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Reportage | 05.07.2023
Krieg als Show
Die Bundeswehr will junge Menschen für den Dienst an der Waffe begeistern. Gelingt das mit Veranstaltungen wie dem „Tag der Bundeswehr“?
Text: Anna Gémes
 
 

In ganz Bruchsal ist Stau. Im Schneckentempo drängle ich mich mühsam durch die Stadt. Ich folge den Plakaten mit der Aufschrift „Tag der Bundeswehr“ im Camouflage-Stil. Am Parkplatz organisieren zwei Soldaten in Campingstühlen den Shuttlebus zur Veranstaltung. Ihre Funkgeräte rauschen ununterbrochen. Rund 200 Menschen warten auf den nächsten Bus, um auf das Gelände der General Dr. Speidel-Kaserne auf dem Eichelberg zu kommen. Schon morgens um 10 Uhr ist es unerträglich heiß, doch die Besucher sind gut ausgerüstet: Sonnenbrille, Sonnenhut und Sonnenschirm. Perfekt.

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Spaß für die ganze Familie

Es ist der 17. Juni, Tag der Bundeswehr. Heute können Interessierte an zehn verschieden Standorten hinter die Kasernenmauern blicken. Unter dem Motto „Wir sind da“ gibt es Bundeswehr zum Anfassen. Seit 2015 findet diese Veranstaltung statt. Am Hauptort, Bückeburg in Niedersachsen, werden mehr als 100.000 Besucher erwartetet, unter anderem Verteidigungsminister Boris Pistorius. Das ABC-Abwehrbataillons 750 Baden ist in Bruchsal zu Hause und rechnet mit 18.000 Neugierigen. An ihrem Tag will die Bundeswehr mit modernen Fahrzeugen, Waffen und Militärvorführungen glänzen, musikalisch begleitet von den Heeresmusikkorps aus Koblenz. Keine Spur von Personalmangel, Ausrüstungsmangel oder Nazi-Vorwürfen. Man will mit den Bürgern ins Gespräch kommen. Vor allem mit jungen Menschen, denn der Bund will nach eigenen Angaben die Zahl der Soldaten bis 2025 von 183.000 auf 205.000 steigern. Deshalb präsentiert er sich als attraktiver und vielseitiger Arbeitgeber. Geplant, so die Pressemitteilung der Bundeswehr, ist eine Veranstaltung mit Kriegsfahrzeugen, Militärübungen, Marschmusik, Hüpfburg und Mitmachstationen. Spaß für die ganze Familie.

Anreise mit Hindernissen

„Wie lange warten wir hier schon, 40 Minuten“, fragt sich ein junges Paar neben mir unter dem einzigen Baum, der Schatten bietet. Um 10.45 Uhr fliegt das größte Transportflugzeug der Nato, die A400M, über die Kaserne. Doch auch vom außen gelegenen Parkplatz bestaunen alle den riesigen Flieger. Durchatmen, als die beiden Busse um die Ecke biegen. Endlich geht es los. Doch so schnell kommen auch die Shuttles nicht zur Kaserne – sie stehen im selben Stau wie die Autos, die direkt bei der Kaserne parken wollen. In der heißen Sonne überhitzt der Motor des Busses. Wir stellen uns auf eine Wanderung ein. „30 Minuten zu Fuß sagt Google-Maps“, informiert uns ein älterer Herr. Nachdem der Fahrer den Bus doch noch zum Laufen bringt, klatschen alle erleichtert. Trotzdem ist die Stimmung angespannt. Ständiges Stöhnen und wildes Fächern mit dem Flyer. Keine Klimaanlage, keine Luftzirkulation. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Egal, endlich ankommen und raus hier!

An Panzern und Jets rumschrauben

Was motiviert junge Menschen, zur Bundeswehr zu gehen? Im Bus frage ich den 19-jährigen Andreas. Er war schon mehrmals beim Tag der Bundeswehr, ihn interessieren die Militärfahrzeuge. „Sowas siehst du nirgendwo anders. Die sind so einzigartig und high-tech.“ Andreas ist mit einem Freund gekommen, der sitzt allerdings vorn im Bus, wir hinten. Aus seiner Klasse ist er der Einzige, der zum Bund will. „Ich möchte Mechaniker werden und an den Panzern und Jets rumschrauben“, sagt er begeistert. Seine Eltern unterstützen ihn dabei. Der Vater, berichtet Andreas, erinnert sich an gute Erfahrungen beim Wehrdienst zu seiner Zeit.

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Gegenwind

Bei der Einfahrt aufs Kasernengelände sehen wir eine Gruppe von Demonstranten. Sie halten ein Plakat mit er Aufschrift „Kein Werben für Krieg und Sterben!“ in die Höhe. Auf die Frage, warum junge Menschen heute nicht zur Bundeswehr sollten, antwortet eine Anti-Militaristin: „Frieden schaffen ohne Waffen! Durch mehr Soldaten wird es keinen Frieden geben.“ In Bruchsal, erfahre ich, verteilen rund 70 Demonstranten an verschiedenen Standorten Flugblätter. Mehrere Friedensinitiativen haben zum Protest aufgerufen. Die Hauptkundgebung findet am Markplatz statt.

