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Interview | 13.06.2023
„Europa könnte sich auch ohne Amerika verteidigen“
Ein Gespräch mit Reiner Braun, Aktivist und Autor sowie bis 2022 Co-Präsident des International Peace Bureau in Berlin, über die US-Militärbasen in Deutschland.
Text: Anna Gémes
 
 

Reiner Braun wurde 1952 in Braunschweig geboren. Während seines Studiums in deutscher Literatur, Journalismus und Geschichte ist er durch den Krefelder Appell 1982 zum ersten Mal in der Friedensbewegung aktiv geworden. Braun hat unter anderem bei der Max-Planck-Gesellschaft die Jubiläumsausstellung zum Thema „Einstein und Frieden“ mitorganisiert. Daraus sind mehrere Bücher zum Thema Frieden entstanden. Bis zum vorigen Jahr war er Co-Präsident und Executive Director des International Peace Bureau (IPB). Bis heute ist er aktiv in der „Stopp Air Base Ramstein“-Kampagne und in der Initiative „Abrüsten statt Aufrüsten“.

Reiner Braun

Herr Braun, ich komme aus der Region Stuttgart. Einige meiner Freunde arbeiten im US-Militär, deshalb sind mir auch die Militärbasen nicht fremd. Wie kam es dazu, dass das US-Militär in Deutschland stationiert wurde und noch immer stationiert ist?

Das ist eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Damals haben alle vier Siegermächte in Deutschland Militärbasen errichtet beziehungsweise die besetzten deutschen Kasernen benutzt. Von allen Alliierten waren die Amerikaner mit den meisten Soldaten, mit rund 200.000, in Deutschland vertreten. Nach Ende des Kalten Kriegs haben die Franzosen und Briten ihre Soldaten aus Deutschland abgezogen, da solch eine Stationierung mit hohen Kosten verbunden ist. Auch die Amerikaner haben die Zahl der Soldaten reduziert. Bei der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 hat auch die Sowjetunion alle Soldaten abgezogen. Deutschland blieb NATO-Mitglied, auch nach der Wiedervereinigung, und als Konsequenz blieben auch US-Truppen in der BRD. Die juristische und politische Grundlage dafür ist das neue Stationierungsabkommen zwischen dem souveränen Deutschland und der Ex-Besatzungsmacht USA aus dem Jahr 1991. Ein völkerrechtliches Dokument, in dem die deutsche Regierung deutschen Boden an das US-Militär verpachtet. Dieses Dokument enthält bilaterale Sonderregelungen. Sie beeinflussen die Souveränität Deutschlands, ähnlich wie der Beitritt zu EU oder NATO.

Sie erwähnen die hohen Kosten einer Stationierung. Warum sind die Amerikaner trotzdem noch da?

Diese Präsenz gehört zur außenpolitischen Strategie der USA. Deutschland lieg zentral in Europa. Lange Zeit war es die vorderste Front zwischen der Sowjetunion, später Russland, und den USA beziehungsweise der NATO. Die Amerikaner verfügen über das größte Militärbudget weltweit. Sie investieren in ihre Militärbasen, weil sie diese zur Absicherung ihrer hegemonialen Vormachtstellung brauchen.

„Keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down.“ Lord Ismay, Generalsekretär der NATO (1952 - 1957)

Deutschland wird oft als Knotenpunkt oder Drehkreuz des US-Militärs genannt. Was heißt das genau?

