So ein Disziplinarverfahren kann hilfreich sein. Man gewinnt Einsichten – zum Beispiel in seine Personalakte. Die Landesanwaltschaft Bayern ermittelt seit August gegen mich, weil der Verdacht im Raum steht, dass ich nicht alles getan haben könnte, um gesund zu bleiben oder wieder zu werden. Muss man als Beamter. Wusste ich vorher nicht, aber das ist hier nicht mein Thema, zumal ich bis vor kurzem gar nicht daran gedacht hätte, irgendwann einmal eine Vorlesung auslassen zu müssen, weil Körper und Seele nicht mehr können. Mein Thema ist das, was ich in der Akte gefunden habe – Dinge, von denen ich zwar ahnte, dass es sie gibt, aber nicht darüber sprechen würde, wenn ich sie nicht schwarz auf weiß gesehen hätte.
Dass Hanns Joachim Friedrichs für die neue Journalistengeneration gestorben ist, habe ich hier vor zwei Wochen schon besprochen. Sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten? Vergiss es. Das war vorgestern. Heute verzichten wir auf Pro und Contra und erzählen den Leuten nur das, was sie wissen sollen. Carolin Emcke und Tilo Jung. Ein Volk von Kindern braucht Anführer, die sagen, wo es langgeht, Boten, die diese Nachricht überbringen, und Wächter, die jeden wegbeißen, der hin und wieder nur die Stirn runzelt.
Bote und Wächter der Macht: Das ist der neue „Journalismus“. Ich setze hier Anführungszeichen, weil ich nicht sicher bin, ob Hanns Joachim Friedrichs in den Protagonisten von heute noch Kollegen erkennen würde. Als er 1995, wenige Tage vor seinem Tod, mit Jürgen Leinemann und Cordt Schnibben vom Spiegel sprach, ging es um Jugendwahn, Lautstärke und Duzerei. Das Privatfernsehen. Zitat:
Die glauben, es reicht, eine schöne Frau oder einen jungen Mann vors Mikrofon zu stellen und sie Sätze voller hanebüchener Ahnungslosigkeit sagen zu lassen.
Und ein paar Absätze weiter oben:
Der Chefreporter von RTL ist in der Beziehung ein Mann, der Maßstäbe setzt – gestern im belagerten Sarajevo, heute bei den Soldaten in Somalia, morgen bei den Hungernden in Ruanda. Nichts gelesen, nichts kapiert, aber immer mitten am Elend und voll im Bild.
Zwischen damals und heute liegen zwei Medienrevolutionen. Erst das Internet und dann die Plattformen, beide erfunden und gepusht von einer Struktur, die bei Patrick Lawrence, einem US-Journalisten alter Schule, „nationaler Sicherheitsstaat“ heißt und ihre Freude daran haben dürfte, wie die Saat aufgegangen ist. Menschen, die immer und überall online sind und damit immer und überall zu beobachten. Und eine Öffentlichkeit, die nur noch eins oder null akzeptiert und damit weder Grautöne noch Sachlichkeit. Im Journalismus von heute geht es nicht mehr um „hanebüchene Ahnungslosigkeit“. Man ist dafür oder dagegen – und im Zweifel auf der Seite der Macht, weil dort Steuergelder winken, gut bezahlte Jobs und in gewisser Weise auch Sicherheit. Wer sich als Reporter mit den Mächtigen anlegt, egal ob in der Politik oder in der Wirtschaft, der steht schnell allein im rauen Wind. Das erklärt, warum Journalisten die Wärme der Wagenburg vorziehen, zumal „draußen“ ja längst jeder nicht nur den Finger in die Wunden legen kann, sondern dabei auch noch die Chance hat, buchstäblich von allen gesehen zu werden.
Und damit zu meinem treuen Begleiter von der Süddeutschen Zeitung. Marcus Klöckner hat sich vor einer Weile die Mühe gemacht, all die Texte zu lesen, die dort in den letzten Jahren über mich erschienen sind. Schwamm drüber, auch wenn mich die Deutungshoheit dieses Blattes zu einer Persona non grata gemacht und mir den Zugang zu so gut wie allen Bühnen verbaut hat, die aus irgendeinem öffentlichen Haushalt bezahlt und auch deshalb von vielen wahrgenommen werden (müssen). Ich konnte mich wehren und entweder darüber schreiben oder eine Beschwerde an den Presserat schicken.
Die Personalakte sagt: Die Artikel in der Zeitung sind nur die Spitze des Eisbergs. Tief unten wird gegraben, gebaggert, geschossen, was das Zeug hält. Mit der Definitionsmacht eines Konzernmediums im Rücken und in dem Glauben, eine Mehrheit hinter sich zu haben und die Moral auf seiner Seite, wird die Universität unter Druck gesetzt und vermutlich auch, da bin ich ziemlich sicher, das Ministerium. Wissen Sie eigentlich, was dieser Professor alles macht? Er hat da gesprochen und dort – auf Bühnen und mit Leuten, die extremistisch sind, verschwörungsideologisch und was weiß ich nicht noch alles. Ein Beamter! Mit einem Eid auf die Verfassung! Was erlauben Universität! Stellungnahme jetzt, Stellungnahme sofort! Und dann noch diese Freie Medienakademie, ein Thema vor zwei Jahren schon. Gibt es dafür eigentlich eine Genehmigung? Nebentätigkeit und so?
In den Mails aus dem Hochhaus der Wächter ist das alles viel konkreter. Da das Verfahren noch läuft, belasse ich es bei Andeutungen, und greife hier nur den Akademie-Punkt heraus, weil er gewissermaßen verjährt ist, mich seinerzeit aber einen Sommer lang beschäftigt hat. Heute weiß ich, dass die Universitätsverwaltung gar nicht anders konnte, als mich permanent um einen entsprechenden Antrag zu bitten. Draußen drohte der Medienpranger. Der Meyen macht da schlimme Sachen, und die LMU tut nichts dagegen! Damals habe ich nicht verstanden, was die Kollegen von mir wollten. Warum Nebentätigkeit? Wir nehmen hier nichts ein (weder mit Kursen noch mit Texten oder Videos), sondern zahlen deutlich drauf. Ein Ehrenamt, selbst gewählt, das dazu noch gefordert wird von einem Universitätsprofessor. Lehre und Forschung, Geld einwerben und – Transfer: Das sind die vier Säulen, auf denen ein Wissenschaftlerleben ruht. Nicht für sich behalten, was man sich erarbeiten durfte, weil man mit Steuergeldern ausgehalten wird, sondern zurückgeben an die Gesellschaft. Genau das mache ich auf dieser Seite und erzähle hier deshalb auch, was ich aus dem Disziplinarverfahren gelernt habe, das gerade läuft. In Kurzform: Es ist gut und wichtig, auf den „NGO-Komplex“ (Björn Harms) hinzuweisen und auf die Denunzianten, die dort alle offiziellen Erzählungen schützen. Die Cancel Culture beginnt aber in den großen Redaktionen – bei den Boten der Macht und ihren Wächtern, die gar nicht mehr schreiben oder senden müssen, um unliebsame Stimmen zu vernichten. E-Mail genügt.
Freie Akademie für Medien & Journalismus