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Bericht | 18.11.2024
Warten auf den Kipppunkt
Die Debatte um das Bargeld ist auf Kindergartenniveau angekommen. Dialoge sollen die Bargeldinfrastruktur vor dem Zerfall retten. Sollen sie das wirklich?
Text: Hakon von Holst
 
 

Zwei Automaten abgeschaltet, der dritte will kein Bargeld. Am anderen Ende des Bahnhofs wird dann doch noch etwas daraus. Als Barzahler in der Berliner U-Bahn, das ist abenteuerlich. Keine gute Idee, wenn man einen Vortrag über Bargeld hält und pünktlich ans Ziel kommen möchte: Am 13. November sprach ich in Berlin auf der Jahresversammlung des deutschen Verbands der Geldtransportunternehmen (BDGW). Die anderen beiden Redner waren die Verbraucherschutzstaatssekretärin der Hauptstadt, Esther Uleer, sowie der oberste Beamte der Bargeldabteilung der Bundesbank, Stefan Hardt.

In seinem Grußwort versprach der Leiter der Staatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters, Florian Graf (CDU), man werde noch einmal mit den Berliner Verkehrsbetrieben ins Gespräch gehen. Nicht wegen der U-Bahn, sondern mit Blick auf die Busse. Dort gibt es seit dem 1. September 2024 beim Fahrer kein Ticket mehr für Barzahler. Er glaube nicht, „dass es so viel ausmacht“, aber die Annahme von Bargeld wäre „ein Symbol und wichtig“, so Graf. Kinder bräuchten Banknoten und Münzen, um den Umgang mit Geld zu erlernen.

Der Regierungsbeamte, der in der Vergangenheit kurzzeitig dem Geldtransportverband als Geschäftsführer diente, bestätigte den Rückgang bei Geldautomaten und Bankfilialen in Berlin. Er fügte an: „Wenn das einmal weg ist, wird es verdammt schwer, das wieder zurückzubringen.“ Erst am 23. Oktober 2024 hatte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, Stefan Genth, gefordert, „den Bargeldkreislauf zu sichern“. Durch die Schließung zahlreicher Bankfilialen werde der Umgang mit Bargeld für den Handel immer herausfordernder und kostenintensiver. Wenn „immer mehr Bankfilialen schließen, droht der Bargeldkreislauf zusammenzubrechen.“

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Die Verbraucherschutzstaatssekretärin Esther Uleer hob in ihrem Vortrag die Mitverantwortung der Konsumenten hervor: „Bei sinkender (Bargeld-) Nutzung steigt der Kostendruck.“ Die Verbraucher sollten aber „selbst entscheiden, wie sie bezahlen.“ Der Senat unterstütze die Digitalisierung und bekenne sich „natürlich auch zur Freiheit des Bezahlens“. Uleer erwähnte die Bedeutung des Bargelds für den Schutz der Privatsphäre und die Anfälligkeit digitaler Systeme. Die Bundesländer hätten auf der letzten Verbraucherschutzministerkonferenz im Juni 2024 die flächendeckende Akzeptanz von Bargeld beschlossen. Zum Hintergrund: Auf der Konferenz hatten Minister und Staatssekretäre aller Länder den Beschluss gefasst, die Bundesregierung aufzufordern, „auch auf EU-Ebene für den flächendeckenden Erhalt und die Nutzungsmöglichkeit von Bargeld als Zahlungsmittel einzutreten“.

Auf die sehr konkreten Probleme in der Hauptstadt ging Esther Uleer weniger ein. Das konnte ich später in meinem Vortrag nachholen. Die Berliner Bäderbetriebe zwingen Kinder an einigen Standorten seit dem Sommer, die Eintrittskarte online zu buchen. Nach repräsentativer Untersuchung der Bundesbank waren die Deutschen im Jahr 2023 in Behördenangelegenheiten in 50 Prozent der Fälle genötigt, digital zu bezahlen. 2021 waren es noch 37 Prozent. Der Staat lehnt das einzige staatliche Zahlungsmittel ab. Und das betrifft zum Teil auch Bürgerämter in Berlin.

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Stefan Hardt als zweiter Redner brachte die Perspektive der Bundesbank ein. Man sende eine schlechte Botschaft, wenn der Staat sein eigenes von ihm in Umlauf gebrachtes Zahlungsmittel ablehne. „Das ist wirklich nicht hinzunehmen“, sagte Hardt mit gewisser Entrüstung. Zum Teil würden staatliche Akteure die Bargeldablehnung damit rechtfertigen, dass sie Betriebe in GmbHs ausgelagert hätten.

Der Rückgang der Barzahlungen lasse „Schlimmes befürchten“. Der Zugang zu Bargeld werde in der Bevölkerung als schwieriger empfunden. Hintergrund sei das Verschwinden von Bankfilialen und Geldautomaten. Man müsse alles tun, damit „das Bargeld im Wettbewerb (gegen digitale Zahlungsmittel) bestehen kann“. Auch Hardt hob die Bedeutung von Banknoten und Münzen für Kinder hervor. Ihm fehle die Phantasie, wie er sonst seinen Söhnen „den Umgang mit Geld hätte beibringen können“. Die FAZ habe frisch berichtet, selbst Achtklässler könnten nicht mit Smartphone und Tablet umgehen, nur wischen und klicken. An diesem Punkt blühte Hardt sichtlich auf: Die Forschung zeige, dass man mehr Wertschätzung für das besitze, was man für sein Geld ersteht, und weniger Müll kaufe, wenn man Bargeld nutze. Bei den digitalen Zahlungsmitteln bezahle man mit seinen Daten.

