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Medien-Tresen | 20.06.2025
Nachrichten und Fakes
Eine Studie zum Nachrichtenverhalten bestätigt den Mainstream. Und auch uns. Am Medien-Tresen lösen wir das Paradox auf.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Die Leitmedien leiten weiter. Zumindest was die Nachrichten angeht. Diese Woche kam der „Reuters Institute Digital News Report 2025“ heraus, und wenn man erst einmal grob hinschaut, dann sieht man die Altbekannten. Am Medien-Tresen wundert uns das nicht, wir kennen unsere Pappenheimer ebenso wie den Gong um 20 Uhr. Die Tagesschau gibt unter den Nachrichtenkanälen auch online den Takt vor: 17 Prozent der Befragten nutzen wenigstens einmal pro Woche die Seite tagesschau.de und die verbundenen Websites und Apps, um sich zu informieren. Auf den Plätzen: T-Online und Bild (je 14 Prozent). Was zu erwarten war.

Ohnehin bestätigt die Studie den Mainstream in seinem Tun. Zweifel und kritische Fragen, wie sie beispielsweise nach der Lektüre von „Inside Tagesschau“ bei mir oder Michael Meyen auftauchen, gibt es hier selbstverständlich nicht. Zumindest keine Zweifel am Mainstream. Aber auch wir fühlen uns gleichwohl an einigen Stellen bestätigt. Wie das Paradox aufzulösen ist, dazu später mehr.

Zunächst noch einmal zu den Nachrichtenmedien. Dort liegen auch offline die Altbekannten vorne: ARD (39 Prozent wenigstens einmal pro Woche), ZDF (32), RTL (23), Lokalzeitungen (21). Neue, im weitesten Sinne alternativen Medienanbieter jenseits des Mainstreams kommen nicht vor in dem Report, höchstens ungenannt unter den reinen Online-Anbietern. Genannt werden neben T-Online nur gmx.de und web.de, was schon deshalb lustig ist, weil die Angebote komplett identisch sind. Im Mainstream, wo eh die meisten ähnliches schreiben, fällt das kaum auf.

Warum kommen „wir“ von der anderen Seite nicht vor? Klar, solche Medien will man im Mainstream nicht sehen und nicht einmal erwähnen. Das ist das eine. Aber die Reichweite ist auch weiterhin überschaubar. So hat Spiegel Online nach aktuellen Daten des Analysedienstes Similarweb eine etwa zehnmal höhere Reichweite als Nius – wenn man das Boulevard-Portal, gesponsert von einem Milliardär, überhaupt zu den alternativen Medien zählen will. Knapp 70 Millionen Visits im Monat beim Spiegel, knapp sieben bei Nius. Die meisten anderen alternativen Anbieter liegen weit unter einer Million. Und unsere Zahlen hier erspare ich ihnen. Vielleicht so viel: Sie befinden sich in einem exklusiven Club der unteren Zehntausend. Das ist doch auch mal etwas.

Wir wollen uns nicht länger bei den Reichweiten aufhalten. Die interessieren uns nur so am Rande. Deswegen erscheint auch dieser Text am Medien-Tresen, und Sie als Leser haben ja hierher gefunden. Apropos: Wie sind Sie eigentlich hergekommen? Haben Sie etwa den direkten Weg genommen und die URL in die Browserzeile eingegeben? Unwahrscheinlich. Wer macht das heute noch? Ganz vielleicht haben Sie ein Bookmark oder ein Lesezeichen gesetzt (wenn nicht: machen Sie das gerne), aber sehr wahrscheinlich kamen Sie über einen Link von Social Media. LinkedIn, X oder Telegram dürften Sie hierher geführt haben, weitere wichtige Kanäle als Sprungbretter sind Facebook und TikTok. Die großen Plattformen eben.

Die Marktmacht der Plattformen ist der Grund, weswegen die Regierungen und in diesen Zeiten insbesondere die EU-Kommission mit ihrem Digital Services Act vieles daransetzen, die Kanäle zu filtern. Weswegen wir auch kaum in den Feeds der Netzwerke vorkommen. Wir schreiben nicht für die Algorithmen, und es gibt schließlich auch andere Mittel und Wege. Man könnte es auch Zensur nennen, dazu am Ende noch ein paar Sätze. Wir schauen vorerst noch einmal in die Reuters-Studie, die mit vielen Zahlen und ihrer Apologie des Mainstreams sich selbst bestätigt. Und den Selbstbezug der Mehrheitsblase.

Denn es ist interessant, wen die Befragten für die Falschnachrichten verantwortlich machen. Nein, in erster Linie nicht wir von den oppositionellen Medienschmuddelkindern. Es sind TikTok, X, Facebook, Instagram und Telegram. Wer vertritt diese Position? Die traditionellen Medien und die offiziellen Stellen in Politik und Staat. Und wo informieren sich die Leute, die bereits eine (von den traditionellen Medien und den offiziellen Stellen vermutlich gesponserte) Nachrichtenschulung bekommen haben? Natürlich bei den traditionellen Medien und den offiziellen Stellen. Das könnte man als leitmedialen Propaganda-Kreislauf bezeichnen, der sich immer wieder selbst bestätigt. Wovon wir am Medien-Tresen übrigens ausgegangen waren. Deswegen hat diese Studie unsere Vermutung zumindest an dieser Stelle bestätigt.

