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Oben & Unten | 22.01.2025
Parkplatzbefreiung
Gründe gibt es immer, aber sie rechtfertigen nicht automatisch jedes Verbot. Auf der Waagschale liegt auch die Freiheit, die uns erst zu Menschen macht.
Text: Axel Klopprogge
 
 

Nein, ich rauche nicht und habe nie ernsthaft geraucht. Ich vermisse nicht den Qualm in Gaststätten, Zugabteilen und auch nicht in der Kleidung. Ich vermisse nicht die stundenlangen verqualmten Besprechungen und ich werde auch nicht von der Tabakindustrie bezahlt. Aber als jetzt die Meldung auftauchte, die EU-Kommission wolle das Rauchen im öffentlichen Raum verbieten, habe ich nur noch mit dem Kopf geschüttelt – wie schon vor einiger Zeit, als es darum ging, das Rauchen im Auto zu verbieten, wenn Kinder mitfahren.

Ich benutze öffentliche Verkehrsmittel, wann immer es Sinn macht. Und falls ich das Auto nehme, fahre ich auf Autobahnen selten schneller als 130 oder 150, selbst wenn alles frei ist. Dennoch bin ich gegen ein Tempolimit auf Autobahnen.

Ich war nie ein Freund von Mixgetränken. Ich trinke auf Weihnachtsmärkten keine heiße Schokolade mit Rum und hatte nicht die geringste Ahnung, dass das „Lumumba“ heißt. Dennoch habe ich nur den Kopf geschüttelt, als die Stadt Frankfurt am Main (über ihren Betreiber von Weihnachtsmärkten) empfahl, diese Bezeichnung nicht zu verwenden.

Wie kann das sein? Wie kann man gegen Verbote sein, obwohl man von ihnen gar nicht betroffen wäre und obwohl es für jedes Anliegen gewiss stichhaltige Gründe gibt, die man vielleicht sogar teilt?

Blicken wir noch einmal auf das Thema Tempolimit, weil man daran ein wichtiges Unterscheidungskriterium verdeutlichen kann: Es gibt Risiken, die für den Fahrer nicht zu sehen sind. Ein neben der Autobahn liegendes Sanatorium, eine Baustelle hinter einer Kurve oder Aufbrüche auf der Fahrbahn. Auch wenn es mich manchmal nerven mag, finde ich es prinzipiell in Ordnung, mich über so etwas zu informieren. Und da man im Verkehr keine langatmigen Erklärungen geben kann, wird das halt durch ein Schild mit Geschwindigkeitsbegrenzung geregelt.

Etwas ganz anderes sind Wechselverkehrszeichen, die mir anzeigen, dass es regnet und ich deshalb auf einer gut ausgebauten Autobahn nur 80 fahren darf. Hier besitze ich als Fahrer nicht nur dieselben, sondern sogar bessere Informationen als das System. Die FAZ fragte kürzlich in einem ähnlichen Zusammenhang: „Wann ist das Vertrauen in den Führerschein verlorengegangen?“ Eigentlich gehört es zu den Basisfähigkeiten jedes Autofahrers, sein Fahrverhalten auf Straßenbeschaffenheit, Wetter, Verkehrsdichte und andere Kontexte einzustellen. Wenn man uns das nicht mehr zutraut, wie kann man uns überhaupt noch erlauben, selbständig in der Gegend herumzufahren?

Keine Angst, ich bin nicht hysterisch. Aber Wirklichkeit ist immer konkret und anekdotisch – alles andere sind unsere Abstraktionen. Deshalb lohnt es, die schwachen Signale wahrzunehmen, die etwas ankündigen, bevor es explizit als Programm formuliert wird. So ist mir in der letzten Zeit häufiger aufgefallen, dass Parkbuchten, die unschwer als solche zu erkennen sind, noch einmal extra als Parkraum gekennzeichnet werden. Nicht nur, dass das Geldverschwendung ist, es beinhaltet einen Paradigmenwechsel, egal ob er den Verursachern bewusst ist oder nicht: In einer freiheitlichen Gesellschaft ist im Prinzip alles erlaubt, was nicht verboten ist. Auch ohne Verbote situationsgerecht und rücksichtsvoll zu handeln, ist Teil unserer Grundverantwortung als Menschen. Die Parkschilder senden jedoch eine andere Botschaft: Eigentlich ist alles verboten, selbst wenn es wie eine Einladung aussieht – erlaubt ist etwas erst dann, wenn es ausdrücklich gestattet ist. Man achte im Alltag auf die Keimlinge einer solchen Haltung.

Und dann traf Parkplatz auf Pandemie: Ich zweifelte nicht an der Realität der Corona-Pandemie. Ich habe brav meine Masken in der jeweils angesagten Version getragen und gehörte eher zu den Impfdränglern. Aber ich wurde stutzig, als plötzlich von „Impfprivilegien“ die Rede war. In einem viel grundsätzlicheren Maßstab als beim kleinen und belanglosen Parkplatzbeispiel wurde hier die Beweislast umgedreht: Nicht die Freizügigkeit ist das normale Grundrecht, dessen Einschränkung überaus genau begründet werden muss. Nein, wenn es nur ein paar Gründe gibt, dann ist die Freiheit verwirkt und muss erst einzeln und ausdrücklich zuerkannt werden.

Gute Gründe gibt es immer wieder – in den erwähnten und wahrscheinlich in vielen anderen Beispielen. Davon sollten wir uns jedoch nicht beeindrucken lassen. Zumindest liegt auf der anderen Waagschale etwas sehr Gewichtiges: die Freiheit. Sie muss nicht von irgendjemand zuerkannt werden und lässt sich nicht beliebig fragmentieren, relativieren oder aussetzen. Die Freiheit ist ein Grundwert und vielleicht der größte und wichtigste überhaupt. Davon berichten schon die ersten Seiten der Bibel: Im Paradies war alles perfekt, und es gab gute Gründe, dort zu bleiben. Aber wie Hegel erkannte: Das Paradies ist ein Garten für Tiere. Deshalb sind wir Menschen der anstrengungslosen Einhegung entflohen und haben die Freiheit vorgezogen, auch wenn wir seitdem unter Schmerzen und Schweiß selbst für unser Leben verantwortlich sind.

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Ende 2024 hat er eine Textsammlung mit dem Titel "Links oder rechts oder was?" veröffentlicht. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.

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