Die USA haben die Welt in verschiedene Kommandozonen aufgeteilt. Zwei der Kommandozentralen der USA liegen in Deutschland. Das European Command (EUCOM) und das African Command (AFRICOM) befinden sich in Stuttgart. Von dort werden alle militärischen Missionen, Operationen und logistischen Schritte in Europa und in Afrika gelenkt. Zudem ist die Air Base Ramstein nahe Kaiserlautern die größte Militärbasis der USA außerhalb der USA. Dort starten und landen zu Kriegszeiten alle 30 Sekunden Flugzeuge und Helikopter mit Materialien, Soldaten, Verletzten und vielem mehr. Zu erwähnen ist auch die Drohnenzentrale auf der Ramstein Air Base. Ohne Ramstein wäre der völkerrechtswidrige Drohnenkrieg der USA nicht möglich. Aufgrund der Erdkrümmung muss zwischen den USA und den Kriegsgebieten im Nahen Osten, in Afrika oder auch in Asien ein Standort zwischengeschaltet werden. Der einzige Ort in der Welt, wo dieses stattfindet, ist Ramstein. Neben all diesen Militärzentren sind auch noch Atomwaffen in Büchel gelagert. Und das größte Militärkrankenhaus des US-Militärs entsteht gerade in Landstuhl bei Ramstein beziehungsweise bei Kaiserslautern. Da werden viele der bei den illegalen Interventionseinsätzen verwundeten Soldaten der USA – fast nur Männer – versorgt.

Welche Funktionen haben die Basen?

Eine Menge. Ich würde das auch gar nicht auf Deutschland beschränken, sondern allgemein formulieren. Das US-Militär hat über 800 Stützpunkte weltweit. Zum einen sind es logistische Zentren für die Kriegsführung. Es sind Materiallager und sie beherbergen Manpower. Sie sind ein Zeichen der Macht. Kein anderes Land hat so viele Militärbasen im Ausland. Wenn man eine Weltkarte mit ihnen anschaut, dann ist die Einkreisung Russland und Chinas nicht zu übersehen. Militärbasen erlauben den USA auch die Verbindung mit dem Militär in den jeweiligen Ländern. Sie dienen darüber hinaus oft zur Bekämpfung von Oppositionsbewegungen vor Ort. Zahlreiche Putsche liefen über Militärbasen.

Was geschieht auf den US-Militärbasen in Deutschland?

EUCOM und AFRICOM in Stuttgart dienen als strategische Zentren für jegliche Militäroperation in Europa und Afrika. Auf Ramstein befinden sich neben der Drohnenzentrale auch die Spionage- und Satellitenzentrale sowie die Kommandozentrale des Raketenabwehrsystems. Auf allen Militärbasen in Deutschland werden Kriegsmaterialen gelagert. Die Materiallieferungen laufen größtenteils über die Flugbasen Ramstein und Ansbach. In Grafenwöhr und Ramstein werden seit 2014 bis heute ukrainische Offiziere und seit 2022 auch Soldaten ausgebildet. Grafenwöhr ist der größte Truppenübungsplatz und wird als Drehkreuz für Truppenversetzungen genutzt. In Büchel werden amerikanische Atomwaffen gelagert. In Landstuhl befindet sich momentan das Militärlazarett der USA. Wie schon erwähnt: Zurzeit wird das größte und modernste US-Militärlazarett mit deutscher Beteiligung auf Ramstein gebaut. Bürger Deutschlands, ja selbst deutsche Soldaten werden allerdings nie Zutritt zu diesem Krankenhaus haben.

Sie haben anfangs von einem Pachtvertrag gesprochen. Welche Abmachungen gelten demzufolge für Militärkasernen und Übungsplätze?

Deutscher Boden wird an das US-Militär verpachtet. Somit entsteht gepachtetes amerikanisches Hoheitsgebiet auf deutschem Boden. Tatsächlich „little America“ mitten in Deutschland. Auf den Basen gelten amerikanische Verkehrsregeln. Es wird in Dollar gezahlt. Die Amerikaner haben ihre eigene Polizei. Dennoch dürfen sie nicht gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen. Es gibt aber bilaterale Abkommen, die Sonderregelungen für das amerikanische Militär beinhalten und dieses prinzipiell straffrei werden lässt. Dazu kommen allgemeine Sonderauflagen für jedes Militär – diese gelten auch für die Bundeswehr. Dazu gehören vor allem so gut wie keine Umweltauflagen. Durch diese Sonderabkommen wird im Grunde das Grundgesetz ausgehebelt. Deutschland sieht sich als Juniorpartner der USA – das amerikanische Militär gilt als Freund. Interessant ist: Dieser Zustand kann durch den deutschen Bundestag beendet werden. Die Kündigungsfrist für die Militärbasen beträgt 24 Monate, beide Seiten können kündigen.

