Seit fast vier Jahren erscheint dieser Podcast. Die wöchentliche Unterhaltung zwischen dem Bestsellerautor Richard David Precht und dem Moderator Markus Lanz ist ein Erfolgsformat und gehört zu den meistgehörten Podcasts Deutschlands. Die Rollenverteilung ist klar und sorgt für Reibung: Precht, der tiefgründige Denker, vertritt gern Positionen abseits der Mehrheitsmeinung und bleibt dabei beharrlich; Lanz, der (für manche etwas zu) charmante Südtiroler, bringt ein eher angepasstes Weltbild mit.
In der Folge „Momentum für die Ukraine – ist die Zeit reif für den Frieden?“ (15. Mai 2024) beginnt die Unterhaltung überraschend leicht: Lanz spricht Precht auf seine auffallend sportliche Figur an – das Resultat intensiven Kärcherns in der Sonne – und berichtet von den Auswirkungen des Smogs in Dakar, wohin er kürzlich reiste.
Precht schafft es, der Unterhaltung über Hausarbeit philosophische Tiefe zu verleihen: „Das sind die Momente, in denen man nichts denkt. Diese scheinbar sinnlosen Aufgaben sind ja die eigentlich sinnvollen, denn ich weiß, dass ich damit wirklich etwas erreiche. Das weiß ich, wenn ich zum Beispiel an einem Artikel schreibe, nicht immer.“
Dann wird es ernst. Precht erinnert daran, dass er bereits im Sommer 2022 öffentlich für Friedensverhandlungen plädiert habe – und dafür medial zerrissen wurde. Heute wirke es, als fehle es auf der Weltbühne schlicht an Persönlichkeiten mit dem notwendigen diplomatischen Geschick. Weder Trump, der Russland die Krim, die Ostgebiete und einen Nato-Verzicht der Ukraine anbieten wolle, noch Merz, Macron oder Tusk, die neue Sanktionen in Aussicht stellen, seien geeignete Vermittler. Precht konstatiert: „Ich lese in unseren Leitartikeln kein Wort über eine Lösung, also die Frage, wie wir einen Frieden schließen, der auch dauerhaft, über viele Jahrzehnte Frieden in Europa garantiert.“
Lanz bringt dagegen die Perspektive des Historikers Jörn Leonhard ins Spiel („Über Kriege und wie man sie beendet“, 2023). Dessen These: Kriege enden nicht zwangsläufig durch Verhandlungen – viele brennen einfach aus, wie etwa der Iran-Irak-Krieg (1980 bis 1988). Auch der aktuelle syrische Konflikt zeigt, dass sich Machtverhältnisse manchmal schlicht verschieben.
Precht betont, dass Frieden mehr sei als bloße Waffenruhe. Wer den Besiegten demütigt, mache den Frieden brüchig. Das sei die Lehre aus dem Versailler Vertrag – einem „Friedensdiktat“, das den deutschen Revanchismus befeuerte. Ein nachhaltiger Friede müsse allen Beteiligten ermöglichen, ihr Gesicht zu wahren. Wie solle Selenskyj erklären, dass er die Ostgebiete aufgibt? Und wie solle Putin den Verlust hunderttausender junger Männer rechtfertigen, wenn es nur um wenige Kilometer Grenzverschiebung geht?
Lanz und Precht stellen die Frage: Kann es ohne „wohltätiges Vergessen“ überhaupt Frieden geben? Ein schwieriger Gedanke, gerade mit Blick auf die Härte der gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahre – etwa zur Corona-Politik. Precht verweist auf Ruanda: Dort habe Präsident Paul Kagame das Land nach dem Völkermord durch Versöhnung stabilisiert. Lanz geht darauf mit seinen Erfahrungen bei Russlandreisen ein, wo ihm häufig gesagt worden sei: „Wir haben die 27 Millionen sowjetischen Opfer des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen, aber es muss irgendwann gut sein.“
Diese Haltung sei Ausdruck eines zutiefst christlichen Gedankens – und ein Schlüssel zu echter Versöhnung.
