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Interview | 02.06.2025
König der Arbeitslosen
Wenn er das Jobcenter betritt, schrillen bei den Sachbearbeitern die Alarmglocken. Die wichtigen Dinge bespricht René aber ohnehin lieber mit dem Chef.
Text: Uta Kühner
 
 

Die meisten Männer, die in körperlich anstrengenden Berufen tätig sind, können oft schon ab Mitte 40 nicht mehr Vollzeit arbeiten: Estrichverleger mit kaputten Knien, Maurer mit kaputtem Rücken. Einer von ihnen ist René, arbeitsloser Maurer, der in einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern lebt. Über eine gemeinsame Freundin lernten wir uns kennen, als ich jemanden suchte, der Mauern reparieren kann. Nach dem Abladen der Zementsäcke kamen wir ins Gespräch. Thema: Arbeitslosigkeit, Erfahrungen mit dem Jobcenter. Was man dort erlebt, lässt nicht jeden demütig werden. Ich habe René um ein Interview gebeten.

Wenn du dir anschaust, was in den Medien über Arbeitslosigkeit berichtet wird: Fühlst du dich da gut informiert?

Nein. Einmal zum Beispiel brachten sie im Fernsehen, dass Arbeitslose Urlaubsgeld beantragen können. Als ich meinen Sachbearbeiter fragte, wie es damit aussieht, sagte er: „Den Antrag können Sie stellen, aber damit kommen Sie nicht durch.“ Der wollte mir einfach nur den Wind aus den Segeln nehmen. Deshalb ärgert mich, dass ich den Antrag nicht trotzdem gestellt habe. Die wollen nur Geld sparen. Mit ging es gar nicht um das Geld. ich wollte nur wissen, was die Wirklichkeit ist.

Vielen Arbeitslosen wurden Unterhaltszahlungen gekürzt oder gar komplett verweigert. Hast du so etwas schon einmal erlebt?

Ja. Mir wurden die Zahlungen verweigert, weil ich nicht bereit war, ein psychologisches Gutachten über mich ergehen zu lassen. Dagegen bin ich rechtlich vorgegangen und habe Recht bekommen. Sie haben trotzdem nicht gezahlt. Nach drei Monaten habe ich beim Jobcenter vorgesprochen und mein Geld verlangt. Ich solle gehen, sonst würden sie von ihrem Hausrecht Gebrauch machen, war die Antwort. Dann war ziemlich schnell die Polizei da und hat mich hinausbegleitet. Als mich am Treppenabsatz ein Polizist am Arm gezerrt hat, ist bei mir der Faden gerissen. Ich hab ihn angebrüllt: „Fass mich nicht noch mal an, sonst schmeiß ich dich die Treppe runter.“ Sie haben mich sofort in Ruhe gelassen. Sie wussten gar nicht, worum es eigentlich ging. Sie hatten keine Handhabe. Ich war ja im Recht. Danach bekam ich mein Unterhaltsgeld, als ob nichts gewesen wäre.

Direkt neben dem Jobcenter hatte die Ostseezeitung seinerzeit ein Büro, in das René gleich nach dem Vorfall ging. Eine Redakteurin schien interessiert an seinem Erlebnis und versprach ihm, einen Artikel zu veröffentlichen. Sie hat ihr Versprechen nie eingelöst.

Wie hast du die Corona-Zeit als Arbeitsloser erlebt?

Ich war in einer Maßnahme. Dort sollte ich mich jeden Tag testen lassen. Das wollte ich nicht. Sie redeten auf mich ein: „Die anderen machen das doch auch. Wo ist das Problem?“ Gar kein Problem, schließlich haben wir eine Lösung gefunden. Ich blieb zu Hause, und wir haben alles telefonisch gemacht. Das ging doch auch. Aber erst wollte niemand hören, dass ich nein sage.

Was hältst du vom bedingungslosen Grundeinkommen? Glaubst du, das würde etwas ändern?

