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Meyen am Tresen | 26.10.2024
Der Staat auf Sendung
Die Reformdebatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht zwar am Problem vorbei, legt dafür aber frei, wem die Anstalten gehören.
Text: Michael Meyen
 
 

ÖRR-Hammer“ rief die Bild-Zeitung gestern Nachmittag kurz nach vier. „GEZ-Erhöhung fällt aus!“ Puh, soll sich der geneigte Leser wahrscheinlich denken. Da haben wir ja nochmal Glück gehabt. Gleich drei Top-Redakteure werden aufgeboten, um die frohe Botschaft in 3000 Druckzeichen zu packen und noch vor dem Wochenende zu verbreiten. Mega-Reform! Gipfel-Einigung! Luxus-Gehälter runter! Sportkosten eingefroren! Weniger Spartenkanäle, weniger Radioprogramme! Die „größte Reform des öffentlich-rechtlichen Systems aller Zeiten“, von den Ministerpräsidenten in Leipzig in „stundenlangen“ Gesprächen ausgehandelt!

Ich könnte jetzt über die Wortwahl schreiben, über CDU-Werbung oder darüber, dass die Schlagzeile auf tönernen Füßen steht. Das Beitragsthema wurde einfach auf Dezember vertagt, und die Anstalten können immer noch nach Karlsruhe gehen und sich da das Plus von 58 Cent pro Haushalt und Monat holen, das die KEF im Februar empfohlen hat – eine Kommission, die aus „16 unabhängigen Sachverständigen“ besteht, nominiert von den gleichen Ministerpräsidenten, die jetzt in Leipzig weder hü noch hott sagen mochten. Die Bild-Zeitung fragt nur Unionspolitiker („ein Riesenerfolg“, „unser Erfolg“), und dass es die GEZ schon seit 2013 nicht mehr gibt, ist dem Blatt genauso entgangen wie dem Volksmund. Sei’s drum. Die Bild-Zeitung ist hier nicht das Problem.

Das Problem ist ein Rundfunk, den alle bezahlen müssen, obwohl er längst nicht allen dient und schon gar nicht alle zu Wort kommen lässt. Das Problem ist ein Rundfunk, der einfach nicht macht, was der Medienstaatsvertrag von ihm verlangt. Objektivität und Unparteilichkeit, steht da in Paragraf 26. Und: „eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen“. Die Einschränkung „möglichst breit“ ist dabei ein Kind der Corona-Zeit, gültig seit Juli 2023. Die erste Fassung, in Kraft ab November 2020, kannte nur die Substantive „Meinungsvielfalt“ und „Ausgewogenheit“.

So oder so: Die Gretchenfrage Meinungsvielfalt spielte und spielt keine Rolle, wenn Politiker und Nutznießer aller Couleur über „Reformen“ streiten. Es geht um Definitionsmacht – und um Pfründe. 3sat dichtmachen oder mit arte zusammenlegen? Hilfe! Gleich drei Petitionen sollen das verhindern, bei campact! zum Beispiel unter dem Motto „Fakten statt Fake News: ARD und ZDF schützen!“ Stand heute: mehr als eine halbe Million Unterschriften.

Das heißt auch: Diesen Rundfunk werden wir nicht los. Die neun Milliarden Beitrags-Euro füttern Menschen, Hoffnungen, Weltbilder. Man muss sich dafür nur anschauen, wer alles auf die Reform-Knochen gesprungen ist, die in den letzten Wochen unters Volk geworfen wurden – von Gewerkschaften über die Allianz der Produzenten, Musiker, Schriftsteller und Regisseure bis zu den Anstalten selbst und ihren Journalisten. Ich kann das hier weder komplett aufzählen noch verlinken. Die Tagesschau hat es sogar geschafft, auf ihrem Instagram-Account den Untergang des Abendlandes heraufzubeschwören, sollte es den Verlegern tatsächlich gelingen, der ARD unter dem Schlagwort „Presseähnlichkeit“ ein paar ihrer unzähligen Plattformauftritte zu untersagen. Ich empfehle jedem, sich einfach anzuschauen, was die Tagesschau ihren fünfeinhalb Millionen Followern auf Instagram bietet. Sonst versteht man nicht, warum jemand wie WDR-Intendant Tom Buhrow allen Ernstes sagen kann, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse auf den Plattformen präsent sein, um den Menschen schnell erzählen zu können, warum Jürgen Klopp jetzt für Red Bull anschafft.