Wie sehr sich dieser Propaganda-Kreislauf dreht und welche bedenklichen Auswüchse er hat, haben wir übrigens in dieser Woche wieder erlebt. Schließlich ist die Behauptung, der Iran stehe kurz vor der Atombombe, beileibe nicht neu. Wer genau hinschaut, wer sich in die Recherche und die Geschichte begibt, der erkennt das Muster: Immer wieder war der Iran nah dran. Und wo ist die Bombe? Offenbar nicht im Iran. Das erinnert frappierend an die Massenvernichtungswaffen im Irak, von denen US-Außenminister Colin Powell einst schwadronierte und mit denen die USA den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak rechtfertigten. Vielleicht ist es heute etwas anders, und wir sind mit den Netzwerken näher dran. Bekommen die Widersprüche live aufgetischt. Das ändert aber nichts, da die Kräfteverhältnisse sind, wie sie sind.

Denn nun wird mit den angeblichen Atomwaffen in der Hand der Mullahs der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Israels gegen den Iran gerechtfertigt. Immer wieder kommt das Thema in den Medien, der Kanzler spricht gar von der „Drecksarbeit“, die Israel für „uns“ leiste. Friedrich Merz hat offenbar jedweden Kompass von Völkerrecht, Anstand und Moral verloren – so er einen solchen je hatte. Diese Propaganda übertönt die durchaus vorhandenen mäßigende Stimmen – zum Beispiel die von Tulsi Gabbard als Geheimdienstkoordinatorin der USA –, die die Atomfortschritte relativieren. Keine Zeit für Verhandlungen und fürs Nachdenken. Ohnehin geht alles so schnell, dass man kaum mehr mitkommt und mitgerissen wird im Strom der Nachrichten und Liveticker – auf vorgeblich vertrauenswürdigen Seiten.

Und wenn dann einmal nachgedacht wird und andere Meinungen auftauchen sollten, dann gibt es immer noch Faktenchecker und Trusted Flagger. Deren Bedeutung steigt, weil besagte offizielle Stellen sie einsetzen, um andere Meinungen am den Rand zu drängen. Und das geschieht auf den Plattformen, wo entweder selbst die Nachrichten geschaut werden oder die als Torwächter in Richtung der Nachrichtenanbieter fungieren. Habe ich gerade Meinungen geschrieben? Es geht doch um Fakten, die gecheckt werden. Und sie würden sich nur um rechtswidrige Inhalte kümmern, sagen die Trusted Flagger, die NGOs im EU-Zensur-Komplex. Auch HateAid ist Anfang des Monats geadelt worden. Auf deren Wort sollen die Konzerne hören, wenn sie etwas melden.

HateAid, klingelt da was? Bei Ihnen vielleicht, aber bei den meisten Menschen sicher nicht.

HateAid ist eine gemeinnützige GmbH, die allein bis 2024 gut 4,7 Millionen Euro Steuergeld erhielt. Offiziell kämpft sie gegen „Hass im Netz“. Tatsächlich aber hilft sie vor allem linken Politikern dabei, gegen Äußerungen von Bürgern vorzugehen und Präzedenzfälle zu schaffen. So unterstützte sie etwa Wirtschaftsminister Robert Habeck, der über 800 Anzeigen wegen Äußerungsdelikten erstattete, etwa gegen Bürger, die ihn als „Schwachkopf“ bezeichneten oder gegen Journalisten, die ihn mit einem „Bahnhofsalkoholiker“ verglichen.

Diese Charakterisierung sollte ausreichen, um zu sehen, worum es geht. Zumal wenn man weiß, dass das, was Nius über HateAid geschrieben hat, der Organisation nicht gefällt. Man würde nicht „vor allem“ linken Politikern helfen und habe Habeck zwar unterstützt, aber nicht bei 800 Anzeigen (was Nius auch nicht geschrieben hatte). HateAid, die nun also in staatlichem Auftrag Tatsachen und Meinungen unterscheiden sollen, wollten diese Passagen aus dem Text streichen lassen. Aber es handelt sich aus Sicht des zuständigen Gerichts um eine zulässige Meinungsäußerung. Wenn Ihnen die Charakterisierung und das Vorgehen noch nicht als Argument gegen die Organisation als Meinungswächter reichen sollte, dann lesen Sie gerne noch den Artikel von Jakob Schirrmacher in der Welt über das „freundlich lächelnde Gesicht des deutschen Zensurkomplexes“.

Und damit wären wir noch einmal bei der Reuters-Studie. Denn sie zeigt auch, dass fast die Hälfte (44 Prozent) der Befragten findet: Neben den illegalen werden zu wenig Inhalte gelöscht, „die als schädlich oder anstößig angesehen werden“. Wer hat diese Meinungsbildung wohl wieder befördert? Warum wollen Menschen legale Inhalte löschen lassen? „Schädlich“ und „anstößig“ sind ja nun keine klaren Rechtsbegriffe. Und was ich anstößig finde, mag mein Nachbar befürworten. Und das darf er, solange es nicht illegal ist. Ich würde ihm trotzdem ein Pils und einen Kurzen ausgeben. Prost!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Regieraum der Tagesschau 2023. Wikiuka, CC BY-SA 4.0