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Medien-Tresen | 09.05.2025
Machtfragen
Wer hat in Deutschland die Macht? Friedrich Merz? Der Verfassungsschutz? Oder doch Blackrock? Die Medien suchen nach Antworten. Und nach Mächtigen.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Jetzt hat er die Macht. Friedrich Merz ist endlich deutscher Bundeskanzler. Wobei sich das „endlich“ auf ihn bezieht. Er wollte das Amt mindestens so sehr wie weiland Gerhard Schröder. Am Medien-Tresen hätten wir hingegen gut und gerne auf ihn verzichtet und mit der einen oder anderen Flasche Felsenbräu aus dem Sauerland auf eine missglückte Wahl angestoßen. Die aber gab es nur im ersten Anlauf und so hat er jetzt die Macht. Aber hat er sie wirklich? Nach dieser Wahl im zweiten Anlauf, der allerersten missglückten Kanzlerwahl überhaupt im deutschen Bundestag?

Zwischen den beiden Wahlgängen riet ihm der ehemalige SPD-Minister in Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, im Cicero, die Machtfrage zu stellen. Denn Politik sei in erster Linie ein Spiel um Macht, das an Schach erinnere. Man müsse die Züge des Gegners vorausschauen und sich auf Alternativen vorbereiten:

Merz hätte zu diesem Zweck unmittelbar nach der gescheiterten Wahl vor die Presse treten und der staunenden Öffentlichkeit verkünden müssen, dass er diese Woche ein zweites Mal zur Wahl antreten und es bei seiner erneuten Nichtwahl Neuwahlen geben werde. Punkt.

Er tat es nicht. An der „Macht“ ist der neue Kanzler nun gleichwohl. Journalisten lieben das Wort „Macht“. Sie sprechen vom Machtwechsel (zum Beispiel die Frankfurter Rundschau), auch wenn eine etablierte Partei an die andere übergibt und beide sich diese „Macht“ seit Jahrzehnten teilen. Im Bayerischen Rundfunk „stolpert“ Merz zur „Macht“, und bei Euronews war in der Zeit zwischen den beiden Abstimmungen am Dienstag wie bei Brodkorb die „Machtfrage offen“. Merz „trickst sich an die Macht“, sagte der Chef von RTL West, Jörg Zajonc, in einem Kommentar. Und weiter: „Wie soll man jemandem treu sein, der sich selbst nicht treu ist.“ Warum sollte so jemand überhaupt Macht bekommen?

Derweil hat die Bild-Zeitung die protokollarische Reihenfolge der Minister genutzt, um eine Hierarchie zu basteln. Und natürlich muss das „enthüllt“ werden, auch wenn es alles andere als ein Geheimnis, sondern ein leicht auffindbarer Organisationserlass des neuen Kanzlers ist. Bild kann aus allem, auch aus dem größten Formalismus, eine Pseudo-Enthüllungsgeschichte machen. Fürs Protokoll, denn dafür ist es gedacht: Da steht Klingbeil vor Dobrindt vor Wadephul, Pistorius und Reiche.

Natürlich ist es interessant, wer die Macht hat, keine Frage. Schließlich geht es unter Umständen um Leben und Tod, wenn die neue Regierung mit Waffenlieferungen ernst macht. Im ZDF verwies Merz darauf, dass der ukrainische Präsident sich auf ihn verlassen könne. Dagmar Henn kommentiert treffend: „Er ist eine Gefahr für Deutschland.“ Aber Merz ist schon mehr als einmal umgefallen. Als Freund des Friedens kann man nur hoffen, dass das auch beim Thema Taurus der Fall sein wird. Das ist Spekulation, und wir sind am Medien-Tresen. Dort schauen wir in die Medien und auf ihren Umgang mit den Ereignissen sowie mit Machtfragen.

Und da spielt bei Friedrich Merz immer auch Blackrock eine Rolle. Schließlich war er beim weltweit führenden Investmentkonzern als Aufsichtsratsvorsitzender für Deutschland oberster Lobbyist. Er sollte die Beziehungen mit Kunden und Regulierungsbehörden fördern. Außerdem hatte er mit seiner Wirtschaftskanzlei Anteil am Ausverkauf des deutschen Mittelstands, schreibt Werner Rügemer in einem Buch, das Anfang des Jahres im Verlag des Magazins Hintergrund erschienen ist.

