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Welt-Tresen: Schweiz | 10.06.2025
Zwang auf leisen Sohlen
Künftig sollen Krankenversicherte in der Schweiz automatisch ein elektronisches Patientendossier erhalten, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen.
Text: Michael Straumann
 
 

Seit dem Frühjahr 2025 gibt es in Deutschland die elektronische Patientenakte flächendeckend. Doch von einem Erfolg kann nicht die Rede sein. Bereits Ende 2024 zeigte der Chaos Computer Club, wie einfach sich Gesundheitsdaten aus der digitalen Patientenakte hacken lassen. Das Vertrauen in die digitale Lösung ist gering – die Nachfrage entsprechend niedrig.

Trotzdem will nun auch die Regierung in der Schweiz das elektronische Patientendossier verpflichtend machen. Die geplante Gesetzesrevision sieht vor, dass für jede versicherte Person automatisch ein Dossier eingerichtet wird – es sei denn, sie widerspricht innerhalb von 90 Tagen. Das sogenannte Opt-out-Modell. Bislang haben sich nur rund 111.000 Menschen aktiv für ein elektronisches Patientendossier entschieden – obwohl sechs Millionen Franken Steuergeld in eine Werbekampagne flossen. Der Bundesrat will die Bürger nun zu ihrem „Glück‟ zwingen.

Datenschützer schlagen Alarm

Das elektronische Patientendossier ist teuer. Bis 2024 wurden bereits über 80 Millionen Franken ausgegeben, hinzu kommen Übergangsfinanzierungen von Bund und Kantonen in Höhe von je 30 Millionen. Der jährliche Betrieb soll rund 50 Millionen Franken kosten. In Österreich – wo ebenfalls ein Opt-out-Modell gilt – werden rund 40 Prozent der automatisch eröffneten Dossiers von niemandem aktiv genutzt. Für die Schweiz hieße das: über vier Millionen Dossiers mit sensiblen Daten, aber ohne Nutzen für die Patienten.

Die kantonalen Datenschutzbeauftragten und auch der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Adrian Lobsiger warnen, dass das Widerspruchsmodell den verfassungsmäßig garantierten Schutz der Privatsphäre verletzen könne. In einer internen Stellungnahme heißt es, viele Menschen seien digital überfordert und könnten nicht effektiv widersprechen oder Zugriffe kontrollieren. Trotzdem entschied das Bundesamt für Gesundheit 2023 unter Alain Berset, dem damaligen Vorsteher des Gesundheitsdepartements, dem Parlament nur das Opt-out-Modell vorzulegen – entgegen einem früheren Beschluss, beide Varianten offen zu halten (Opt-in und Opt-out).

Gefundenes Fressen für Hacker

Die Bedenken beschränken sich nicht auf das Rechtliche. Auf dem 38. Chaos Communication Congress zeigten IT-Experten eindrücklich, wie sich Zugriffsrechte auf Patientendossiers mit einfachen Mitteln kapern lassen – sei es durch schlecht gesicherte Praxis- oder gefälschte Gesundheitskarten. Ein einziger kompromittierter Praxiszugang könnte den Zugriff auf Tausende Patientenakten ermöglichen.

Die Daten werden nicht auf der Versichertenkarte gespeichert, sondern zentral über eine Cloud – oft bei privaten Anbietern. In Deutschland nutzen Krankenkassen wie die Barmer oder die Techniker Krankenkasse Server von IBM. In der Schweiz ist Sanela, das Tochterunternehmen der Schweizerischen Post, Favoritin für den Betrieb. Doch auch ausländische Konzerne könnten sich bewerben. Apps zum Zugriff auf das digitale Patientendossier werden zwar „geprüft‟, doch nicht durch Schweizer Behörden – sondern durch Google oder Apple. Das verstärkt Datenschutzsorgen zusätzlich.

Verschiedene Policies – eine Agenda

Die Debatte erinnert an die Revision des Transplantationsgesetzes. 2022 stimmte das Schweizer Stimmvolk über die Widerspruchslösung bei der Organspende ab: Wer keine Organspende möchte, muss explizit widersprechen. Die Vorlage wurde mehrheitlich vom Volk angenommen. Seither gilt in der Schweiz das Opt-out-Modell.

Wie dem auch sei. Das geplante verpflichtende digitale Patientendossier fügt sich nahtlos in die Agenda des Bundesrats ein, der hierzulande die Überwachung der Kommunikationsdienste verschärfen und eine E-ID einführen möchte. All diese Policies laufen stets auf das Gleiche hinaus: mehr Macht für den Staat – weniger Freiheiten für den einzelnen Bürger.

Michael Straumann hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen. Er publiziert unter StrauMedia

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Bildquellen: Alain Berset 2020. Quelle: Swiss federal chancellry / Annette Boutellier & Yoshiko Kusano via Wikimedia