Welche Vorteile ergeben sich durch diese Verträge?

Die Amerikaner haben die meisten Vorteile. Sie können spionieren, Kontakte knüpfen und ihre Interessen weltweit vertreten und im Zweifel auch militärisch durchsetzen. So versuchen sie, die unipolare Welt mit einer einzigen Führungsmacht, nämlich den USA, militärisch abzusichern. Auch die deutsche Bevölkerung, besonders auch kleine Unternehmer und Vermieter, hatten und haben wirtschaftliche Vorteile. Obwohl diese seit 2001 stetig abnehmen. Aber die Prostitution, die Alkoholbranche und die Autobranche profitieren weiterhin.

Oft werden die Amerikaner als Schutzmacht bezeichnet. Wir brauchen sie, damit wir uns schützen können. Stimmt das?

Naja, wenn man davon ausgeht, dass wir uns vor den Russen schützen müssen, dann kann ich dazu nur sagen, dass die Militärausgaben aller EU-Länder zusammen das Dreifache der Militärausgaben von Russland sind. Rein von den Zahlen her: Europa könnten sich auch ohne Amerika verteidigen. Aber meiner Meinung nach geht es nicht wirklich um die Russen oder um Schutz. Es geht um Macht und um viel Geld und Profit. Aber: Militär ist immer ein Unsicherheitsfaktor. Deshalb sollten alle Seiten abrüsten und keine Feinde benannt werden.

Welche Probleme ergeben sich aus den Militärbasen?

Zum einen haben wir ein massives Lärmproblem um die Militärbasen herum. Sie können sich vorstellen, wie es sich anhört, wenn alle 30 Sekunden ein Militärflugzeug oder -Hubschrauber startet oder landet. Und nicht nur zu Kriegszeiten, sondern die Flugstunden für Militärpiloten sind generell enorm hoch. Sie sind also auch ständig für Übungsflüge unterwegs. Zur Lärmkulisse tragen zweitens die Schießgeräusche bei. Zum anderen haben wir ein Umweltproblem. Das Militär-Kerosin für die Flugzeuge und -Hubschrauber ist hochkonzentriert und höchst krebserregend. Diese lassen auch immer mehr Kerosin ab beim Landen, damit sie nicht mehr so schwer sind. Das verschmutzt das Grundwasser und setzt sich auf den Fensterbänken der Einwohner ab. Wir haben einen massiven CO2-Ausstoß durch jedes Militär – nicht nur durch das US-Militär, obwohl die Amerikaner die meisten Fahrzeuge haben. Die bestehenden Basen werden auch immer mehr erweitert, um am Ende wenige große Standorte zu habe. Dabei werden Wälder abgeholzt. Die Übungsplätze, auf denen mit scharfen Waffen geschossen wird, sind nach einem Abzug nicht ohne Weiteres wieder zivil nutzbar. Das Militär und die Umweltprobleme haben zum Beispiel das Tourismusgebiet Pfälzer Wald relativ unattraktiv gemacht. Und zu guter Letzt darf man das Gewaltproblem nicht herunterspielen: Das Auftreten einzelner Soldaten als Besatzungsmacht, die Herrschaftsattitüde, die Prostitution, sexuelle Übergriffe und die zahlreichen Körperverletzungen durch amerikanische Soldaten. Alles nachgewiesene Phänomene.

Bildbeschreibung

Wie werden die Basen finanziert und versorgt?

