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Artikel | 19.01.2024
Ratlos in die Zukunft
Acht Experten haben monatelang über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nachgedacht und jetzt Vorschläge veröffentlicht, die am Problem vorbeigehen.
Text: Michael Meyen
 
 

Das Timing von Markus Söder war schlecht, ausnahmsweise. Ich sehe den CSU-Baron förmlich grübeln vor der Parteiklausur in Kloster Banz. Was bringt mir Schlagzeilen? Und vor allem: Was will das Wahlvolk hören? Medienschelte, na klar. Am besten so, dass es keinem wehtut und trotzdem alle jubeln. Söders Rundumschlag gegen die Öffentlich-Rechtlichen war gerade draußen, als sich der Zukunftsrat gemeldet hat, fünf Frauen und drei Männer, berufen im März 2023 von der Rundfunkkommission der Länder, um nach dem RBB-Skandal um Patricia-Massagesessel-Schlesinger etwas Zeit zu gewinnen. Acht Monate später kommen knapp 40 Seiten, die sofort die Debatte bestimmen, Söder zur Fußnote werden lassen und die Hoffnung auf einen Neustart endgültig begraben. In Kurzform: Sie begreifen es nicht. Sie können es vermutlich gar nicht begreifen.

Der Reihe nach. Zuerst zu Markus Söder. Er „zündelt“, hat die Gewerkschaft gleich geschimpft. Unmöglich, dieser Ministerpräsident. Ruft zum Kahlschlag fernab der Heimat auf (Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk abschaffen), will der Kultur und dem Radio an den Kragen und uns damit das Wasser abgraben. Zwölf statt 24 Orchester, 58 statt 72 Radioprogramme, Infoanteil mindestens 60 Prozent, 3Sat und arte zusammenlegen, über Spartenkanäle wie tagesschau.de nachdenken, Spitzengehälter senken. Sicher der Knüller aus Sicht des Bayernflüsterers, so zu lesen auf X (Twitter): „Wir sagen ja zum öffentlich-rechtlichen #Rundfunk, aber nein zu einer Gebührenerhöhung.“

Markus Söder weiß natürlich: Die Menschen suchen Halt, ganz besonders in Inflationsjahren. Sie suchen einen starken Mann, der Nein sagt zu höheren Preisen. Söder weiß auch, dass Feilschen ablenkt. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht es längst nicht mehr um ein paar Cent. Es brodelt. Das Publikum läuft weg. Wer das nicht glaubt, gehe zu einer der vielen Mahnwachen, die Jimmy Gerums Leuchtturm ARD Woche für Woche vor die Funkhäuser im ganzen Land stellt. Die Zahl der Beitragsverweigerer liegt im Osten inzwischen im hohen einstelligen Bereich und wäre sicher längst auch finanziell bedrohlich, wenn es den meisten Leuten nicht immer noch einigermaßen gutgehen würde. Da riskiert man nur ungern einen Rechtsstreit, den Besuch eines Gerichtsvollziehers oder gar eine saftige Strafe.

Die Politik hat auf diesen Unmut ganz klassisch reagiert. Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis. Heute heißt das Zukunftsrat und ist weiblich. Die acht Namen werden vermutlich nur Insidern etwas sagen: vier Medienmanager (Julia Jäkel, Bettina Reitz, Maria Exner, Roger de Weck), drei Juristen (Peter M. Huber, Mark D. Cole, Nadine Klass) und eine Medienforscherin (Annika Sehl). Also: wir nicht. Auch niemand von der Front, wenn man so will. Kein Redakteur, kein Filmemacher, kein Musiker. Niemand, der Programm macht, und erst recht niemand, der sich das jeden Abend antun will oder muss und vielleicht schon seit Jahr und Tag Programmbeschwerden schreibt wie Maren Müllers Publikumskonferenz. Der entsprechende Unmut ist am Zukunftsrat abgeprallt. Seit März 2023 haben alle nur denkbaren Interessengruppen versucht, Sitz und Stimme in diesem Arbeitskreis zu bekommen oder dort wenigstens gehört zu werden. Pustekuchen. In der ganzen Zeit gab es nicht einmal Wasserstandsmeldungen. Dann polterte Söder, und einen Tag später wurde die Katze aus dem Sack gelassen. Knapp 40 Seiten, die wegführen vom Beitrag, von Kürzungen, von Verschlankung. Der Zukunftsrat bietet einen Befreiungsschlag an, der sich als Bumerang erweisen könnte.

Um das Papier einordnen zu können, ist etwas Abstand nötig von der Aufgeregtheit, die Politik und Journalismus dominiert. Worum geht es eigentlich? Was läuft falsch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Antwort eins liegt auf der Hand: Die Politik gibt diese Plattform nicht frei. Jeder Landesfürst kann sich auf den Fetisch „Länderhoheit“ berufen und auf eine Tradition, die die Sender von Anfang an als Staatsbesitz gesehen hat und damit als Sprachrohr der Macht, geschmückt mit Spannung, Gedudel und Kultur, damit das Volk bei der Stange bleibt. Selbst für Albert Einstein war das einst zu hoch. Erst die Techniker, sagte der Physiker bei der Funkausstellung 1930, machen wahre Demokratie möglich. Oersted, Maxwell, Hertz. Und jetzt haben wir „die Werke der feinsten Denker und Künstler“ in jedem Ohr „und erwecken so die Völker aus schläfriger Stumpfheit“.