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Wieder Stau – und ein „geiles Ding“

Ein kurzer Fußmarsch trennt uns noch vom Eingang. Doch auch da wieder Stau. Die Taschenkontrollen dauern länger als gedacht. Wer es auf die andere Seite schafft, bekommt eine Tüte Trinkwasser und kann sich unter die begeisterte Menge mischen. Mehrere Kriegsfahrzeuge glitzern in der Sonne. Soldaten sitzen auf den Dächern der Panzer und schlürfen kalte Getränke. Die Besucher stellen sich in langen Schlangen an, für einen Blick ins Innere. Väter posieren mit ihren Söhnen vor den Fahrzeugen. Ein junger Mann testet mit seiner Faust die Hülle des Panzers und nickt seinem Freund anerkennend zu. „Schon ein geiles Ding!“ Später treffe ich die beiden auf der Tribüne wieder. Simon und Alex sind Fans. Besonders Militärfitness und die Spezialeinheiten interessieren sie. Zum Bund wollen sie aber beide nicht. „Ich überlassdas den anderen. Wir haben Freunde, die sind beim Bund, die machen das gut“, lacht Alex. „Ich bin eher so ein Freigeist. Ich mach, was ich will. Militär heißt halt auch Gehorsam“, sagt Simon mit einem Schulterzucken.

Vielseitigster Arbeitgeber Deutschlands?

Junge Menschen sollen heute einen Einblick in die Vielseitigkeit der Bundeswehr bekommen. Die Karrieremeile ist lang, die Werbung liest sich gut: Soldaten können zwischen zahlreichen Ausbildungsberufen und Studiengängen wählen. Alles finanziert vom Bund. Viele nehmen das in Anspruch, um bei beliebten Studiengängen den hohen Numerus Clausus zu umgehen. Während des Studiums oder der Ausbildung wird das normale Gehalt je nach Dienstgrad gezahlt. Zudem ließen sich Lebenserfahrung sammeln und berufliche Skills erlernen.

Auch um Sportler wirbt die Bundeswehr: mit Sportförderung für Spitzensportler. Wie Katharina Hennig (Skilanglauf), Aljona Savchenko (Eiskunstlauf), Philipp Wende (Rudern) oder Arndt „Candy“ Bauer (Bob) – Olympiasieger aus dem Sportförderungsprogramm. Es finanziert ihre Sportkarriere und gleichzeitig Ausbildung oder Studium.

Auf der Bühne berichtet eine junge Feldjägerin von ihrem Weg zur Bundeswehr: Sie wollte ursprünglich zur Bundespolizei, da sie aber kurzsichtig ist, wurde sie nicht genommen. So landete sie bei der Militärpolizei. Solche und ähnliche Werdegänge hört man hier öfters. Plan A klappt nicht, also ab zur Bundeswehr.

Nach Bühnenprogramm, Militärshow und Flyer sammeln geht es zum Verpflegungszelt. Auch hier ist Geduld gefragt. Die leckeren Käsespätzle werden von Soldaten zubereitet. Man siehe: Koch und Grillmeister kann man bei der Bundeswehr auch werden. Beim Essen treffe ich auf Jonas und seine Familie – eine echte Militärfamilie. Der Vater Feldjäger. Der 16-jährige möchte nach dem Abitur in dessen Fußstapfen treten. „Ich habe viele Freunde, die auch zum Bund gehen“, sagt Jonas. „Ich möchte Abendteuer und ich will an meine Grenzen kommen.“ Was sagen die Eltern dazu? „Wir finden das gut. Er ist in diesem Umfeld aufgewachsen. Wir wissen, wie der Hase läuft. Aber jetzt erstmal Abitur und dann sehen wir weiter“, sagt die Mutter mit einem strengen Blick.

Nach mehreren Stunden in der prallen Sonne wird es Zeit zum Gehen. Familien mit Kleinkindern und ältere Herren mit Enkeln machen sich auf den Heimweg. Das führt wieder zu Stau, wenn auch deutlich kürzer als noch ein paar Stunden vorher.

Bilanz der Veranstaltung

Funktioniert die Werbung für den Dienst in einer Armee, die immer lauter trommeln muss, seit das Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 ihr den Zustrom an Rekruten abgeschnitten hat? Schwer zu sagen. Fakt ist, dass diese Veranstaltung vor allem von Familienangehörigen der Soldaten, ehemaligen Wehrdienstleistenden mit ihren Kindern und von jungen, militär- und technikbegeisterten Männern besucht wurde. Jungen wie Jonas brauchen diesen Tag nicht – für ihn steht sowieso fest, dass er die Familientradition beim Bund weiterführen möchte.

Bei meiner Recherche erfahre ich, dass viele junge Menschen bereit wären, aus verschiedenen Gründen zum Bund zu gehen. Doch ihre Motivation ist nicht die Verteidigung Deutschlands oder die Liebe zur Nation. Es locken Abendteuer, Geld, ein sicherer Job. Für andere geht es um Familientradition und Militärliebe. Vielleicht liegt der Soldatenmangel weder an der Werbefähigkeit der Bundeswehr noch an der Bereitschaft der Jugend, sondern vielleicht hilft ein Blick in die aktuelle Politik?

Der Termin für den nächsten „Tag der Bundeswehr“ steht noch nicht fest. Genauso wenig, ob sich die Lage der Bundeswehr bis dahin verändern wird.

Anna Gémes ist Studentin an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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