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Kommentar | 30.06.2023
Mutwillig Politik oder fahrlässig Satire?
Während deutsche Politiker uns in Satire schulen, erwärmen einstige Satiriker sich für Staatspropaganda. Bloße Fahrlässigkeit im Niveau? Neu ist: Christine Prayon hat die heute-show verlassen und zeigt, dass Satire nur mit Rückgrat geht.
Text: Hannes Pfeiffer
 
 

Nicht erst seit dem Ukraine-Krieg macht die Politik den Anschein, gegen eine zynische Satire ausgetauscht worden zu sein. Die Realität wurde wieder einmal eingeholt. Das weiß auch Christian Lindner: „Niemand muss AfD wählen, wenn er populistische Sozialpolitik will. Die gibt es auch bei den Linken“, twitterte der Finanzminister am 27. Juni. Populismus – häufig gemeint ist: der überdehnte Plural, der etwa den Anspruch erhebt, fürs ganze Volk zu gelten. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass die aktuelle Regierung nicht als erste einen solchen Anspruch vorgab, während sie faktisch reale Mehrheiten bei Entscheidungen systematisch überging. Der Befund einer „Krise der Repräsentation“ war übrigens 2016 das Resultat einer großen Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Aber sind Populisten nicht einfach nur näher am Volk? Zumindest wenn man dem Ursprung der Bezeichnung Glauben schenkt, die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA Mitglieder der People’s Party für sich wählten. Die Populisten interessierten sich damals für das einfache Volk. Tatsächlich wurde die Partei in Opposition zur etablierten Politik vor allem von Farmern und großen Teilen der ärmeren Bevölkerung gewählt. Wie konnte aus diesem Begriff ein Schimpfwort werden?

Die Demokratie ist global auf dem Rückzug. Das ändert nichts daran, dass sie mehr denn je gepriesen wird – etwa in Sinne des US-amerikanischen Exportschlagers (den zwar niemand will, der aber abtrünnigen Ländern, manchmal mit einem kleinen Abstecher in Richtung Militärdiktatur, auch ungefragt injiziert wird). Auch jüngst in der Ukraine treten wir wieder „für die Demokratie“ ein. Die maßgebliche Beteiligung ultra-nationalistischer bis hin zu neonazistischen Bestrebungen an der „Gegenoffensive“ ändert offenbar nichts daran, dass im Kampf gegen Russland – allen westlichen Werten voran – die Demokratie auf dem Spiel steht und der Frieden (mit Waffen!) erkämpft wird. Da ist es nur folgerichtig, die Populismus-Schleuder – nachdem alle Systemkritik so wunderbar klein bei gab – noch einmal aufzumotzen. So weiß Lindner, dass die eigene Politik derzeit nicht der Rede wert ist – zu unrühmlich kommt er dabei weg. Wer aber von Populisten spricht, spricht von den Anderen.

Probleme werden herbeizitiert und damit andere kaschiert. Anlass des Tweets war die Klarstellung eines Interviews. Darin behauptete Lindner auch, im deutschen Wald sei der Klimawandel ja offensichtlich. Man fühlt sich an den Kaiser und seine neuen Kleider erinnert. Als wolle Lindner mit Lauterbach mithalten, der erst neulich die nächste Katastrophe im Gesundheitswesen beschwor. Grund: die kommenden Hitzewellen. (Wir warten ab!) Natürlich hat man das passende Gerät parat – lange erprobt und neu zusammengeschraubt. Und damit es nicht umsonst war, wird das Worst-Case-Szenario zunehmend (mediale) Realität.

Die Klima-Lockdowns kämen für viele nicht ganz überraschend. Doch in den Leitmedien spricht man – wenn auch zunehmend zögerlich – noch von Verschwörungstheorien. Kennen wir das nicht bereits? Aber kein Grund zur Sorge. Dann kommt ja der Faktenchecker und belehrt die Schwurbler eines … Nun, diesmal Fehlanzeige. Auf eine Anfrage von Correctiv, ob es denkbar sei, dass das öffentliche Leben „aufgrund von Hitzewellen so drastisch eingeschränkt werden müsse wie während der Corona-Pandemie“, antwortete das Gesundheitsministerium, Gespräche mit „allen relevanten Akteuren“ stünden noch aus.