Im letzten Teil des Gesprächs kommt Lanz schließlich auf ein Thema zu sprechen, welches er in dieser Emotionalität wohl noch nie angefasst hat und bei dem es geradezu aus ihm herausbricht:
Wir haben jetzt viel über die Ukraine gesprochen. Ich finde es skandalös und immer skandalöser, wie wir das, was da in Gaza passiert, einfach ausblenden. Ich habe genug davon, offizielle Verlautbarungen zu hören, die da lauten: „Staatsräson“ oder wenn es heißt: „Ein israelischer Staatspräsident muss immer die Möglichkeit haben, Deutschland zu besuchen, auch wenn es einen internationalen Haftbefehl gegen ihn gibt. Wir fordern aber, dass Putin in der Mongolei festgenommen wird, wenn er da hinreist. Die gleichen Leute, die mir vor der Kamera sagen: Das sei die Sicherheitspolitik Israels, ich kann da keine Kriegsverbrechen erkennen, die sagen mir, wenn die Kameras aus sind: „Natürlich finden da Kriegsverbrechen statt und wir müssen darüber reden, ob da Hunger als Waffe eingesetzt wird.“
Er verstehe, dass ein deutscher Kanzler nicht reden könne wie Macron, sagt Lanz weiter. Aber es gebe auch noch etwas dazwischen: „Heute kommt die Meldung, dass wieder drei Ukrainer durch Waffen Putins gestorben sind. Während wir das aussprechen, sterben in Gaza in einer Nacht 80 Menschen.“ Ein Faktor für Lanz’ Vehemenz ist auch, dass die israelischen Verbrechen heute besser dokumentiert sind als früher.
Er erzählt von einem Rettungssanitäter, der zum vierten Mal in Gaza war. Beim Versuch, Geiseln zu befreien, würden „mal eben“ 400 unschuldige Menschen sterben. Der Sanitäter erzählt von einem Polizeiauto, das im Visier der israelischen Streitkräfte war. In diesem Polizeiauto sollten möglicherweise Hamas-Terroristen gewesen sein. Er beschreibt die Gnadenlosigkeit und Erbarmungslosigkeit: „Wenn man einfach nur drei Minuten gewartet hätte, hätte man das Auto nicht auf dem Marktplatz erwischt. Es wird aber auf dem Marktplatz beschossen – und alle, die drumherum stehen, sind auch alle tot. Es sterben vor allem Kinder und Frauen.“ Lanz weiter: „Das ist nicht mehr vermittelbar. Was ist das für ein dröhnendes Schweigen und Drumherum-Gerede über etwas, was jedem klar sein muss?“
Der mutigen und unerwarteten Anklage eines Markus Lanz gegen den israelischen Staat gebührt Respekt. Es ist selten, dass ein Showmaster, der mit diesen Worten wenig zu gewinnen und viel zu verlieren hat, seine Stimme in dieser Deutlichkeit erhebt. Seine Ausführungen sind im Netz auch von der Pro-Palästina-Community rezipiert und geteilt worden. Es muss Lanz zugutegehalten werden, dass das Denken bei ihm noch die Richtung ändern kann. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass Lanz kein Homeoffice-Journalist ist. Als passionierter Reporter hat er viele Teile der Welt bereist – was auch in diesem Fall in seine Meinungsbildung einfließt:
Das (unsere Israelpolitik) kostet uns unglaublich viel Glaubwürdigkeit. Es ist nicht so, dass Menschen zum Beispiel in Syrien auf mich zukommen und uns Deutschen Doppelmoral vorwerfen. Die Kritik ist sehr fein und vorsichtig vorgetragen. Die Leute sind sehr wohl in der Lage zu differenzieren. Sie fragen, ob wir diese Position wirklich gut finden, das Waffenliefern. Sie fragen: Müsstet ihr Netanjahu nicht viel deutlicher sagen, dass das so nicht geht?
Zum Schluss werden die beiden Themen Ukraine und Israel von Precht verknüpft:
Es ist so tragisch, dass die Amerikaner als Vermittler gerade ausfallen. Vor genau dreißig Jahren war Srebrenica, wo es am Ende im Abkommen von Dayton unter amerikanischer Vermittlung zu einem Friedensvertrag kam. Das ist zwar einerseits tragisch, aber andererseits jetzt die Aufgabe der Europäer, an der sie wachsen müssen.
Es ist festzustellen, dass sich der Mainstream-Hardliner Lanz durch den häufigen Austausch mit dem stets differenzierenden Precht in puncto Kriegsgeilheit zumindest gemäßigt hat und es immer wieder schafft, aus der schwarzweißen Schablone der westlichen Ukraine-Erzählung auszubrechen.
Eine komplexe Analyse zum Ukrainekrieg mit seiner geopolitischen Vorgeschichte im Stile von Patrik Baab oder Gabriele Krone-Schmalz kann man von Lanz nicht erwarten. Doch die Tatsache, dass in einem der reichweitenstärksten Podcasts Deutschlands inzwischen zumindest Grautöne vernehmbar sind oder – wie mit Blick auf Lanz’ Israelkritik – sogar verloren geglaubtes Rückgrat an den Tag gelegt wird, ist ein großer Erfolg.
Aron Morhoff studierte Medienethik und ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. In seiner Liveshow "Addictive Programming" geht es um Popkultur, Medienkritik und Bewusstseinserweiterung.
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