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Bericht | 22.01.2025
Wandern für den Frieden
Der Lahnsteiner Roman Ferrière will mit seiner Fastentour auf dem Moselsteig ein Signal setzen – weil Krieg für Deutschland keine Option sein darf.
Text: Sylvie Weber
 
 

Heute wird gewandert. Ich werde mittags am Moselufer in Neef aus einem warmen Auto in die Kälte entlassen. Die Wintersonne strahlt und die letzten Nebelschleier an den Moselhängen lösen sich langsam auf. Eine bezaubernde Landschaft zeigt sich. Die Mosel schlängelt sich hier besonders romantisch durch winterlich kahle Weinberge. Wir gehen die 16. Etappe des Moselsteigs. 11,4 Kilometer von Neef bis Ediger-Eller. Ich begleite Roman Ferrière, der sich seit 6. Januar auf einer Fastenwanderung für den Frieden auf dem 365 km langen Moselsteig befindet. Er ist vor unserer Ankunft am heutigen Tag schon die 15. Etappe gelaufen, hat also schon die 19,9 Kilometer mit knapp 900 Höhenmetern von Zell nach Neef hinter sich gebracht. Ich bin optimistisch, dass wir damit ungefähr auf einem Level sind, was die Kondition betrifft. Roman schnurrt gleichmäßig durch den Wald und ich wandere ihm hinterher – in mehrere Schichten warmer Textilien gehüllt.

Wahlkampf ganz anders

Roman Ferrière, ein fünfundfünfzigjähriger Lahnsteiner und Ex-Soldat, will als Direktkandidat für die Basisdemokratische Partei im Wahlkreis Koblenz antreten. Um als kleine Partei überhaupt auf den Wahlschein zu kommen, sind die bürokratischen Hürden hoch. Unter anderem müssen Unterstützerunterschriften gesammelt werden: 200 in Koblenz für ihn als Direktkandidaten und weitere 2.000 für die Landesliste Rheinland-Pfalz. Bei einer vorgezogenen Bundestagswahl sind diese Unterschriften in den wenigen Wochen bis zur Wahl kaum zu bekommen. Das brachte Roman Ferrière auf die Idee, eine Fastenwanderung für den Frieden zu machen. Aber bekommt man im Wald mehr Unterschriften? Roman will keinen klassischen Wahlkampf an der Haustür oder am Parteistand. Er will Dinge bewegen und beginnt bei sich selbst. „Frieden ist mir wichtiger als der Wahlkampf. Das Schlimmste, was passieren kann: Dass ich am Ende zehn Kilo weniger wiege.“ Roman Ferrière startete seine Wanderung am 16. Januar. Für die 24 Etappen des Moselsteigs von Perl bis Koblenz mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und Höhenprofilen und insgesamt 11.000 Höhenmetern plant er zwölf Tage. Dabei radikal fasten, nur Wasser trinken.

Bildbeschreibung

Laufen und träumen

Die erste Stunde im Freien habe ich fröhlich überlebt und laufe noch ohne größere körperliche Beeinträchtigungen. Es geht nur bergauf. Mal mehr, mal weniger steil. Aber immer bergauf. Kälte hin oder her – ich entledige mich nach und nach wieder meiner Klamotten. Die Mütze wandert vom Kopf in den Rucksack, Handschuhe und Schal folgen ihr. Später im Tal rutschen wir über feuchte Wiesen und durch Matsch. In den Höhen liegt Schnee. Glatteis versteckt sich auf der Wegstrecke. Mir wird schnell klar, welch gute Dienste Wanderstöcke bei dieser Witterung leisten.

Es geht durch wunderschöne Landschaften, immer wieder eröffnen sich Ausblicke auf die Mosel und die umliegenden Weinanbaugebiete. Wir starten und enden in einsamen, verlassen wirkenden Moseldörfern, die wie eine Filmkulisse wirken, in der gerade nicht gedreht wird. Kein offenes Café oder Restaurant weit und breit. Selbst Menschen sieht man nur vereinzelt. Uns begegnen zwischen Neef und Ediger-Eller nur zwei Wanderer. Kein großes Potenzial für eine Unterschriftensammlung.

Aber Roman Ferrière läuft und läuft und läuft unverdrossen weiter. Seine Nase ist am achten Tag des Nahrungsboykotts schon etwas spitzer als beim Start in Perl. Die Hosen beginnen zu rutschen. Der Zehn-Kilo-Rucksack wird gefühlt immer schwerer, er spürt die körperliche Anstrengung. Aber es geht ihm gut, seine Wangen sind von der Anstrengung und der strahlenden Sonne gerötet. Träumt er manchmal von Essen? „Eher abends. Tagsüber nur, wenn ich an Restaurants vorbeikomme, an denen ein Gericht aushängt. In dem Moment weißt du, wie es schmeckt.“

Krieg ist keine Lösung

Ich frage Roman, warum er eigentlich unterwegs ist. „Ich wollte diese Fastenwanderung einer wichtigen Sache widmen – dem Frieden. Da ist für mich Rüdiger Nehberg das Vorbild. Der hat seine Abenteuer auch in den Dienst einer wichtigen Aufgabe gestellt, ob es der Schutz der indigenen Völker in Südamerika war oder sein Kampf gegen die Beschneidung der Frauen in Afrika. Auch alleine kann man viel bewirken.“ Ferrierè nutzt seine Friedenswanderung als Gegendemonstration zur gerade ausgerufenen Kriegstüchtigkeit. Für ihn ist Krieg keine Lösung, schon gar nicht für Deutschland.

