer Klage führt trotzdem kein Weg vorbei. Es geht mir dabei nicht nur um die Corona-Politik und um die Erzählung, an die Landesanwaltschaft und Leitmedien keine Luft lassen, auch nach der Veröffentlichung der RKI-Protokolle nicht. Es geht auch um Kollegen, die im Windschatten der großen Erzählung ihren kleinen Reibach machen wollen und unwidersprochen behaupten dürfen, ich hätte mich „mehrfach öffentlich abfällig und delegitimierend über das Kollegium und universitätsinterne Besetzungsverfahren geäußert“. Ich bin gespannt, was daraus im Licht eines Gerichtssaals wird.

Bildquellen: succo @Pixabay