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Artikel | 17.08.2023
Journalismus besser machen
Recherchieren und so schreiben, dass es jeder versteht: Dieses Handwerk kann man auch jenseits von Medienkonzernen und staatlichen Schulen lernen.
Text: Michael Meyen
 
 

Der erste Geburtstag: Die Freie Akademie für Medien und Journalismus lernt langsam laufen. Es gibt ein Schaufenster, in dem die besten Stücke aus Studiengang und Kompaktkurs ausgestellt sind. Es gibt neue Angebote. Und es gibt Erfahrungen, die nicht nur den Nachwuchs besser machen werden, sondern auch die Ausbildung.

Mediennachwuchs gesucht“ stand über dem Text, der ziemlich genau vor einem Jahr im Rubikon und dann auch auf Apolut veröffentlicht wurde. Ich habe dort erzählt, warum es ein Irrweg ist, Journalisten in den Redaktionen auszubilden.

In Kurzform: Dort lernen die jungen Leute nicht nur das Handwerk, sondern halten am Ende all das für vollkommen normal, was die Leitmedien daran hindert, ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen. Die Kungelei mit den Politikern. Die Anrufe aus der Staatskanzlei oder aus dem Landratsamt. Die Verbeugungen vor den Werbepartnern. Das Schielen auf Twitter und die Angst, auch nur einen Millimeter abzuweichen von der herrschenden Moral. Egal ob Hospitanz, Praktikum oder Volontariat: Immer wird auch geschaut, wer sich anpasst und wer mitmacht. Alle anderen werden früher oder später weggeekelt.

Von der DDR lernen, heißt siegen lernen: Ich weiß, dass sich das heute genauso seltsam anhört wie vor einem Jahr. Der historische Abstand sagt: Es war nicht alles schlecht, selbst in einem Journalismus nicht, den die Partei als ihr Sprachrohr sah. Die SED dachte, dass Medienforschung überflüssig ist. Was in den Zeitungen stand, wussten sie im Zentralkomitee, weil sie es mehr oder weniger diktieren konnten, und dass die Botschaften wirken, stand außer Frage. Sonst hätte der ganze Aufwand keinen Sinn ergeben.

An der Leipziger Sektion Journalistik wurde aus der Not eine Tugend gemacht, frei nach dem Motto: Wenn wir schon nicht die Dinge untersuchen können, die im Westen üblich sind, dann optimieren wir eben das, wofür wir bezahlt werden: die Ausbildung. Entstanden sind Lehrhefte, die man noch heute nutzen kann, wenn man die Ideologie überblättert. Nachricht und Bericht, Reportage und Porträt, Interview, Kommentar und Stil: Der angehende Journalist findet hier alles, was er braucht.

Leipzig war weit weg von Berlin und von den meisten Redaktionen. Hin und wieder kam jemand, der in der Medienlenkungspyramide oben stand, und nicht jeder Dozent war in der Lage, die Scheuklappen abzulegen. Trotzdem. Hier konnte der Nachwuchs diskutieren, was die Gesellschaft vom Journalismus erwartet und warum man selbst ausgerechnet in diesen Beruf wollte und in keinen anderen. Vermutlich verkläre ich das, weil ich erst 1988 zum Studium kam, als längst so viel Dampf im Kessel war, dass jeder Deckel zu klein gewesen wäre. Vielleicht legen sich auch die 18 Monate des Umbruchs auf meine Erinnerungen, eine Zeit, in der die alten Zwänge nicht mehr griffen und die neuen allenfalls am Horizont zu ahnen waren.

Vor einem Jahr habe ich die Idee beschrieben, die damals reifte: ein Journalistikstudium, das all das aufnimmt, was in der DDR zum Handwerk zusammengetragen wurde, und zugleich erlaubt, sich über die eigene Rolle klar zu werden, bevor der Machtblock nach einem greift.

Eine Illusion, ich weiß. Die neue „Supermacht“ aus Staat und Konzernen (Sheldon Wolin) hat in den 1990ern begonnen, Schulen und Universitäten zu unterwerfen und so eine Jugend produziert, die sich um sich selbst dreht, die Alten als „Zukunftsvernichter“ sieht (Thomas Eisinger) und Anpassung für die größte aller Tugenden hält. Man muss sich nur auf Demos umschauen oder bei den Veranstaltungen der Basis-Partei. Generation 50 plus. Die Töchter und Söhne stehen auf der anderen Seite der Barrikade und wollen Oma und Opa am liebsten die Kreuzfahrt verbieten, den Grillabend, den Kamin.

„Mediennachwuchs gesucht“: Der Text vor einem Jahr war Startschuss für ein Gegenmodell, das die Leipziger Erfahrungen in das Hier und Jetzt transportieren will. Meine Frau und ich haben die Freie Akademie für Medien und Journalismus gegründet und junge Leute gesucht, die an sich selbst arbeiten wollen und vor allem an den Kanälen der Gegenöffentlichkeit, in denen es viele gute Ideen gibt und noch mehr guten Willen. Was hin und wieder fehlt, ist Handwerk. Recherchieren und so schreiben, dass es jeder versteht und vor allem auch bereit ist, sich darauf einzulassen.

Die Resonanz war großartig. 35 Bewerbungen, die Hälfte von Leuten unter 30. Wir haben das Feld geteilt: ein ganzes Jahr für die Jungen und ein Kompaktkurs für die etwas Älteren. Die Ergebnisse kann man sich in unserem Schaufenster anschauen. Berichte aus der Landwirtschaft, aus Kuba und aus dem Alltag einer Hebamme, ein Text über das Elend mit den Wärmepumpen und eine Reportage zur Bundeswehr, Rezensionen und Kommentare, ein Interview zu den US-Militärbasen in Deutschland.

Auf der Seite findet man auch das, was wir ab Oktober anbieten: wieder einen Kompaktkurs , dazu Trainings zu Bericht und Interview, zwei Textformen, die für das Publikum wichtig sind, weil es hier all das finden kann, was man braucht, um sich selbst eine Meinung zu bilden ― wenn die Sachen denn gut gemacht sind. Was dort nicht steht: Mit einem Jahr Erfahrung denken wir, dass sich auch Einzelcoaching lohnt, vor allem für die, die sich ein Leben in der Öffentlichkeit vorstellen können, aber nie auf einer Journalistenschule waren.

Mit einem Jahr Erfahrung wissen wir auch, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie wir am Anfang dachten. Die jungen Leute von heute sind auch dann Kinder ihrer Generation, wenn die Haltung stimmt. Sie wissen, dass die Welt schon deshalb auf sie wartet, weil sie viel weniger sind als die Babyboomer, die gerade Platz machen. Sie haben verinnerlicht, dass sie großartig sind und dass sich jemand um sie kümmert, wenn es schwierig wird.

Warum ich das schreibe? Wenn Sie mitmachen wollen, sollten Sie wissen, dass Sie noch nicht perfekt sind. Sie sollten Lust haben, sich auf einen Journalismus einzulassen, der rausgeht zu den Menschen und im Wortsinn sagen will, was dort ist. Information statt Belehrung. Recherche statt Bauchgefühl. Neugier auf andere und anderes statt Selbstbespiegelung. Das klingt banal, ist es aber nicht. Schauen Sie sich um auf den Portalen der Gegenöffentlichkeit. Was Sie noch wissen müssen, wenn Sie sich angesprochen fühlen? Für die Kurse geht es ein paar Tage in die wunderschöne Oberpfalz. Und die Mailadresse für all Ihre Fragen: freie-medienakademie@posteo.de

Erstveröffentlichung: Manova

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Bildquellen: Gerd Altmann, Pixabay