Es ist das Dokument, das den Bauernkrieg zum Bauernkrieg gemacht hat: Vor genau 500 Jahren, im März 1525, versammelten sich 50 Vertreter dreier sogenannter Bauernhaufen in Memmingen. Im Zuge der Beratungen der Baltringer, Allgäuer und Bodenseer Haufen entstanden die „Zwölf Artikel“. Es sollte eine der wirkungsmächtigsten Druckschriften ihrer Zeit werden, ein Manifest, das weit über Oberschwaben hinaus verbreitet wurde. Und das gelang mittels der Druckerpresse. Die Zwölf Artikel wurden ein Bestseller in der noch jungen Flugschriftenliteratur, ein neues Medium wurde für die politische Propaganda genutzt. Die Rede ist von etwa 25.000 Exemplaren, die landauf, landab kursierten.
Die Zwölf Artikel wurden am 19. März 1525 erstmals in Augsburg gedruckt und in den nächsten zwei Monaten noch fast 30 Mal – an 14 weiteren Orten. Von Zürich bis nach Magdeburg, von Regensburg bis nach Zwickau: Die programmatische Druckschrift der Bauern erreichte die Massen. Und sie sorgte dafür, dass die Aufstände, die überall entstanden waren, fortan als Bauernkrieg in die Geschichte eingingen. Spätestens jetzt wurden die Bauern und ihre Belange ernst genommen, nachdem sie bereits seit vielen Jahren gegen die Abgaben, den Zehnten, die Aneignung der Allmende, also des öffentlichen Raums, durch die Feudalherren protestiert hatten. In Oberschwaben hatten sich die drei große Rebellenheere gebildet, die ihre Forderungen zusammenstellten – nicht von ungefähr im Winter, als die Bauern weniger auf ihren Äckern zu tun hatten. Die Zwölf Artikel wurden durch die Verbreitung als Flugschrift das wichtigste und bis heute bekannteste Manifest.
Die These, dass der Bauernkrieg aus der Druckerpresse stammte, habe ich mir von Thomas Kaufmann entliehen. „Ohne sie wäre der Bauernkrieg ausgeblieben“, schreibt Kaufmann. Der Kirchenhistoriker entwickelt seine These in seinem umfangreichen Buch zum Bauernkrieg als Medienereignis und kann dafür gute Gründe vorbringen. Am Medien-Tresen gibt es deshalb heute aus Anlass des Jubiläums eine kleine Geschichtsstunde. Bevor Sie jetzt aber aufhören zu lesen: Es geht dabei auch um unterschiedliche Geschichtsdeutungen und vor allem um allgemeinere Überlegungen zum Verhältnis von Medien und Protestbewegungen.
Zunächst ein kleiner Blick in den Text. Sie können ihn sich im Original im Internet anschauen oder auch nachlesen. Die Sprache der damaligen Zeit dürfte nicht für jeden verständlich sein, weswegen ich die Übertragung von Wilhelm Zimmermann empfehle. Für unseren Zusammenhang heute reicht es aber zu wissen, dass die Zwölf Artikel die Wahl der Pfarrer durch die Gemeinden und eine reine evangelische Lehre forderten – der Bauernkrieg und die Reformation sind untrennbar miteinander verbunden. Zudem ging es um die Begrenzung der unzähligen Abgaben an Grundherren und Kirche sowie die „Restitution der den Gemeinden und einzelnen gewaltsam entzogenen Waldungen, Weiden und Privilegien" und um die "Beseitigung der Willkür in Justiz und Verwaltung“, wie Friedrich Engels zusammenfasst.
Engels und Zimmermann agierten beide in der 1848er Revolution und bezogen sich auf je eigene Weise auf die Ereignisse der Jahre um 1525 als Teil der revolutionären Tradition der Deutschen. Im Detail soll das hier nicht interessieren, wichtig ist, dass die Forderungen sowohl zurück als auch in die Zukunft blickten: Die Bauern wollten sowohl die Rückkehr zu althergebrachten Rechten, die ihnen immer mehr streitig gemacht wurden, als auch neue Regelungen. Die Forderungen waren kein reines progressives Programm, das alle Verhältnisse umstürzen wollte – hierfür stand eher Thomas Müntzer, der sich allerdings auch auf tradierte Verhältnisse bezog und den ich vergangenes Jahr an einem anderen Ort gewürdigt habe.
