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Artikel | 10.02.2023
Lernen für den Staat?
Die Meinungsvielfalt im Land schrumpft. Dazu tragen Politik, Medien und das Bildungssystem bei. Die Lösung: Bildungsfreiheit statt Schulpflicht.
Text: Anna Gémes
 
 

Die Deutschen sind Produkte des Bildungssystems. Minister legen im Lehrplan Wissenswertes für künftige mündige Bürger fest. So kommen nicht nur alle in den Genuss der gleichen Allgemeinbildung. Sie haben auch dieselben Bildungslücken. Wie gesagt, das ist kein Zufall!

Komplexes Zusammenspiel

Seit mehreren Jahren, wenn nicht schon seit Jahrzehnten, kann man in Deutschland eine Meinungshegemonie beobachten. Ob es um Terrorismus, Migration, die EU oder Krieg geht – die Bürger verfügen über ein ähnliches Allgemeinwissen, über ähnliche Informationsquellen und ähnliches Denkverhalten. Das ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von Politik, Medien und Schule.

„Was nützt es dem Menschen, wenn er Lesen und Schreiben gelernt hat, aber das Denken anderen überlässt?“ Ernst R. Hauschka, Aphoristiker und Lyriker

Die Rolle des Bildungssystems beschreibt die Bundeszentrale für politische Bildung so: Die Aufgabe besteht zum einen darin, „der Bevölkerung grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln,“ und zum anderen darin, kommende Generationen mit gesellschaftlichen Werten und Weltanschauungen zu jungen Bürgern zu erziehen, die sich „loyal in die Gesellschaft und ihr politisches System integrieren“.

Regierungen bestimmen, was gelernt wird

Die Lehrpläne in Deutschland werden aufgrund der Kultushoheit in den Kultusministerien der Bundesländer entworfen. Welchen Einfluss die jeweilige Regierung auf den Inhalt der Curricula hat, kann man am Beispiel des neuen Bildungsplans in Baden-Württemberg gut verdeutlichen. Bei den Landtagswahlen 2011 wurde die langjährige CDU-Regierung durch eine Koalition von Bündnis 90 und SPD abgelöst. Während der folgenden Regierungsperiode wurde ein neuer Bildungsplan entworfen – entsprechend der Ideologie der Koalition. Dazu gehören unter anderem die Betonung der sexuellen Vielfalt und die Gender-Ideologie. Trotz zahlreicher Demonstrationen von Eltern und Lehrern wurden die Vorhaben im Lehrplan nur umformuliert – und beibehalten. Im Jahr 2016 hat Kultusminister Andreas Stoch (SPD) als letzte Amtshandlung den umstrittenen Bildungsplan in Kraft gesetzt.

Problematisch ist nicht nur der Einfluss der Regierung auf die Bildungspläne, sondern vor allem auch die Schulpflicht, die Eltern und Erziehungsberechtigte zwingt, ihre Kinder in Schulen zu schicken, die nach diesen Lehrplänen agieren müssen. Was ist, wenn man mit der Ideologie der Regierung nicht übereinstimmt? Kinder verbringen einen großen Teil ihrer Zeit in der Schule – und dieser Anteil steigt immer weiter. Mit jeder neuen Idee der Regierung: Kindertagesstätte, Krippe, Ganztagsschule. Was ist, wenn die Kinder und Jugendlichen bei umstrittenen Themen eher den vom Staat ausgebildeten Lehrern vertrauen als ihren Eltern? Müssten die Lehrpläne nicht unabhängig von den Vorstellungen der Regierung sein? Vor allem, weil es eine Schulpflicht gibt?

Warum Schulpflicht?

