Die Jahre sind weg. Es gibt sie einfach nicht mehr, weder in Filmen oder Serien noch in Romanen. Ausradiert – genau wie die Schicksale der Menschen, die beschimpft und drangsaliert wurden oder die einfach nur still gelitten haben, weil sie nicht dabei sein konnten, als Opa und Mama, Vater und Mutter starben. Keine Bühne, nirgends. Heribert Prantl: Das ist das Äußerste, was das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem Land zumuten möchte.
Nichts gegen Heribert Prantl, zumindest nicht in dieser Rezension. „Es war nicht nur schwierig, es war elend“, hat Prantl, bis 2019 Ressortleiter bei der Süddeutschen Zeitung, lange wichtigster Leitartikler im Land und immer noch ein Gesicht des Journalismus, am Montag bei Louis Klamroth gesagt, in einer der Talkshows, die wie ein Seismograf funktionieren für das, was öffentlich gerade möglich ist. Wer Montagabend das Erste eingeschaltet hat, der weiß: Die RKI-Protokolle gibt es nicht, jedenfalls nicht für die Entscheider in diesem Land. Selbst jemand wie Heribert Prantl, der stets die Freiheitsrechte stark macht und damit den Spielraum für Einschränkungen klein und der an diesem Abend immerhin das Bundesverfassungsgericht genauso kritisiert wie das Infektionsschutzgesetz, selbst dieser Anwalt des Grundgesetzes spricht von der Unwissenheit des Anfangs und von einer Politik, die sich vom RKI habe leiten lassen. In der Runde sitzen Alena Buyx, Karl Lauterbach („wir sind besser durch die Pandemie gekommen als andere Länder mit vergleichbarer Altersstruktur“) und Eckart von Hirschhausen. Klaus Stöhr, der Virologe, ist auch da, darf aber kaum reden.
Und damit endlich zu einem Buch, in dem das alles ganz anders ist. Wobei: So viel anders war es zunächst doch nicht. Sonja Silberhorn, die Autorin, hat einen „schriftstellerischen Knockout“ erlebt. Ihr Verlag wollte nicht mehr. Mit diesem Buch, liebe Künstlerin, gehen Sie raus aus den Korridoren, die die Leitmedien bauen und die die Subventionsbehörden genauso respektieren wie all die Wohlmeinenden, von denen auch das Wohl und Wehe eines Verlags abhängt. Silberhorn, geboren in Regensburg, schreibt seit 2011 über Verbrechen, die in ihrer Heimat passiert sein könnten, in der Altstadt-Puppenstube natürlich, aber auch in Falkenstein, Roding, Cham. Dieses Genre boomt. Ob man nun an der Ostsee Urlaub macht oder im Schwarzwald: Im Buchladen gibt es garantiert ein Regal mit solchen Heimatkrimis.
Sonja Silberhorn war schon immer ein wenig anders. Politischer, wenn man so will. Ihr neuer Fall spielt im Frühsommer 2022. Das geht nicht ohne Masken- und Impffetischisten. Das geht auch nicht ohne Risse in den Familien – hier mit einem Opa, der seine letzten Tage in einem Heim verbringt und dort mit einem Enkel konspiriert, einem Mann mit Frau und Kindern, der Weihnachten nicht im Kreis rund um die Großeltern verbringen durfte, weil er keine Zertifikate vorzeigen wollte, und nun auf dem gleichen Hof Corona-Aussteiger um sich sammelt, auf dem der Opa einst aufgewachsen ist.
Wie in jedem ordentlichen Krimi gibt es einen Mord, eine Entführung und ein paar andere Dinge, die in der Statistik als Verbrechen und Delikte stehen. Man könnte kritisieren, dass der Mörder relativ spät auftaucht und nur mit ein paar Federstrichen gezeichnet wird. Aber darum geht es eigentlich nicht. Auch so ein Spoiler, in Krimirezensionen selbstredend ein No-Go, ist kein Problem, weil Tat, Fahndung und sonstige Polizeiarbeit nur das Mittel sind, um aufzudröseln, was die Corona-Politik aus den Menschen und ihrem Umgang miteinander gemacht hat. Finster. Wir, die auf dem Aussteiger-Hof leben könnten, wissen das, sind aber trotzdem froh und dankbar, das nun auch in einem Roman lesen zu können, selbst wenn es (auch das ist in solchen Büchern eher üblich) sprachlich nicht an Thomas Mann oder Uwe Tellkamp heranreicht und auch nicht an Birk Meinhardt, einen Ex-Kollegen von Heribert Prantl, der seine Post-Corona-Dystopie nur drucken konnte, weil er selbst einen Verlag gegründet hat.
Sei’s drum. Plot und Hauptfiguren sind stimmig bei Sonja Silberhorn und die Gegend, die mir in dreieinhalb Jahren längst ans Herz gewachsen ist, sowieso. Durch einen Kunstgriff schafft es diese Krimifrau, die Corona-Jahre und das Dritte Reich zusammenzubringen und so nicht nur zum Kern des Menschseins in der Moderne vorzudringen, sondern zugleich eine Lösung anzubieten für all die Fragen, die viele Regierungskritiker heute umtreiben. Was das ist und wie es ihr gelingt, Pro und Kontra so zu formulieren, dass sich eigentlich niemand abgeschreckt fühlen dürfte: All das verrate ich hier nicht. Ein Krimi lebt schließlich vor allem von der Spannung.
Sonja Silberhorn: Im Schatten des Waldes. Kriminalroman. Zürich: KaMeRu Verlag 2024, 399 Seiten, 19 Euro.