Ja. Mir würde es das Gefühl geben, dass ich mehr dazugehöre. Die Leute wären beruhigter und würden nicht denken: „Ich muss arbeiten gehen.“ Dann wäre ich nicht der Querulant, der sich auf Kosten der Bevölkerung durchschnorrt. Das ist gemacht vom Staat. Es wird ein Opfer gebraucht. Einer, der Schuld ist an allem.

Hat der Arbeitslose also eine Funktion?

Schon öfter habe ich Leute gefragt, was denn ihr Problem ist mit den Arbeitslosen. Wenn sie gern arbeiten gehen, könnte es ihnen doch eigentlich egal sein. Jeder ist froh, wenn er etwas gut machen kann. Helfen kann. Aber es geht ihnen nur darum, noch mehr Geld zu verdienen, obwohl sie schon alles haben.

Kennst du solche Leute?

Ich habe Verwandte, die immer auf Montage sind und viel Geld nach Hause bringen, aber praktisch kein Familienleben mehr haben.

Könnten sie auch hier Arbeit finden?

Auf jeden Fall. Dann müssten sie aber mit weniger auskommen.

Wurden dir Weiterbildungen angeboten?

In Hamburg habe ich an einer Veranstaltung der Landesversicherungsanstalt teilgenommen. LVA, weil ich wegen meiner Rückenprobleme nicht mehr Vollzeit arbeiten kann. Es ging eigentlich nur darum, die Leute auf die Ausbildungsplätze zu verteilen. Mir wurde eine Hausmeisterausbildung angeboten. Das könnte ich auch so schon machen. Ich wollte mich in meinem Beruf weiterbilden. Aber das hat niemanden interessiert.

Gäbe es für dich die Möglichkeit, halbtags zu arbeiten?

Schwierig bei dem Arbeitskräftemangel. Wenn sie zehn Leute brauchen und nur acht haben, nehmen sie keinen, der weniger arbeitet.

Die Bundeswehr versucht, über die Arbeitsämter zu rekrutieren. Wobei ich nicht weiß, ob sie Maurer einstellen. Was hältst du grundsätzlich davon?

Finde ich nicht gut. Wir haben uns doch eigentlich weiterentwickelt und wissen, dass Krieg nicht das ist, was wir wollen.

Aber die Bundeswehr will doch den Frieden sichern und uns nur verteidigen, wenn uns ein Feind bedroht.

Im Fernsehen hat einer gesagt – ein Reservist, glaube ich –, dass wir Europäer füreinander einstehen und uns verteidigen müssen. Das hat mich schon nachdenklich gemacht.

Also hat dich die Propaganda ein Stück weit eingefangen, von wegen „füreinander einstehen“?

Stimmt, irgendwie schon. Aber da ich mich als Außenseiter sehe, muss ich erstmal nirgends mitmachen. Dann bleibt immer noch genug Zeit, zu überlegen.

Was müsste passieren, damit du nicht mehr Außenseiter wärst?

Schwierig. Hat was mit Toleranz zu tun.

Weil du dir wünschen würdest, dass alle an einem Strang ziehen?

Logisch. Als Jäger und Sammler haben die Menschen in Gemeinschaften gelebt. Das ist das, worauf es ankommt. Wozu wären wir fähig, wenn wir eine Gemeinschaft wären? Dann wären wir nicht so leicht manipulierbar.

Was wäre deine Empfehlung an die anderen?

Nehmt euch mal Zeit und überlegt, was ihr wirklich möchtet. Wenn ihr in dieser Gesellschaft einfach nur mitlebt, dann schafft ihr es nicht, darüber nachzudenken. Wenn es immer nur heißt: „Ich muss, ich muss“, dann seid ihr nicht mehr produktiv.

Uta Kühner hat im März 2025 am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: Bundesagentur für Arbeit. Foto: Stefan Brending / Lizenz: Creative Commons CC-BY-SA-3.0 de