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Rezension | 02.01.2023
Die Wahrheit von Meghan & Harry
„Harry & Meghan" ist ein Renner auf Netflix. Das Selbstmitleid der Ex-Royals verkauft sich gut. Die Doku bringt aber auch Probleme unserer Gesellschaft auf den Punkt.
Text: Anna Gémes
 
 

Die Liebesgeschichte von Harry und Meghan und der Rückzug aus dem Königshaus: Jetzt hat es das ehemalige Herzogspaar auf Netflix geschafft. Das hat ganze zwei Jahre gedauert. Am 8. Dezember 2022 erschien die Doku Harry & Meghan auf der Streaming-Plattform. Deren Zusammenarbeit mit der Organisation „Archwell“, gegründet von Meghan Markle und Prinz Harry, war 2020 bekannt geworden. Regisseurin Liz Gabus fasst nun in sechs Teilen das Narrativ zusammen, das die beiden Protagonisten unters Volk bringen wollen.

In den ersten drei Teilen wird einmal mehr die Liebesgeschichte von Harry und Meghan erzählt. Die geänderten Details fallen nur ganz aufmerksamen Zuschauern auf. Auch die Vorgeschichten ruft die Serie in Erinnerung. Der witzige Prinz mit einer dramatischen Familienstory und die aufsteigende Schauspielerin, die gern von ihrem Mixed-Race-Hintergrund und Feminismus spricht. Das Ehepaar klagt wieder über die gnadenlose Boulevardpresse der Briten. Nicht fehlen dürfen außerdem die Mainstream-Themen Rassismus, Sexismus, Klimawandel, Monarchie und Wohltätigkeitsarbeit.

„Vergesst uns nicht!"

Die Sussexes haben inzwischen zu jeder Geschichte ihre Version erzählt. Im berühmte Enthüllungsinterview mit Oprah Winfrey versuchten sie 2021 vergeblich, die Herzen der Royal-Fans zu gewinnen. Die zahlreichen Ungenauigkeiten gingen schnell durch die Presse. Das Narrativ damals wie heute: Wir sind die Opfer. Ihr seid die Rassisten. Wir wollen Privatleben haben. Ihr lässt uns nicht in Ruhe. Mit anderen Worten: Wir wollen Opfer sein. Kritiker sind Rassisten. Wir brauchen Aufmerksamkeit. Vergesst uns nicht! Genau deshalb ist diese Dokumentation entstanden. „Wenn die Leute schon so lange keine Ahnung haben, wer du bist, ist es einfach schön, die Gelegenheit zu haben, ihnen einen Einblick in das zu geben, was passiert ist und wer wir sind“, sagt Meghan in Folge 1. Harry: „Es geht nicht nur um unsere Geschichte. Es ging immer schon um so viel mehr. Keiner kennt die ganze Wahrheit. Wir kennen die ganze Wahrheit.“ Nun, bei so etwas muss man aufhorchen.

Selbstmitleid und Opferrolle

Viele Handy-Videos sollen Glaubwürdigkeit vermitteln. Doch der ständige Wechsel zwischen professionellem und Laienmaterial stört. Ein gemeinsames Interview des Paares erzählt die Geschichte. Sie in Weiß. Er in Schwarz. Sie die Unschuldige und er das schwarze Schaf der Familie? „Da ist eine Hierarchie in der Königsfamilie“, sagt der 38-jährige Harry, als wäre ihm diese Tatsache eben erst bewusst geworden. Seine 41-jährige Ehefrau scheint trotz ihres Bachelors in „Internationalen Beziehungen“ von den kulturellen Unterschieden im Vereinigten Königreich erschüttert zu sein. Solche und ähnliche Aussagen lassen Zweifel aufkommen. Die dramatische Musik, die theatralischen Seufzer Meghans und die übertriebenen Szenen scheinen ein Ruf nach Beachtung zu sein. Das ist nicht überraschend, denn schließlich kommen beide aus zerbrochenen Elternhäusern. „Das verbindet uns“, so der Prinz. Ihn beschäftigt die Geschichte seiner Mutter, Lady Diana. Mit der schwierigen Beziehung zwischen Meghan und der Presse fürchtet er eine Wiederholung. Die Herzogin offenbart ihr Gefühl der Zerrissenheit durch ein Gedicht, dass sie als Teenager geschrieben hat. Es handelt vom Pendelleben zwischen zwei Elternhäusern. Ihre Mutter ist afro-amerikanischer und ihr Vater deutsch-irischer Herkunft. Keiner Seite fühlt sie sich zugehörig. Eigentlich ein persönliches Problem, das Meghan bewusst in die Öffentlichkeit bringt – wie viele Prominente Hollywoods. Bekannt ist diese Phänomen als „Victim Mentality“. Dabei geht es um die Überbetonung eines Details mit dem Ziel, Mitleid zu erwecken und letztendlich Profit zu machen.

Rassismus rechtfertigt alles

Die Doku bezeichnet jede Schwierigkeit, die auf das royale Paar zugekommen ist, schlicht als rassistisch. Die Tatsache, dass nicht ausschließlich Meghan Markle mit der Boulevardpresse zu kämpfen hat, sondern jedes Familienmitglied der Königsfamilie, erklärt Prinz Harry beispielsweise mit dem Satz: „Der Unterschied ist, es geht um Rassismus.“ Und damit sind alle weiteren Handlungen Meghans, also Statements, Gerichtsverfahren, Rückzug aus der Königsfamilie und auch diese Doku gerechtfertigt.

Man könnte abwinken und die Doku ignorieren. Was interessiert uns das Selbstmitleid der britischen Ex-Royals? Harry & Meghan zeigt aber, welche Probleme die westliche Welt und damit auch unsere Gesellschaft bewegen: Alles und jeder ist Rassist. Prominente Menschen, die ganz offensichtlich eine Therapie bräuchten, ergehen sich in den sozialen Medien in Selbstmitleid und schlagen daraus Profit. Jeder darf seine Wahrheit haben, man will niemandem auf die Füße treten und Realitätsbezug einfordern. Lügen müssen nur oft genug wiederholt werden, dann glaubt sie jeder. Die USA sind der Ort der Freiheit. Die Serie will den Zuschauer manipulieren, aber dank des mangelnden Talents der beiden Hauptdarsteller ist das leicht zu durchschauen.

Harry & Meghan, Netflix-Doku, sechs Folgen, erschienen im Dezember 2022

Anni Gémes ist Studentin an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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Bildquellen: VIVIANE M., Pixabay