Kürzlich bekam meine Frau von einer Freundin einen Kalender geschenkt: „Starke Frauen 2025“. Zu jeder Woche enthält der Kalender eine Karte mit „Zitaten von berühmten Frauen der Welt- und Zeitgeschichte, die den Mut hatten, ihren eigenen Weg zu gehen“. Ich weiß, ich bin bösartig, aber für einen Moment stellte ich mir vor, ich schenkte einem Freund einen Kalender „Starke Männer 2025“ in der Erwartung, dass er ihn bei sich aufhängt oder – wie der Kalender vorschlägt – kartenweise an andere Männer verschickt. Komischerweise denken wir Männer: Wenn schon Pirelli-Kalender, dann lieber vom anderen Geschlecht als von uns selbst. Simone de Beauvoir, die Grande Dame des Feminismus, hätte gewiss ihre diebische Freude an diesem unfreiwilligen Beleg für den Unterschied zwischen „Immanenz“ (bei sich selbst bleiben) und der von ihr propagierten „Transzendenz“ (die Grenzen des Eigenen überschreiten).
Es genügt ein Gang durch eine größere Buchhandlung, um unzählige Bücher über die Opferrolle und die wunderbaren Eigenschaften von Frauen zu finden mit Titeln, bei deren Übertragung auf Männer man sich vor Peinlichkeit übergeben oder vor Lachen schütteln würde. Eine Jane Fonda beschrieb allen Ernstes in einem Interview, dass Frauen tiefgründigere Gesprächsthemen haben als Männer, die natürlich immer nur über PS-Zahlen, Fußballergebnisse und ihre Penisgröße reden. Wenn im Kabarett irgendetwas Abfälliges über Männer gesagt wird, kann man sich des Applauses sicher sein – es ist die neufeministische Variante des Herrenwitzes und sie ist nicht weniger schal.
Es entsteht das Narrativ von Frauen, die immer Opfer sind und es offenbar auch sein wollen. Egal, ob es ums Wählen, um berufliche Chancen, ja überhaupt um Berufswahl, um Liebes- und Geschlechterbeziehungen, um Sprache, um Bezahlung, ja um jedes beliebige Thema geht – immer werden Frauen als Opfer männlicher Verschwörungen dargestellt. In einer Untersuchung zu Alter und Innovation stieß ich zufällig auf Zahlen, die zeigten, dass Frauen bei technischen Studienfächern, bei Patentanmeldungen und bei Startup-Gründungen nur mit einstelligen Prozentanteilen vertreten sind. Als ich dies in einem Gespräch mit jungen Frauen erwähnte, kam als Erklärung sofort, dass Frauen halt so geprägt wurden. In einem Artikel über erfolgreiche Frauen in technischen Berufen wurde als Hindernis erwähnt, dass im Abteilungskühlschrank Bierflaschen lagen. Eine andere Untersuchung zeigte, dass junge Väter nach der Geburt länger arbeiten – natürlich nur, um das Kindergeschrei den Frauen zu überlassen. Der Spiegel titelt: „Der Mann, der Fleisch isst, unterwirft symbolisch die Frau“. Weil Frauenkleidung kleinere Taschen habe, entlarvt der Deutschlandfunk die Taschengeschichte als Gendergeschichte: In patriarchalen Gesellschaftsstrukturen wurden Frauen auf den häuslichen Bereich beschränkt. Somit entfiel die Notwendigkeit, Gegenstände mit sich zu tragen. Und so weiter und so fort in immer neuen und immer peinlicheren Varianten – leider nicht immer so lustig wie in diesem Beispiel. Mit dem Ukraine-Krieg tauchte die Behauptung auf, dass Frauen in Kriegen immer mehr leiden als Männer. Als ich darauf verwies, dass von den sechs Millionen deutschen Kriegstoten des Zweiten Weltkrieges fünfeinhalb Millionen Männer gewesen seien, wurde mir entgegengehalten, die hätten ja nicht mehr gelitten.
Wir alten weißen Männer haben vielleicht geglaubt, dass Frauen nicht einparken können, aber ansonsten fanden wir Frauen schon immer ziemlich lebenstüchtig. Der aktuelle Feminismus erzählt uns jedoch, dass Frauen gar nichts können und deshalb auch nie für etwas verantwortlich sind. Das Dumme nur: Wer immer unschuldig sein will, ist schuldunfähig – ein anderes Wort für unmündig.
„Wenn es statt der Lehmann Brothers die Lehmann Sisters gegeben hätte, wäre die Welt heute vielleicht eine andere“, formulierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der Finanzkrise. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer behauptete, mit Frauen im VW-Vorstand hätte es den Dieselskandal nicht gegeben. „Klimawandel ist männergemachtes Problem“ informiert die Seite Klimafakten. In der Managementliteratur ist es unwidersprochener Topos, dass Frauen mehr Sozial- und Führungskompetenz haben. Ein Feminismus, der es nötig hat, Frauen nach Belieben übermenschliche und engelsgleiche Eigenschaften zuzuschreiben, verführt irgendwann dazu, etwas zu tun, was man als Mann gar nicht will: schlecht über Frauen zu reden. Zum Beispiel mit der Replik, dass es mit Frauen nicht nur keinen Dieselskandal, sondern auch keinen Dieselmotor gegeben hätte. Wollen wir eine solche nichtsnutzige und spalterische Diskussion?
Die selbstbewussten und lockeren Frauen von heute sind Lichtjahre entfernt von den Opferthemen, die uns ständig präsentiert werden. Sie wollen keine Glorifizierung, keine Bevormundung und keine allgegenwärtige Rettung von Frauen durch andere Frauen. Warum können nicht alle, ob als Individuen oder als Paare, bei der Berufswahl, bei der Wahl der Lebensform, bei der Familienplanung einfach das machen, was sie selbst wollen oder auf das sie sich geeinigt haben? Dabei kommt dann vielleicht heraus, dass Frauen lieber Friseurin und Männer lieber Automechaniker sind oder die einen lieber rosa und die anderen lieber blau mögen. Ja und? Das muss man mündigen Menschen einfach selbst überlassen.
Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen.
Mehr von Axel Klopprogge