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Nach den Vorträgen fand eine Podiumsdiskussion mit einigen neuen Gesichtern statt, darunter Kolja Gabriel aus dem Vorstand des Deutschen Bankenverbands. Die Debatte eröffnete Michaela Schröder vom Bundesverband der Verbraucherzentralen mit der Forderung, der Gesetzgeber solle den Zugang zu Bargeld sicherstellen. Man müsse „fortschrittlicher rangehen“, anstatt zu warten, bis die Bargeld-Infrastruktur abgebaut ist, um dann eine „Rolle rückwärts“ zu machen. Stefan Hardt warf ein, es gebe 80.000 Zugangsstellen zu Bargeld in Deutschland (50.000 Automaten plus 30.000 Händler, die Bargeldauszahlung anbieten). Da könne man nicht sagen, die Leute wollen nicht mehr mit Bargeld bezahlen, weil sie keinen Zugang hätten. Einige Zuhörer fragten sich an dieser Stelle, weshalb die reine Anzahl auf einen guten Zugang schließen lässt, denn an den Automaten fremder Banken werden oft hohe Gebühren fällig. Auf die Bühne fand dieser Gedanke aber nicht. Hardt appellierte, Bargeld müsse attraktiver werden. Eine Abschaffung der 1- und 2-Cent-Münzen könne die Last des Geldbeutels verkleinern.

Friedemann Berg sieht darin den Einstieg in den Ausstieg aus dem Bargeld. Der Jurist arbeitet als Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks und steht der neuen Organisation „Bargeld zählt“ vor. Diese Initiative soll dem Bargeld eine Stimme in der Politik verschaffen und setzt auf die Unterstützung durch kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Sozialverbände. Berg will die Gebühren für die Bargeldeinzahlung und Bargeldauszahlung begrenzen und fordert Maßnahmen für die Akzeptanz und Verfügbarkeit von Bargeld. Auf dem Podium beklagte er, die Bundesbank tue zu wenig: „Meinen Sie wirklich, es reicht, nur ein (Dialog-) Forum einzurichten, Herr Hardt?“ „Ganz klar“, antwortete der Bundesbankbeamte. „Wir sind der Meinung, das reicht – im Moment.“ Wenn es um neue Vorschriften gehe, sei „doch das Mindeste“, dass ganz klar anhand von Analysen belegt werden könne, dass ein Verfügbarkeitsproblem besteht, wenn wir als Gesellschaft „in Vertragsfreiheiten eingreifen“, „die im Grundgesetz geregelt sind“. Wenn aber der Gesetzgeber bei der Bundesbank eine Analyse anfragen würde, dann käme dabei nicht heraus, dass ein Zugangsproblem bestehe. Vertragsfreiheit bedeutet zum Beispiel, dass Bank und Bankkunde frei darin sind zu vereinbaren, wie der Zugang zu Bargeld (über Automaten, Filialservice) auszusehen hat oder nicht. Stefan Hardt selbst nannte keine Definition für den Begriff.

Zustimmung kam trotzdem sogleich von Kolja Gabriel vom Bankenverband. Die Vertragsfreiheit sei ein „sehr wichtiges Gut, das man nicht einfach so aushebelt“. Michaela Schröder entgegnete mit viel Einfühlsamkeit, dass eine gesetzliche Regulierung gut sei, „wenn man sie mal vorausschauend macht“. Man müsse klären, wo der Punkt sei, an dem man sage, dass die Verfügbarkeit nicht mehr ausreichend gewährleistet sei. „Was ist es uns wert als Gesellschaft?“ Stefan Hardt bat darum, dem Nationalen Bargeldforum der Bundesbank eine Chance zu geben. Im Februar waren erstmals relevante Akteure aus Handel, Finanzwirtschaft und Geldtransportbranche zusammengekommen, um an einer Lösung für die Probleme im Bargeldsystem zu arbeiten. Man könne, so Hardt, immer noch über gesetzgeberische Maßnahmen reden, falls die Idee mit dem Bargeldforum irgendwann scheitere. Der Moderator hakte nach: Wann tritt der Kipppunkt für das Bargeld ein, wird das im Forum diskutiert? Er tue sich schwer, antwortete Stefan Hardt, mit 25.000 Automaten eine absolute Untergrenze zu nennen. Wenn die Automaten verschwinden, weil die Leute wenig Bargeld nutzen, und nicht andersherum (also die Leute wenig Bargeld nutzen, weil die Automaten verschwinden), dann könne er nicht sagen, „die Zahl muss fix so sein“. Eine eisige Atmosphäre machte sich im Raum breit. Friedemann Berg gab zurück, man spreche hier über ein öffentliches Gut. „Der soziale Aspekt bleibt außen vor, wenn wir nur noch nach der Mehrheit schauen, was die denn will.“ Der Bundesbankbeamte Stefan Hardt verteidigte sich sofort: Das sei nicht seine Position gewesen. Er sei einfach nicht in der Lage, heute eine fixe Zahl zu nennen.

Hakon von Holst ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. Seinen Vortrag auf der Tagung in Berlin gibt es zum Nachlesen.

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Bildquellen: Markus Steidle @Pixabay, Hakon von Holst