In Europa ist Deutschland das einzige Land mit einer alternativlosen Schulpflicht. Jedes Kind muss ab dem sechsten Lebensjahr eine staatliche oder private Schule besuchen. Andere EU-Länder wie Spanien setzen auf Bildungsfreiheit oder wie Österreich auf Unterrichtspflicht. Das heißt: Die Kinder können auch zu Hause oder an freien Schulen lernen. In einem solchen System haben Erziehungsberechtigte die Freiheit, Wissen, Werte und Weltanschauung, die ihren Kindern vermittelt werden sollen, selbst auszusuchen. Hierbei geht es nicht um pädagogische Methoden wie Waldorf oder Montessori, sondern um Lerninhalte, Menschenbilder und Ideologien. Die Schulpflicht in Deutschland ist etwa 200 Jahre alt, zählt man dazu auch die Unterrichtspflicht im Kaiserreich. Damals waren Bauernkinder und Mädchen teilweise nicht zum Schulbesuch verpflichtet. Die Schulen lagen in den Händen der Kirchen.

Erst in der Weimarer Republik wurde die allgemeine Schulpflicht, wie wir sie heute kennen, in der Verfassung niedergeschrieben. Um allen Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen und die Gesellschaft zu demokratisieren, wurde die Bildung aus den Händen der Kirche in die des Staates übergeben. Es war klar, dass man durch ein Bildungssystem mit einer Schulpflicht eine Gesellschaft erziehen und formen kann. In diesem Fall zu demokratischen Bürgern.

Den Nationalsozialisten kam die geltende Schulpflicht gelegen. Durch das Reichsschulgesetz konnten sie jedes Kind im Sinne ihrer Ideologie erziehen. Und das von der Verfassung legitimiert, denn der Schulbesuch war Pflicht und der Lehrplan lag in den Händen des Nazi-Regimes. Auch hier wurde eine Gesellschaft mit Hilfe des Schulsystems geformt und erzogen. In dem Fall zu gehorsamen und ideologisierten Bürgern. Während in anderen europäischen Ländern die Schulpflicht durch Bildungsfreiheit oder Unterrichtspflicht abgelöst wurden, kam es den Alliierten des Zweiten Weltkrieges entgegen, die geplante Entnazifizierung und Umerziehung der deutschen Bürger mit Hilfe der Schulpflicht durchzuführen. Jedes Kind muss zur Schule, Lehrpläne werden vom Kultusministerium geschrieben und damit von der herrschenden Regierung. Ziel auch hier: eine Umerziehung der Gesellschaft.

Deutschland braucht Bildungsfreiheit

Darf eine Regierung so viel Macht über das Denken und Wissen der Gesellschaft haben? Ist das nicht Muster eines totalitären Staates? Sind Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit nicht Eckpfeiler der Demokratie? Ist das überhaupt möglich mit der Schulpflicht?

Bildbeschreibung

Nicht der Staat, sondern die Eltern haben die Kinder in die Welt gesetzt und tragen somit die Verantwortung für ihre Bildung und Erziehung. Die Gewissensfreiheit der Eltern, das Elternrecht und die Erziehungsberechtigung müssen vom Staat respektiert werden. Die Erziehung der Kinder gehört zurück in die Hände der Eltern. Sie müssen die Möglichkeit haben, ihre Kinder nach eigenen Werten, eigenem Glauben und Weltbild zu erziehen. Ob sie das durch Heimunterricht, freie, staatliche oder private Schule tun, muss eine Entscheidung der Eltern sein.

Ganz klar, die Sorgen wegen häuslicher Gewalt, Verwahrlosung von Kindern, fehlender Chancengleichheit oder Sprachunterricht für Migranten sind wichtige Fragen. Diese könnten durch Hausbesuche, gesetzliche Jahresklausuren oder zeitlich begrenzte Unterrichtspflicht für bestimmte Personengruppen geregelt werden. Es gibt viele Möglichkeiten. Der Wille in Politik und Gesellschaft fehlt dennoch. Unsere Kinder lernen weder für die Schule noch fürs Leben. Sie lernen für den Staat.

Anni Gémes ist Studentin an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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Bildquellen: Sasin Tipchai, steveriot1; Pixabay