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Oben & unten | 27.11.2024
Pumpernickel zum Wohlfühlen
Produkte werben mit einem höheren Ziel neben dem eigentlichen Zweck. Ist das nur nervig oder gibt es einen Zusammenhang mit mangelhafter Qualität?
Text: Axel Klopprogge
 
 

„Condor macht mit pinkfarbenem Jet auf Brustkrebs aufmerksam“, lautet die Headline eines FAZ-Artikels. Die Pumpernickel-Packung informiert nicht nur, dass sie 28 Scheiben enthält, sondern auch, dass der Hersteller „Förderer Gleichstellung Frau + Mann“ ist. Fußballspiele sind nicht mehr ohne einen Vorspann für Vielfalt und nicht mehr ohne Bandenwerbung zur Weltrettung zu haben. Die notorisch unpünktliche Münchner S-Bahn hat einen „Zug der Vielfalt“ umlackiert: „Mit dem bunten Zug wollen wir zeigen, wie vielfältig die S-Bahn, aber auch die gesamte Gesellschaft ist.“ Kein Produkt oder keine Dienstleistung scheint mehr ohne Bekenntnisse auszukommen, die mit der eigentlichen Leistung nichts zu tun haben.

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Auch wenn mir irgendein Anliegen noch so sympathisch sein mag: Ist es altmodisch, wenn Airlines einfach nur fliegen, S-Bahnen einfach nur pünktlich fahren, Pumpernickel einfach nur Schwarzbrot ist, das Außenministerium sich einfach nur um Außenpolitik kümmert und Fußballvereine nur um guten Fußball? Gibt es wirklich Menschen, die auf das allgegenwärtige Zeichensetzen abfahren? Oder erzählen das nur die PR- und Marketing-Experten – und glauben es am Ende selbst? Bekenntnisse, die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, führen zu keiner Differenzierung, solange nicht jemand die Welt zu einem schlechteren Ort machen will.

Gegen gesellschaftliches Engagement habe ich nichts. Aber was ist die besondere Beziehung zwischen Pumpernickel und der Gleichstellung von Mann und Frau? Hat man nach dem Verzehr von Pumpernickel plötzlich Einblicke in verborgene Missstände? Haben die Konsumenten von Pumpernickel ein spezielles Problem mit der Geschlechtergerechtigkeit und bedürfen deshalb einer zielgruppengenauen Belehrung? Oder gibt es hinsichtlich der Gleichstellung Unterschiede zwischen den Konsumenten von rundem Pumpernickel und geschnittenem Weißbrot? Und warum muss ein Verkehrsbetrieb der Gesellschaft zeigen, wie vielfältig sie ist? Eigentlich wissen wir das bereits – wir sind nämlich die Gesellschaft.

Handelt es sich überhaupt um gesellschaftliches Engagement? Hat man jemals gesehen, dass sich solche Initiativen für etwas engagieren, das noch keine allgemeine Akzeptanz in der Gesellschaft besitzt? Wenn es sich aber nur an etwas dranhängt, was sowieso schon jeder meint, was soll es dann bewirken? Es appelliert nur an die Annahme oder Behauptung, dass es irgendwo da draußen böse Menschen gibt, gegenüber denen man sich profilieren kann.

Lifestyle-Magazine heben hervor, dass die erlesenen Taschen aus besonders nachhaltigen Materialien bestehen und von einem schwulen Designer entworfen wurden – natürlich präsentiert von einem schwarzen Model. Wenn jemand auf teure Möbel, Taschen, Hotels, Restaurants oder Uhren steht und es sich leisten kann, dann sei es ihm gegönnt. Aber muss er demonstrieren, dass er neben dem größeren Auto auch noch die bessere Einstellung besitzt? Und wem will er es eigentlich demonstrieren? Uns Mängelwesen? Oder sich selbst?

Wenn es nicht nur um einen wohlfeilen Aufdruck, sondern um reales Engagement etwa durch Spenden geht: Woher kommt das Geld? Nehmen Herr Pumpernickel oder Frau Condor das Geld von ihrem Privatkonto? Oder zahlen es die Kunden beziehungsweise die Mitarbeiter, denen man das Geld in Form höheren Lohnes geben könnte? Einen guten Eindruck zu Lasten Dritter machen zu wollen, empfinde ich nicht als besondere Leistung.

Vor allem jedoch gibt es zu viele Fälle, wo sich die Purpose- und Weltrettungs-Attitüde mit mangelhafter Leistung im eigentlichen Kerngebiet verbindet. Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass das Zufall oder gar eine böswillige Unterstellung ist. Schon vor Jahrzehnten erlebte ich in Unternehmen, wie Leitbilder und Unternehmenswerte eher ablenkenden oder kompensatorischen Charakter hatten. Das galt auch für unternehmerische Ziele wie die Produktqualität: Während diese vorher wortlos in der DNA des Unternehmens verankert war, tauchte sie wortreich in genau dem Augenblick in den Leitbildern auf, als man sie in der Realität für weniger wichtig hielt.

Neulich landeten wir in einem vollbesetzten Flieger am Münchner Flughafen. Nach einer halben Stunde am Gepäckband kam ein einzelner Koffer, nach weiteren dreißig Minuten ein zweiter – wahrscheinlich, um in der Statistik gut auszusehen. Nach fast 90 Minuten kamen unsere Koffer und wir waren bei Weitem nicht die Letzten. Während wir alle am Gepäckband warteten, flimmerten permanent Selbstbeweihräucherungen zur Nachhaltigkeitsstrategie oder zum sozialen Engagement des Flughafens über die Bildschirme, jedoch keine Information zur Gepäckauslieferung. Wenn man beim Nachforschen feststellt, dass der Flughafen zu zahlreichen Fragen des woken Themenspektrums Konventionen unterschrieben und Leitbilder verabschiedet hat, aber kein Leitbild zur Kernaufgabe der Gepäckauslieferung besitzt, dann darf man langsam anfangen, Zusammenhänge zwischen beiden Befunden zu sehen. Und der Zusammenhang liegt ja auf der Hand: Es gibt nicht genügend Mitarbeiter in der Gepäckauslieferung, aber offenbar mehr als genug Kapazitäten für die Formulierung von Leitbildern.

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.

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