Die Finanzierung ist durch die Pachtverträge geregelt. Ein Drittel der Kosten kommt aus deutschen Steuergeldern und zwei Drittel werden aus dem amerikanischen Militärbudget finanziert. Die geheimen Militäroperationen werden ausschließlich von den USA bezahlt, so hat Deutschland allerdings auch weder Zugriff noch Informationen. Es sei denn, es gibt Zusatzregelungen. So haben wir den ersten Golfkrieg mit mehreren Milliarden Euro unterstützt. Sollten Militärbasen in Zukunft aufgegeben werden, müssen nach den Verträgen die USA einen Teil zur Re-Zivilisierung beisteuern. Das ist in der Vergangenheit allerdings niemals geschehen. Die Basen werden zum größten Teil durch die deutsche Infrastruktur versorgt. Sie haben aber besonders seit dem 11. September 2001 ihre eigenen Schulen, Sportvereine, Einkaufszentren mit amerikanischen Lebensmitteln und Produkten. Nach 9/11 hat sich das US-Militär relativ stark aus der deutschen Zivilbevölkerung zurückgezogen. Während vor 2001 Kleinunternehmen aus der Region die Basen durch technische Reparaturen und ähnliches versorgt haben, wird das heute zum größten Teil von den Amerikanern selbst geregelt. Auch die Wohngebiete befinden sich zu den größten Teilen nur noch auf den Basen.

Welche Operationen im Ukraine-Krieg laufen über die amerikanischen Basen? Sind sie mit deutschem und Völkerrecht vereinbar?

Unser Recht sagt klar: Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen. Auch nach dem UNO-Gewaltverbot ist Krieg illegal. Auch wenn die Regierung es bestreitet, ist Deutschland nach meiner Analyse Kriegspartei. Deutschland liefert nicht nur Angriffswaffen, sondern auf deutschem Boden werden auch ukrainische Soldaten ausgebildet. Das ist nach dem Völkerrecht eine Kriegsbeteiligung. Zudem werden Materialien und Waffen aus Ramstein, Grafenwöhr und Ansbach geliefert. Aus Stuttgart und Ramstein gibt es strategische Hilfeleistungen. Jede Beteiligung am Ukraine-Krieg muss aber eingestellt werden. Es muss einen Waffenstillstand geben und die Kriegsparteien müssen verhandeln.

Sie sind in der Friedensbewegung aktiv, unter anderem bei „Stopp Air Base Ramstein“. Was fordert die Friedensbewegung?

Die Friedensbewegung in Deutschland besteht aus vielen Gruppierungen, das ist auch gut so. In der Pluralität und Vielfalt, in den dezentralen Strukturen liegt eine der Stärken. Aber die Forderungen, die uns alle verbinden, sind folgende: Wir wollen keine US-Atomwaffen in Europa. Wir fordern Abrüstung statt Aufrüstung. Wir fordern die Aufkündigung der Stationierungsabkommen. Wir fordern letztendlich auch die Auflösung aller militärischen Allianzen zugunsten eines kollektiven, inklusiven Sicherheitssystems und kein exklusives mit Feindbildern. Dies wäre eine Politik der gemeinsamen Sicherheit.

Was hat die Friedensbewegung erreicht?

Zum Beispiel die massive Reduzierung von US-Soldaten. In Deutschland sind es zurzeit rund 35.000 Soldaten plus Angehörige. Bis 2014 gab es eine längere Phase der Rüstungskontrolle und der Abrüstung, die ist leider vorbei. Es läuft das Gegenteil. Die Atomwaffen aus Ramstein wurden 2005 vermutlich abgezogen. Wir haben nur in Büchel beziehungsweise wegen Baumaßnahmen gerade in Nörvenich Atomwaffen. Regional haben wir schon einiges erreichen können, was zum Beispiel Flugzeiten angeht. Auch werden viele kleine Basen auf größere Zentren verlegt. Die Industrie-Konversion, also die Umstellung der Produktion von Rüstungsgütern auf zivile Produkte, ist aber eine Herausforderung. Da sind wir dran. Durch Corona ist aber auch die Friedensbewegung gespalten und verkleinert worden. Seit dem Ukraine-Krieg wachsen wir aber wieder.

Anna Gémes ist Studentin an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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