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Welt-Tresen: Bulgarien | 06.05.2025
Ex-Premier vor Gericht
Kiril Petkow soll seinen Vorgänger im Amt illegal verhaftet haben. Dass er illegal Waffen in die Ukraine lieferte, spielt im Prozess wohl keine Rolle.
Text: Rumen Milkow
 
 

Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, es war der 18. März 2022, keine vier Wochen nach Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine. Ich war auf dem Weg in die bulgarische Hauptstadt, als ich aus dem Radio erfuhr, dass der Langzeitministerpräsident und Vorsitzende der Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB), Boiko Borissow, am Vorabend verhaftet worden war. Nach Sofia fuhr ich, weil ich Besuch aus den USA erwartete. Meine Schwiegermutter kam bereits das zweite Mal in nur drei Jahren nach Bulgarien. Auch der damalige Ministerpräsident Kiril Petkow von der Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) erwartete Besuch aus den Vereinigten Staaten, und zwar den Verteidigungsminister Lloyd Austin. Zuvor hatte viele Jahre kein US-Verteidigungsminister Bulgarien besucht.

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Es gab schon länger Korruptionsvorwürfe gegen Borissow. Jetzt, wo er in der Opposition saß, sollte also gehandelt werden. Laut seinem Anwalt wurde er aber nicht wegen Korruption, sondern wegen Erpressung festgenommen. Anklage wurde auch nicht erhoben, die Staatsanwaltschaft selbst soll aus den Medien von dem Vorfall erfahren haben. Sympathisanten hatten sich vor Borissows Haus in Bankja versammelt, einem Vorort von Sofia. Obwohl er nach knapp 24 Stunden wieder freigelassen wurde, nannte die Deutsche Welle die Verhaftung eines der spektakulärsten politischen Ereignisse der vergangenen Jahre..

Immerhin, eines wurde erreicht: Der Besuch von Lloyd Austin geriet durch Borissows Verhaftung aus dem Fokus. Ebenso der von der Partei „Wiedergeburt“ organisierte Protest vor dem Verteidigungsministerium im Zentrum von Sofia, wo auch der Rücktritt Petkows gefordert wurde. Ich war zugegen, weil mein Besuch aus Amerika auf sich warten ließ. Der Besuch Austins war nicht unwichtig, denn man konnte davon ausgehen, dass es bei den Gesprächen auch um die Beteiligung Bulgariens am Ukraine-Krieg gehen würde. Und so war es auch. Im Anschluss an den Besuch erklärte Petkow, dass Bulgarien keine Waffen in die Ukraine schicken würde. Er hatte gelogen, denn im Januar 2023 stellte sich heraus, dass Bulgarien die Ukraine mit Munition und Diesel versorgt hatte, wenngleich auf Umwegen. Die Welt titelte damals über Bulgarien: Das Land, das heimlich die Ukraine rettete.

Kurze Zeit später wollte Ursula von der Leyen Bulgarien zwar nicht retten, aber immerhin illegal in die Euro-Zone schleusen. Neben von der Leyen spielte Petkow die zweite Hauptrolle in diesem Krimi. Wie das Nachrichtenportal Nius am 1. Juni 2023 berichtete, soll die Präsidentin der Europäischen Kommission Petkow den Beitritt zum Euro unter „Umgehung der Regeln“ in Aussicht gestellt und von ihm gefordert haben: „Zitieren Sie mich nicht!“ Dies ging aus einer geleakten Tonaufnahme hervor.

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Der Euro-Beitritt ist gerade wieder im Gespräch, obwohl bis heute nicht nur von der Partei „Wiedergeburt“ angezweifelt wird, dass es dabei mit rechten Dingen zugeht. Trotz Protesten im Februar ist weiter der 1. Januar 2026 als Termin im Gespräch. Und das, obwohl es in Bulgarien keine Mehrheit für den Beitritt zur Euro-Zone gibt. Genauso wie es keine Mehrheit für Waffenlieferungen in die Ukraine oder für die Corona-Maßnahmen gab.

Es war nicht das erste Mal, dass Petkow Absprachen mit Ursula von der Leyen traf. Eine der ersten Amtshandlungen Petkows war, nach Brüssel zu reisen und mit der EU-Kommissionspräsidentin über den Kauf von Impfstoffen für Bulgarien zu sprechen. Bald darauf allerdings sprach Petkow in der Heimat auf einem von der Partei „Wiedergeburt“ organisierten Protest gegen die Corona-Maßnahmen. Zuvor hatte er seinen Landsleuten bereits zugesichert, dass es mit ihm als Ministerpräsidenten keine Impfpflicht geben würde.

Die Staatsanwaltschaft wirft Petkow nun vor, seine Befugnisse überschritten zu haben. Er habe Handlungen angeordnet, die außerhalb seiner Kompetenz gelegen hätten. Es geht allerdings nicht um die geheimen Waffenlieferungen und auch nicht um geheime Absprachen zum Eurobeitritt, sondern um die Verhaftung von Borissow. Auch das höchste Staatsamt, das Amt des Premierministers, habe ihm nicht das Recht gegeben, die Verhaftung eines früheren Premierministers anzuordnen. Dies liege ausschließlich in der Macht der dafür zuständigen Ermittlungsbehörden.

Petkow erklärte seine Unschuld, weigert sich jedoch, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Nicht nur die illegale Verhaftung von Borissow steht im Raum, sondern auch die von Borissows Finanzministers Vladislav Goranov und der PR-Beauftragten der Partei, Sevdelina Arnaudova. Zur Begründung sagte Petkow: „Weil ich der Staatsanwaltschaft nicht vertraue.“ Er vertraue aber dem bulgarischen Gericht und sei sich sicher, das Gesetz nicht gebrochen zu haben. Er stehe hinter seinen Handlungen, sie bewegten sich im Rahmen des Gesetzes.

Petkow ist 1980 in Plowdiw geboren. 1994 emigrierte die Familie nach Kanada. Er hat einen Harvard-Abschluss in Business Administration. Zurück in Bulgarien, war Petkow von Mai 2021 bis September 2021 Wirtschaftsminister. Nur wenige Tage nach seiner Entlassung gründete er zusammen mit Assen Wasilew die Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (PP). Das Duo ist in Bulgarien auch als „Die Jungs aus Harvard“ bekannt. Bei den Parlamentswahlen im November 2021 errang PP auf Anhieb 25,7 Prozent der Stimmen und wurde stärkste Kraft im Parlament. Vom 13. Dezember 2021 bis zum 22. Juni 2022 war Petkow Ministerpräsident. Dann verlor er ein Misstrauensvotum im Parlament. In westlichen Medien war oft von einem „Sturz“ die Rede.

Dass jetzt Anklage gegen Petkow erhoben wird, dürfte damit zusammenhängen, dass die Partei GERB des früheren Ministerpräsidenten und immer noch Partei-Vorsitzenden Borissow wieder an der Macht und PP in der Opposition ist. Auch wenn die Staatsanwaltschaft betont, „dass Borissow bislang nicht befragt worden sei“. Petkows Verteidigerin beantragte die Rückgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft aufgrund erheblicher Verfahrensverstöße. Das Gericht ist anderer Meinung, und so werden am 10. Juni die ersten Zeugen vernommen.

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Bildquellen: Proteste am 18. März 2022. Titel: Petkow spricht. Rumen Milkow