Die Medienblase mit all ihren Metastasen bis hinein in steuerfinanzierte Vereine, die sich nicht entblöden, eine Mausfigur zu entführen, und dafür vom WDR auch noch mit einem Liveblog belohnt werden, ist dabei nur die eine Seite. Auf der anderen sitzen Lehrer und Wissenschaftler, Behördenleute und Pensionäre, die hin und wieder sogar 3sat einschalten mögen, vor allem aber davon profitieren, dass alles so bleibt, wie es ist. Wer um 20 Uhr die Melodie der Tagesschau hört, bekommt bestätigt, dass seine Welt noch steht – eine Welt, die mit Forschungsaufträgen winkt, mit Stoff für den Unterricht, gegen den niemand etwas sagen kann, und mit dem Gefühl, besser zu sein als viele andere, auch wenn man sich heute vielleicht doch nicht durchringt, mal wieder eine dieser tollen Dokus auf arte zu sehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist auch ein Distinktionsmittel, das sich die Akademikerkaste vom Volk bezahlen lässt.

Ich habe hier schon über den „Würgegriff der Politik“ geschrieben, über Arbeitsbedingungen, die zur Konformität zwingen, und über Studien, die mit Daten untermauern, was Zuschauer und Hörer daheim Belehrung nennen mögen, Gleichklang oder gar Gleichschaltung. Knapp vier Millionen zahlen inzwischen nicht mehr, Tendenz steigend. Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig steht ein Verfahren an, vorangetrieben auch von der Initiative Leuchtturm ARD, das den Beitrag kippen könnte. Der „Vorteil“, den wir uns für 18,36 Euro im Monat erkaufen, durfte eine Klägerin in der zweiten Instanz in Bayern lernen, dieser „Vorteil“ liegt „alleine in der individuellen Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen zu können“. Die Betonung lag dabei auf „können“. Ist ein Signal da, muss bezahlt werden. Ich kenne die Revisionsbegründung von Friedemann Willemer, Anwalt in Zittau, der sich nicht abfinden mag mit einem Urteil, das den Menschen zur Zahlmaschine degradiert für Redaktionen, die dann machen können, was sie wollen. Er will eine Antwort auf die „naheliegende Frage“, wie es um die Vielfalt steht, und weist Punkt für Punkt nach, was das verhindert. Gremienvertreter zum Beispiel, die samt und sonders von Steuergeldern abhängen und den Teufel tun werden, wenn es ihrem Sponsor an den Kragen gehen sollte.

Was passiert, wenn Willemer, der Leuchtturm ARD und ihre Klägerin gewinnen sollten? Meine Prognose: Der Rundfunkbeitrag fällt. Wenn nicht in diesem Verfahren, dann im nächsten. 80 Jahre nach Kriegsende stehen die Zeichen auf Abschied von der öffentlich-rechtlichen Erzählung. Emmanuel Macron hat 2022 eine Wahl gewonnen mit dem Versprechen, die Abgabe aus dem Staatshaushalt zu finanzieren. In der Schweiz läuft gerade eine Volksinitiative unter dem Motto „200 Franken sind genug“. Aussichten: prächtig. Wir sollten nicht zu lange trauern, wenn der Staat die Nebelwand lüftet und künftig selbst zahlt für all die Kostgänger und Fans, die jetzt laut nach mehr Geld für ihren Rundfunk gerufen haben. Dann kann das große Publikum an der Wahlurne tatsächlich einmal mitentscheiden.

Titelbild: Kai Wegner (unten von links), Boris Rhein, Manuela Schwesig, Michael Kretschmer, Stephan Weil, Anke Rehlinger, Reiner Haseloff, Peter Tschentscher, Andreas Bovenschulte (hinten von links), Daniel Günther, Markus Söder, Alexander Schweitzer, Hendrik Wüst und Winfried Kretschmann zum Auftakt der Jahreskonferenz der Ministerpräsidentenkonferenz in Leipzig.

Bildquellen: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt