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Oben & Unten | 08.01.2025
Der ehrliche Kaufmann
Die Überschrift klingt wie ein Märchen vom Ponyhof. Aber trotz aller Skandale funktioniert unternehmerischer Erfolg nicht ohne Ehrlichkeit.
Text: Axel Klopprogge
 
 

Der Mörder ist immer der Unternehmer: Unternehmer, Manager und Selbständige stellen überdurchschnittlich oft die Täter im sonntäglichen Tatort-Krimi. Und wenn sie nicht morden, dann sind sie zumindest unsympathisch und arbeiten mit schmutzigen Tricks.

Kein Wunder, dass sich auf einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing ein Redner über den Begriff des „ehrlichen Kaufmanns“ lustig machte. Die Anwesenden nickten, als sei es offensichtlich eine absurde Idee, an solche Märchen zu glauben. Ich habe mir erlaubt, zu widersprechen und die These aufzustellen, dass im Wirtschaftsleben überhaupt nur Ehrlichkeit funktioniert. Warum habe ich das getan? Habe ich nichts von den diversen Skandalen gehört?

Natürlich sind Unternehmer keine besseren Menschen. Natürlich gibt es auch im Wirtschaftsleben Betrüger, so wie es andernorts Bankräuber oder Taschendiebe gibt. Natürlich gibt es auch im Wirtschaftsleben Leute, die den ehrlichen Kaufmann als Märchenfigur für naive Trottel ansehen. Ich denke dabei noch nicht einmal an strafrechtlich relevantes Verhalten. Sondern zum Beispiel daran, dass Finanzvorstände auf Tagungen mit Konzepten zur Cash-Optimierung prahlen, die darin bestehen, ihre Lieferanten mit allen Verzögerungstricks möglichst spät zu bezahlen, aber den eigenen Kunden nur kurze Zahlungsfristen zu bewilligen. Nicht nur, dass ein solch superschlauer Ansatz nicht besonders schlau ist, wenn im Publikum Lieferanten und Kunden sitzen. Man begegnet sich halt immer zweimal und jeder ist mal Verkäufer und mal Käufer. Es wird auch schnell an der Realität scheitern: Der Lieferant wird ein solches Verhalten von vorneherein einpreisen. Oder es endet so, dass Seminarhotels in der Region München einem für sein Zahlungsverhalten bekannten Konzern Räume nur noch gegen Vorkasse vermieteten – so schlägt Cash-Optimierung in ihr Gegenteil um.

Gute Verträge sind kurz und klar. Ich habe bereits ein ungutes Gefühl, wenn harmlose Regelungen etwa zur Überlassung eines Dienstwagens länger als ein oder zwei Seiten sind. Wenn ein möglicher Vertragspartner mit fünf Anwälten und hundert Seiten Detailbestimmungen daherkommt, sollte man misstrauisch und vorsichtig sein. In einen guten Vertrag, der die Interessen beider Seiten und vor allem auch reale Machbarkeiten berücksichtigt, schaut im Normalfall niemand mehr hinein. Wenn doch, ist das Kind schon halb in den Brunnen gefallen.

Mit vielen meiner mittelständischen Kunden gibt es nicht ein Stück Papier Vertragsvereinbarung. Es ist einfach klar, dass keiner den anderen übers Ohr haut. Wenn es Probleme gibt, was bei einem komplexen Projekt normal ist, dann setzt man sich zusammen und findet Lösungen. Oft genug werden die Rechnungen vor der Zahlungsfrist beglichen. Natürlich wird Vertrauen bisweilen missbraucht. Aber das ist der Preis, den man für den viel größeren Nutzen des Vertrauens bezahlen muss. Einen großen Teil regeln die Menschen unter sich – man macht eben keine Geschäfte mit Leuten, denen man nicht vertraut.

Niemand hat sich so sehr über den Dieselskandal aufgeregt wie Unternehmer, die wissen, dass sie nur mit ehrlicher Arbeit überleben können. Und keiner dieser Unternehmer glaubt, dass der Skandal nur von dreieinhalb eigenmächtigen Ingenieuren unterer Ebenen bewerkstelligt wurde. Aber man sieht eben auch in diesem Fall, dass unehrliches Verhalten irgendwann ans Tageslicht kommt und sich nicht auszahlt. Wo könnte Volkswagen heute in der Elektromobilität und anderen wettbewerbsrelevanten Themen stehen, wenn man nicht Milliarden für Entschädigungen und Strafzahlungen hätte verschwenden müssen.

Ja, Unternehmer wollen Gewinne machen. Aber Unternehmer und kluge Manager wissen auch, dass man nicht Profite macht, indem man Profite macht. Über eine längere Strecke erfolgreich ist man nur mit solider Arbeit. Abgesehen von Pioniergewinnen, hinter denen meist besonders harte Arbeit steht, gibt es auch keine überproportionalen Erträge. Jeder Unternehmer oder Manager ist schon einmal einem Blender oder Abzocker auf den Leim gegangen. Aber eben nur einmal – eine zweite Chance bekommt der Unehrliche nicht. Erfahrene Unternehmer und Führungskräfte haben deshalb eine natürliche Abneigung gegen Leute, die allzu smart daherkommen.

Gerade im Wirtschaftsleben entkommt man nicht der Logik der „Goldenen Regel“. Die Goldene Regel entstand nicht auf dem Ponyhof, sondern in der sogenannten Wolfsgesellschaft. Ich finde es schade, dass man diese einfachen Erkenntnisse nicht mehr als Kern der Wirtschafts- oder Unternehmensethik ansieht, sondern stattdessen über „Purpose“, „Corporate Social Responsibility“ und andere außerhalb des eigentlichen wirtschaftlichen Handelns stehenden Dinge redet. Das erweckt den Eindruck, das eigentliche wirtschaftliche Handeln sei irgendwie anrüchig und müsse durch moralische Bußübungen kompensiert werden.

Wer das alles nicht von einem Manager und Unternehmer hören will, der möge bei Karl Marx und seiner Mehrwertlehre nachschauen: Wie immer man Gewinne verwendet und verteilt, sie entstehen nicht durch Betrug und Übervorteilung, nicht durch einen Aufschlag auf den Preis, sondern durch die Fähigkeit menschlicher Arbeitskraft, mehr erzeugen zu können, als man zu ihrer Erhaltung benötigt.

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Ende 2024 hat er eine Textsammlung mit dem Titel "Links oder rechts oder was?" veröffentlicht. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.

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