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Artikel | 09.02.2023
Licht aus bei RT DE
Der Informationskrieg geht in die nächste Runde: Der deutsche Ableger von Russia Today zeigt nach den neuen Sanktionen, wie es in der EU um die Pressefreiheit steht.
Text: Flavio von Witzleben
 
 

Haben Sie ihn gehört? Den Aufschrei, der durch die deutsche Medienlandschaft ging, nachdem der russische Nachrichtensender RT DE angekündigt hat, seine journalistische Arbeit in Deutschland einzustellen? Ich auch nicht. Im Gegenteil: Bereits vor den jüngsten Entwicklungen im Krieg um die Deutungshoheit fragte die FAZ: „Warum stoppt niemand RT DE?“ Und das Redaktionsnetzwerk Deutschland stellte fest: „RT verbreitet weiter prorussische Propaganda.“ Die Leitmedien sind da, wo sie in Kriegszeiten eben immer sind: auf der Seite der Regierung.

Ende der Pressefreiheit

Was ist geschehen? Am 3. Februar kündigte der deutsche Ableger von Russia Today, RT DE, die Beendigung seiner journalistischen Aktivität in Deutschland an. Das im Dezember von der EU verabschiedete neunte Sanktionspaket habe „unseren Mitarbeitern praktisch die Luft abgedreht“, hieß es in einer Stellungnahme. „RT DE Productions gibt mit Bedauern die Entscheidung bekannt, die journalistischen Aktivitäten des Unternehmens in Deutschland einzustellen“. Weiter im Text: „Die EU hat durch das Zulassen von Sanktionen gegen die Medienfreiheit gezeigt, dass eben jene Werte, die angeblich den Kern ihrer Existenz bilden, jeder Grundlage entbehren. Die Pressefreiheit existiert in Deutschland nicht mehr“. Noch bis zuletzt war und ist die Seite über virtuelle private Netzwerke (VPN) oder Tor-Browser erreichbar.

In der jüngsten EU-Sanktionsrunde vom Dezember wurde die Liste der russischen Sender, deren Sendelizenzen ausgesetzt wurden, um vier Kanäle erweitert: NTV/NTV Mir, Rossija 1, Ren TV und ANO TV-Nowosti, die Muttergesellschaft von RT DE. „Durch seine untergeordneten Medien, einschließlich RT, verbreitet ANO TV-Nowosti Kreml-Propaganda und Desinformation und unterstützt Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine“, heißt es in der neuen Sanktionsankündigung. Vor dem Aus von RT DE war im Januar bereits der französische Russia Today-Ableger RT France geschlossen worden. Der Sender stellte seinen Betrieb ein, nachdem das französische Finanzministerium im Einklang mit den Brüsseler Restriktionen sein Vermögen eingefroren hatte.

Giftige Lügen

Bereits seit März 2022 gilt in der gesamten EU ein Sendeverbot für russische Staatsmedien – beschlossen kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine und von den Nationalstaaten auf unterschiedliche Art und Weise umgesetzt. „Wir sind Zeugen massiver Propaganda und Desinformation über diesen ungeheuerlichen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu jener Zeit. Die EU könne es nicht zulassen, dass die russischen Sender „ihre giftigen Lügen zur Rechtfertigung von Putins Krieg verbreiten oder die Saat der Spaltung in unserer Union säen“.

Verstoß gegen die Grundrechtecharta

Die Kampagne gegen russische Staatsmedien stellt in der Europäischen Union ein Novum dar. Noch nie gab es seit Bestehen des Staatenbundes einen derartigen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit. Dabei wurde in der Charta der Grundrechte explizit festgehalten, dass diese unveräußerlicher und integraler Bestandteil einer liberalen Ordnung sind. So heißt es in Artikel 11: „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.“ Und weiter: „Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“ Das Verbot russischer Staatsmedien stellt also einen eklatanten Verstoß gegen das verbriefte Recht auf Meinungspluralität dar.

Doch nicht nur das: Etwaige Eingriffe in die Pressefreiheit fallen nicht in den Aufgabenbereich der Europäischen Union, sondern sind Sache der Nationalstaaten. Diese sollen in souveräner Entscheidungsgewalt darüber verfügen, welche Medien in den jeweiligen Ländern ausgestrahlt werden – und welche nicht. Die Sanktionen sind daher nicht nur ein Verstoß gegen die Charta der Grundrechte, sondern unterminieren auch die Souveränität der Nationalstaaten und machen es für die Bürger quasi unmöglich, die russische Perspektive auf den Konflikt nachvollziehen zu können. Es ist, um das Kind beim Namen zu nennen, eine totalitäre Form der Zensur, die wir bisher nur aus „rückständigen“ Staaten wie der Türkei, dem Iran oder Kuba kannten.

Doch bedeutet dies nun das Ende von RT DE in Deutschland? Scheinbar nicht. Denn bereits im zweiten Satz der Stellungnahme betont der russische Sender, dass es weitergehen wird: „Die Inhalte und Berichterstattung von RT DE bleiben aber weiterhin auf dieser Homepage für Sie erhalten“. Es wird also auch in Zukunft möglich sein, der verordneten Narrativ-Gleichschaltung zu entgehen – alles, was es dafür braucht, ist ein klein wenig technisches Geschick.

Flavio von Witzleben ist Student an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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Bildquellen: Gerd Altmann, Pixabay