Und warum hat sich Roman dazu noch für das Fasten entschieden? „In den fünfziger Jahren gab es einen Fastenmarsch in Schweden. Die elf Teilnehmer sind unter schwierigen Bedingungen 500 Kilometer von Stockholm nach Göteborg gelaufen. Entgegen der damaligen Expertenmeinung kamen alle bei bester körperlicher und seelischer Gesundheit an. Das hat mich inspiriert. Ich faste schon regelmäßig seit 25 Jahren und es tut mir einfach gut.“ Durch das Fasten werden Körper und Seele entlastet und gereinigt. Der Körper schaltet dabei in den Fastenstoffwechsel um und greift auf bestehende Energiespeicher zurück. Roman nimmt außer Wasser nur einige Vitamine und Magnesium zu sich, um den winterlichen Bedingungen zu trotzen.

Das Team

Roman Ferrière wird über die gesamten 365 Kilometer begleitet. In den ersten Tagen von Hartmut Boos, der ihm auch ein Dach über dem Kopf bietet. Später etabliert und bewährt sich Alexander Seim bis zum Ende der Wanderung als Tourleiter. Er fährt ihn täglich zu den Einstiegen des Moselsteiges und holt ihn bei den Ausstiegen wieder ab, um ihn in die jeweils gebuchte Pension zu bringen. Und bleibt immer in der Nähe, um bei eventuellen Not- oder Ausfällen helfen zu können. Meist muss er seinen „Forrest Gump“ bremsen und irgendwo einsammeln. Und Alexander Seim koordiniert auch die Mitwanderer und die Treffpunkte: Gegen Ende der Tour schließen sich immer häufiger andere Leute an. Wie Rolf Ketan Tepel, ein erfahrener Friedensaktivist, der auf einigen Etappen dazukommt. Auch Parteikollegen unterstützen Roman durch Anwesenheit und Mitfrieren. Das bedeutet tiefgehende und lange Gespräche, aber auch eine andere Laufgeschwindigkeit. Roman übt unfreiwillig Rücksichtnahme, dimmt seine durchschnittliche 4,5 runter auf 2,5 Kilometer pro Stunde.

Wir verlaufen uns prompt auf dem Rückweg nach Ediger-Eller und landen weit ab vom geplanten Ausstieg aus dem Moselsteig. Alexander Seim hat derweil so frierend wie umsonst den ursprünglich geplanten Ausstieg an der Straße mit Friedensfahnen dekoriert. Dieses Schicksal ereilt den Tourleiter später noch öfter. Wenn Roman mal gedankenverloren sieben Kilometer weiter läuft als ursprünglich geplant und in Klotten anstatt in Cochem ankommt. Da heißt es für Alexander Seim: immer schön flexibel bleiben.

Frieden verbindet

Mit dem Start der Fastenwanderung für den Frieden wurden alle Bürgermeister der anliegenden Gemeinden angeschrieben, ob sie Friedensfahnen entlang der Strecke hissen würden. Von elf reagierten nur wenige. In vier Gemeinden durften Friedensfahnen aufgehängt werden. Der einzige Ort, an dem die Friedensfahne bereits hing, war Alken. Der Bürgermeister dieser Moselgemeinde, Ralf Fornefeld, traf sich am vorletzten Tag der Fastenwanderung mit Roman Ferrière zu einem Gespräch. Die beiden Soldaten a.D. hatten einiges zu besprechen. Ferrières Fazit: „Hier merkt man, dass Frieden nicht nur eine Idee, sondern ein Gefühl ist“.

Ankunft am Deutschen Eck

Der letzte Aufstieg ist mühsam, er führt uns durch Weinberge in das Dorf Ediger-Eller. Es bedeutet das Ende meiner Wanderung. Meine Waden danken es mir jetzt schon, dass ich nur eine Etappe mitgelaufen bin. Der Moselsteig trägt seinen Namen zurecht, wie ich heute körperlich erfahren durfte.

Roman Ferrière hat dagegen noch drei Tage vor sich: „Die Beine laufen von allein, das Herz will heim.“ Am 17. Januar wird der Friedensbotschafter ab 17 Uhr in Koblenz am Deutschen Eck von Familie, Freunden und Friedensbegeisterten empfangen. Die Stadtverwaltung Koblenz hat die Aktion „Wandern für den Frieden“ ausdrücklich unterstützt und den historischen Platz, an dem die Mosel in den Rhein fließt, für eine Versammlung bereitgestellt. Roman empfangen Friedensfahnen, weiße Luftballons, eigens für ihn komponierte Musik und ein kleines Lagerfeuer. Mittlerweile ist er deutlich ausgemergelt. Er hat zwölf Kilo abgenommen. Jetzt freut er sich auf eine warme Badewanne und einen heißen Espresso.

Das Fazit

Wahlkampf im Wald lohnt sich nicht direkt. Die 2.000 Unterstützerunterschriften hat Roman, hat dieBasis nicht bekommen. Sie wird also in Rheinland-Pfalz nicht in den kommenden Bundestag zu wählen sein. Auch das mediale Echo war eher verhalten. Der fastende Friedenswanderer ist trotzdem zufrieden: „Der Erfolg ist im Moment nicht messbar. Aber ich hatte wahnsinnig viel Unterstützung von meiner Familie, wir sind näher zusammengerückt. Für mich stand der Frieden im Vordergrund, Wahlkampf war eher ein Nebenprodukt. Aber ich habe vielleicht den Leuten mit dieser Aktion Mut gemacht, dass jeder einen kleinen Teil dazu beitragen kann, damit wir in einer friedlicheren Welt leben.“

Sylvie Weber hat an den Kursen Bericht und Interview an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.

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