War das schon die Komik? Man will das fast meinen, denn Satire-Sendungen machen der Realität immer weniger Konkurrenz. (Dabei hat doch die Konkurrenz spätestens seit den Pisa-Studien der Moral den Rang abgelaufen!) Zwar spielte sie in der heute-show nur die Reporterin (Birte Schneider), aber Christine Prayon hat bewiesen, dass Satire und Ernst inzwischen seltsam verzwirbelt sind. Denn während das Publikum notgedrungen über Gags lacht, die – während sie vor „Faktenchecks“ salutieren – der Realität den Rücken kehren, werden in den Redaktionen und Witzeschmieden nunmehr (nein, schon „seit Corona“) „Andersdenkende der Lächerlichkeit preisgegeben“. Dies kritisierte Christine Prayon – die seit 2011 bei der „heute-show“ auftrat – in einem Interview mit der Wochenzeitung Kontext. Auch deutet sie die zwei Seiten der medialen Propaganda an:

  • wie erstens herrschende „Narrative und Positionen […] unablässig wiederholt“ worden seien und
  • zweitens zugleich „Stimmung gegen Andersdenkende“ gemacht werde. Überhaupt sei sie kein Freund mehr von Sendungen wie Böhmermann oder der Anstalt. Satire dürfe sich nicht daran beteiligen, den Diskurs zu verengen.

Auch wenn man heutzutage wirklich „das große Fass Kapitalismuskritik“ aufmache, sei man draußen. In seiner „grün angepinselten“ Version werde er die Erde nunmal nicht retten.

Schon in der NDR-Show Intensiv-Station sagte die Satirikerin in der Rolle von Pastoralreferentin Öda Gebinde Hölzle-Stöckchen im Juni 2014: „Ihr habt mich überzeugt. Nicht mit billigen Argumenten, nein, mit der Kraft der Wiederholung. Endlich verstehe ich, was unser Außen-Schreimeier meint, wenn er sagt, wir Deutschen dürften uns nicht mehr raushalten – wie rechts er hat! Vor allem, wenn das alles stimmt, was ihr seit Monaten investigativ zudeckt. Na, dann mal flink in die Hände gespuckt und ran an die Waffen! Sanktionen sind doch was für Warmduscher. Liebe Zeitungs- und Fernsehreakteure: Endlich verstehe ich. Krieg ist die Fortsetzung des Friedens mit anderen Mitteln! Lasst uns die Gratins und Pythas dieser Welt einfach ausradieren – mit dem Ratzefummel gauckscher Freiheit. Lasst uns mal richtig osterweitern. Bis so viel Westen im Osten ist, dass der Osten nur noch im Wort Pfosten vorkommt! Liebe Bericht-Bestatter, danke, dass ihr üblen Verschwörungstheorien endlich eine solide Verschwörungs-Praxis entgegensetzt.“

Zu allem Überfluss leidet die 49-Jährige an Symptomen, wegen denen sie ihre Auftritte oftmals kurzfristig absagen muss. Dass es sich dabei sehr wahrscheinlich um Spätfolgen ihrer Corona-Injektion handelt, überführt einmal mehr das Werk zahlreicher „Bericht-Bestatter“ in den letzten zwei bis drei Jahren.
Immerhin, nicht an allem ist der Klimawandel schuld. Denn auch „Böhmi brutzelt“. Und kriegt dafür sogleich von Komiker-Kollegin Anke Engelke eine „eine 1+, vielleicht sogar mit Sternchen“. Politiker von Format gibt es eben doch noch.

Prayon hat meine volle Zustimmung, wenn sie sagt, sie möchte „auch den hören, der für das Letzte gehalten wird“. Zum Lachen gehört die Freiheit, selbst zu entscheiden, über was man lacht. Das Ergebnis politisch tendenziöser Satire sei Freiheitssimulation. Ich möchte hinzufügen: Politik, die (eben mal, aus Versehen) zu Satire gerät, hat die (mediale) Simulation eines dummen Volks vielleicht für zu voll genommen.

Damit bleibt nur die Frage, ob mutwillig Politik oder fahrlässig Satire betrieben wird. Für unsere Politiker plädiere ich auf fahrlässig, denn sie verkaufen uns höchst dilettantisch für blöd. Für viele unserer staatlicherseits besorgten Lachklempner – von Böhmermann bis zur Anstalt – plädiere ich auf mutwillig, denn offenbar ist die Satire allein nicht mehr profitabel genug.

Hannes Pfeiffer ist Student an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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Bildquellen: © Sascha Ditscher/Imago & Julia Feldhagen/ZDF/dpa