In den Leitmedien ist davon dieser Tage wenig bis nichts zu finden. Bei Abgeordnetenwatch wird die Lobby-Akte der Regierung Merz immerhin geöffnet, und wir erfahren Details über die Interessenkonflikte in der ersten und zweiten Reihe der Regierung. So war der neue Staatsminister im Auswärtigen Amt, Florian Hahn, im Einsatz für die Rüstungslobby. Er fiel dort nicht so sehr auf. Dafür gab es andere. Auch Philipp Amthor, dessen Qualifikation als Staatssekretär im Ministerium für Digitalisierung wohl vor allem darin besteht, komische Videos für TikTok zu drehen, hat eine Lobbyaffäre hinter sich. Lesen Sie also ruhig einmal nach, wer da noch so alles eher eine Lobby vertritt als die Bürger.

Wir nehmen derweil noch einen kräftigen Schluck Felsenbräu und schauen, was sonst so über Merz und Blackrock geschrieben steht. Größere Analysen sind aktuell nicht zu finden, dafür schon im vergangenen Herbst eine Überschrift in der Wirtschaftswoche: „Jetzt ist aber auch mal gut.“ Die stetige Kritik an Merz und Blackrock habe, so heißt es im Artikel, einen antisemitischen Beiklang. „‚Das Großkapital‘ lenkt insgeheim die Politik – echt jetzt? Bitte nicht“, schrieb die Autorin. Man schlüge sich die Hände vor dem Gesicht zusammen, wenn man von den hiesigen Medien überhaupt noch etwas anderes erwarten würde als die Antisemitismuskeule, den Kampf gegen rechts und Diffamierungen. Da braucht es dringend eine neue Flasche Felsenbräu.

Die Macht der Wirtschaft ist unbestritten, zumindest bei vernünftig denkenden Personen außerhalb von Wirtschaftswoche und Co. Und was ist mit dem Verfassungsschutz? Der hat vergangene Woche ebenfalls seine Macht gezeigt. Ein Gutachten und alle schreiben von der „gesichert rechtsextremen“ AfD – da dürfte sich mit der „Stillhaltezusage“ (wieder ein neues Wort gelernt) von gestern nicht viel ändern. Wobei: Es schreiben nicht alle. Es gibt ja auch andere, die den Verfassungsschutz diskreditieren wollen. So schreibt es der „Faktenfinder“ der Tagesschau und fährt wie üblich einseitig Experten auf, ohne andere Stimmen zu Wort kommen zu lassen.

Für die Delegitimierung der vermeintlichen Verfassungsschützer gibt es genügend Gründe. Wo soll man da anfangen? Vieles ist in Mathias Brodkorbs Buch aus dem vergangenen Jahr zusammengefasst und angesichts der aktuellen Ereignisse noch einmal im Cicero zusammengefasst worden. Warum hat der Verfassungsschutz nun Macht? Nancy Faeser hat der Union damit noch einmal deutlich machen wollen, wie vorgeblich unanständig die AfD ist. Nur mit der SPD kann weiter regiert werden. Der Verfassungsschutz wurde damit zu einem Machtinstrument gegen die Union. Ein Instrument, das sich damit umdrehte. Schließlich nutzte jahrzehntelang vor allem die CDU den Verfassungsschutz gegen ihre Gegner von links.

Der Verfassungsschutz und damit die Regierung (die alte, nicht die neue wohlgemerkt) üben damit auch Macht auf die Medien aus: Können diese noch „Rechtsextreme“ einladen? Die Debatte läuft. Kaum eine Debatte gibt es – wie bei Blackrock und Merz – derweil über den Verfassungsschutz selbst. Allein dessen Rolle bei bzw. in der NSU reicht aus, um ihn ein für alle Mal zu delegitimieren. Die Beispiele im Buch von Mathias Brodkorb ebenfalls. Aber bei Machtfragen geht es nicht um offenkundige Tatsachen. Es geht auch nicht um die Geschichte, sondern eben vor allem um Macht in der Gegenwart. Wer setzt sich durch? Welche Interessen gibt es und wem kann es nützen? Und die Medien, die uns hier am Medien-Tresen besonders interessieren, wollen mit dabei sein. Dicht an den Mächtigen. Und so werden solche hintergründigen Fragen ausgeblendet, die wir hier immerhin aufgeworfen haben. Und wenn Sie die verzwickten Wege der Macht bis hierher mitgegangen und mitgelesen haben, dann haben Sie sich ein frisches Felsenbräu redlich verdient. Prost!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Friedrich Merz 2024 im Münchner Presseclub. Foto: Michael Lucan CC BY-SA 3.0-de