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Meyen am Tresen | 19.07.2025
Die Rebellen sind müde
Der Corona-Widerstand hat nach fünf Jahren Dauerkampf die Mühen der Ebene erreicht. Was und wer dort übrigbleibt, ist noch nicht ausgemacht.
Text: Michael Meyen
 
 

Ich mag nicht mehr, sagte mir neulich der Mann, den ich bei vielen meiner Runden im Dorf treffe. Ein Spaziergänger der ersten Stunde. Jeden Montag in die Kreisstadt, auch bei Wind und Wetter. Im Winter 2021/22 war das richtig groß. Tausend und mehr in einer Gegend, die eher dünn besiedelt ist. Den Spaziergang gibt es noch, aber er steht auf der Kippe. Mindestens zehn Leute, sagt der Kopf der Gruppe. Sonst gehen wir nicht. Und wenn es dreimal nacheinander weniger sind, machen wir Schluss. Pfingsten ist der Protestmarsch deshalb ausgefallen und jetzt im Juli schon einmal in die nächstgrößere Stadt ausgewichen. Sichtbar bleiben. Dem Mann in meinem Dorf war das egal. Er ist nach der Wahl im Februar ausgestiegen. Die da oben, sagt er sinngemäß, machen ja doch, was sie wollen.

Ich erzähle das, weil Müdigkeit und Resignation auch die Veranstaltungen erreichen und die neuen Medien der Gegenöffentlichkeit. Ulrich Gausmann, landauf, landab unterwegs mit seinem Buch Wirtschaft und Finanzen neu gedacht aus der Reihe „The Great WeSet“ im Massel-Verlag, hat eine Utopie-Akademie auf die Beine gestellt, preiswert und mit einem Programm, das die Bude eigentlich von selbst füllen müsste. Tröpfchenweise, sagt er über die ersten Anmeldewochen. Besser wurde es erst, als Gausmann mit vollem Einsatz in die Bütt ging und nicht nur auf Apolut oder bei Walter van Rossum zu sehen war.

Immerhin, werden Sie sagen. Das Aber: Wer weiß, wie lange noch. Das Magazin Hintergrund schreibt in seinem aktuellen Newsletter, dass es 1500 neue Abos brauche oder 1000 Förderabos. Sonst sei Schluss. Büro, Honorare, feste Stellen: All das „trägt sich nicht durch Applaus allein“. Wer Hintergrund nicht kennt: Wir sprechen hier über eine Traditionszeitschrift, die 2020 kurz auf Grund ging, weil sich Verleger, Redaktion und Stammautoren nicht einig werden konnten, die dann aber in neuem Glanz zurückkam und nun wie eh und je „für unabhängige Recherche“ steht, für „fundierte Analyse“ und für „den Mut, unbequeme Fragen zu stellen“. Sorry, dass ich hier einfach die Eigenwerbung übernehme, aber da ich dort selbst Autor bin, müsste ich sonst ohnehin etwas zur Befangenheit sagen.

Eine Nummer kleiner: Klartext, ein Printprodukt, das im Coronaprotest gewachsen ist, inzwischen auf eine Auflage von 90.000 Exemplaren kommt und auch deshalb bei kaum einer der Veranstaltungen fehlt, zu denen ich eingeladen werde. „Auf den ersten Blick wirkt Klartext wie eine normale Zeitung“, schrieb das Oberbayerische Volksblatt, Platzhirsch in Rosenheim, im Februar. Aber dann. Überschrift, übernommen von einem Journalisten, der hier als Kronzeuge firmiert: „Kann unglaublich gefährlich werden“. Auch hier gilt jedoch: Wer weiß, wie lange noch. Ich war neulich beim Sommerfest der Verteiler – Menschen, die für das Projekt leben und dafür sorgen, dass das Blatt bei ihren Nachbarn im Kasten liegt, oft genug verbunden mit Beschimpfungen selbst da, wo man sich ewig kennt. Das Geld reicht noch genau für die nächste Nummer. Für die übernächste steht ein Sponsor bereit. Aber dann?

Ich habe hier schon einmal von einem Gespräch mit Walter Weber berichtet, einem der wichtigsten „Ärzte für Aufklärung“, und seiner Bilanz des Coronaprotestes. Zitat:

Wir haben die Leute aus der Vereinzelung geholt, sagt Walter. Die 20 Prozent, die dagegen waren. Wir haben ihnen gezeigt, dass sie nicht allein sind, und diese Leute mobilisiert. Gescheitert sind wir an Schritt drei. Strukturbildung. Es fehlt uns an Geld, Michael.

Geld, da bin ich mir ziemlich sicher, ist da. Markus Langemann hat in seinem Newsletter gerade angekündigt, den „Congress der klaren Worte“ fortsetzen zu wollen – im September in Abu Dhabi für einen Tagespreis von rund 1500 Euro, ohne Hotel und Anreise, versteht sich. Bei der Premiere im November 2023 kosteten die Tickets in München 249 Euro – und der Saal war voll.

Man kann darüber klagen, dass bei solchen Anlässen genau wie bei den Spaziergängen und bei den Demos die Jugend gefehlt hat, all die gestandenen Menschen bringen aber nicht nur Lebenserfahrung mit, sondern oft genug auch einen gewissen Wohlstand und Vermögen. Ob daraus etwas wächst, was bleibt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Vielleicht setzt ja Paul Brandenburg auf das richtige Pferd, der eine Nackte Mark erfunden hat, um das Spenden zu erleichtern und jede Kontosperrung ins Leere laufen zu lassen, oder Milosz Matuschek, Vorkämpfer der ersten Stunde in Sachen freie Debattenräume. Sein Projekt Pareto wird jetzt zur Genossenschaft. „Ein Portal für die neue Zeit“, schreibt er. Sie finden das im Netz. 5000 Schweizer Franken, um mitbestimmen zu können und die Hand am Puls des Umbruchs zu haben. Viel Geld, ja. Für meine Spaziergänger hier auf dem Land dürfte das utopisch sein. Aber vielleicht motiviert es sie ja, wenn etwas entsteht, das es so noch nicht gab.

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Bildquellen: Milosz Matuschek bei einer Lesung im März 2024. Mit dem Fotoapparat: Thomas Eisinger ("Hinter der Zukunft")