Das gemäßigte Programm der Zwölf Artikel war anschlussfähig. Und genau deshalb verbreitete es sich so schnell. Es wurde selbst dort gedruckt und von den aufständischen Bauern anerkannt, wo es keine Leibeigenschaft oder andere im Text genannte Bedrückungen gab. Damit erfüllte sich das, was die Flugschrift im Untertitel behauptete, nämlich dass es sich um die „gründlichen und rechten Hauptartikel aller Bauerschaft und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten handele, von welchen sie sich beschwert vermeinen“. Die Zwölf Artikel wurden zu den Hauptartikeln aller Bauern oder besser gesagt vieler Bauern im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, weil sie sich so weit verbreiteten und weil die aufständischen Bauern und ihre Anführer nach einer Zusammenfassung ihrer Forderungen suchten.
Es kamen also mehrere Dinge zusammen: Zunächst ein findiger Propagandist, denn vermutlich gaben nicht die in Memmingen versammelten Bauern die Artikel zum Druck ins nahe gelegene Augsburg. Dazu kam die Technik der Druckerpresse inklusive der noch fehlenden flächendeckenden Zensurorganisation – erst im Zuge von Reformation und Bauernkrieg bildete sich diese in den deutschen Territorialstaaten heraus. Und schließlich war es die revolutionäre Situation, die nicht nur aus Sicht der Oberschwäbischen Bauern eine Zusammenfassung ihrer Forderungen nötig machte, sondern auch anderswo brauchte es eine programmatische Schrift. Der richtige Text zur richtigen Zeit, ein Medium, das den Ton traf – den Nerv seiner Zeit. Johannes Rau sprach vor 25 Jahren von einem „Monument der deutschen Freiheitsgeschichte“.
Wobei die Frage zu stellen wäre, ob sich das Establishment, zu dem auch Johannes Rau gehörte, zumindest aber sein damaliges Amt als Bundespräsident, auf diese Form der Freiheitsliteratur beziehen kann. Oder ob sich die deutsche Herrschaftsgeschichte durch alle historischen Brüche hindurch weiterschreiben lässt. Dann stünden die Repräsentanten des Staates – selbst ein halbwegs Aufrechter wie Johannes Rau – nicht in der Tradition der Aufständischen, sondern in der des blutigen Niedermetzelns des Bauernkriegs. Denn natürlich gehört auch das zur Geschichte wie auch Martin Luthers vehementer Kampf gegen die Bauern. Aber wir wollten ja kein historisches Hauptseminar abhalten, sondern sind am Medien-Tresen.
Und an dem fragen wir uns, was wir aus der Geschichte lernen können. Auch wenn das sonst schon niemand tut, Stichwort Kriegstüchtigkeit – wir versuchen es. Schauen wir heute auf die herrschaftskritische Gegenöffentlichkeit, zu der auch unsere kleine Kolumne und die Freie Medienakademie gehören, dann hat sie durchaus eine gewisse Reichweite erreicht. Aber ohne eine Bewegung, die die kritischen Gedanken aufnimmt, bleibt sie ohne Wirkung. Klar, sowohl das BSW als auch die AfD nehmen Stimmungen auf, tragen oder trugen sie in die Parlamente. Aber die Zwölf Artikel zeugen davon, dass es neue Methoden und Wege braucht – und vor allem eine breite Bewegung außerhalb der bestehenden Strukturen.
Damals haben die Unterhändler vieles versucht: Sie haben mit den Herrschenden gesprochen, haben Verhandlungen mit den Gegnern geführt. Aber ohne die Kraft des Aufstands, die pure Masse der Menschen wäre die Obrigkeit nicht einmal bereit gewesen, die Unterhändler zu empfangen. Die mediale Macht der Zwölf Artikel hat das ihre dazu beigetragen. Die Flugschriften und ihre weite Verbreitung haben gezeigt, dass es ein Programm gibt und dass dahinter viele Tausende standen. Und natürlich hat die mediale Macht der Flugschriften Luther und andere zu propagandistischen Gegenschriften und zu Verleumdungen animiert. Bis heute muss jeder mit solcherart Gegenwind rechnen, der sich herrschaftskritisch äußert, auf die Straße geht und protestiert. Kritik sollte sich davon nicht abhängig machen – in der Geschichte wie in der Gegenwart. Darauf trinken wir ganz am Ende unseres historischen Ausflugs am Medien-Tresen ein urig-würziges Altenmünster Brauer Bier aus dem Allgäu. Prost!
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
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