Nichts gegen Einstein. Vielleicht hat er nicht gewusst, wie der Rundfunk in Weimar organisiert war. Diese große Möglichkeit zur Volksbeeinflussung dürfe nicht Privatfirmen überlassen werden, sagte Karl Stingl, Postminister von 1922 bis 1926. Das Reich war gerade klamm und die Technik noch nicht so weit, um das ganze Land von Berlin aus zu versorgen. Also gründete man neun Regionalgesellschaften und besorgte sich das Kapital von Investoren. Heute würde man sagen: Der Konzernstaat geht auf Sendung. Bei der Mirag hieß der Hauptaktionär Edgar Herfurth – einer der reichsten Leipziger und Besitzer der Leipziger Neuesten Nachrichten, der größten Zeitung in Mitteldeutschland. Ihre Meldungen bekam die Mirag ab Herbst 1926 vom Drahtlosen Dienst, der zu 51 Prozent dem Reichsinnenministerium gehörte und das senden ließ, was der Presseabteilung der Regierung in Berlin gefiel. Damit in der Provinz nichts schiefgehen konnte, bekamen Regionalgesellschaften wie die Mirag Überwachungsausschüsse, besetzt mit Beamten aus Reich und Ländern, die genau das gemacht haben, was der Name des Gremiums versprach. Programmchefs einberufen und absetzen, Sendungen und Manuskripte ablehnen. Die Haushaltsaufsicht lag bei der Post und damit bei der Regierung.

Heute haben die Gremien andere Namen, und die Drähte sind oft so fein, dass man sie nur schwer erkennen kann. Ulrike Demmer, okay. Erst Merkel-Sprecherin, jetzt RBB-Intendantin. Auf den Spuren von Ulrich Wilhelm, der 2010 auf dem gleichen Weg zum Bayerischen Rundfunk ging. Ich muss das hier nicht vertiefen, sondern will stattdessen auf eine Linie verweisen, die von Konrad Adenauer bis zu Markus Söder reicht. Die Parteien haben das Konstrukt öffentlich-rechtlich nie akzeptiert oder so verstanden, wie es die Besatzer aus den USA und Großbritannien durchaus gedacht haben könnten – als eine Einladung, weiterzumachen wie in Weimar und mit Goebbels, das jetzt aber einfach nicht mehr Staatsfunk zu nennen und in den Gremien etwas Bürgerlack aufzutragen. Der erste Bundeskanzler hat das ganz offen vor sich hergetragen und ist mit seinem „Deutschland-Fernsehen“ erst vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Jede noch so kleine Einschränkung der Parteimacht in den Räten musste auf dem gleichen Weg durchgesetzt werden. Und: Es gibt heute zwar eine Kommission, die über die Finanzen der Anstalten wacht, die „16 unabhängigen Sachverständigen“ werden aber von den Ländern benannt. Vermutlich steht das Wort „unabhängig“ genau deshalb auf der Webseite gleich im ersten Satz.

Vom Würgegriff der Politik ist es nicht weit bis zu Arbeitsbedingungen (zwei Drittel der Programm-Macher haben keinen festen Arbeitsvertrag und sind so zur Konformität gezwungen), Inhalten und neuen Journalismusidealen, die die Adjektive konstruktiv, transformativ und aktivistisch im Namen führen und so den Keim der Belehrung in sich tragen und den Gestus der Überlegenheit. Ergebnis: ein Gleichklang, den manche Gleichschaltung nennen – von der „Flüchtlingskrise“ über Corona und Klima bis zum Ukraine-Krieg. Dazu kommt der Plattformkapitalismus, der uns auf Schritt und Tritt überwacht und den Rundfunk gleich doppelt zum Mittäter macht, wenn er sich den Algorithmen unterwirft – als Spaltpilz, weil der Binärcode nur Dafür oder Dagegen kennt und nichts dazwischen, und als Kontroll- und Herrschaftsinstrument. Aus Sicht der Macht ist das perfekt: Wir bezahlen dafür selbst und haben dazu noch die Illusion, dass der Laden uns irgendwie gehört. Dass das ganze immer teurer wird, ist seit 1984 ins System eingebaut. Die Konkurrenz mit RTL und Co. treibt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einen Preiskampf um Premiuminhalte (Fußball, Hollywood), Gesichter und Stimmen, den er nicht aufgeben darf, weil jeder Volksversteher vom Schlage eines Markus Söder sofort den Geldhahn zudrehen würde, wenn überhaupt niemand mehr einschaltet.

Was sagt der Zukunftsrat zu alldem? Nichts. Genauer: Setzen und weitermachen. Ganz oben auf der Vorschlagsliste, wenn man die „Demokratie- und Gemeinwohlorientierung“ überspringt und die Verbeugung vor allen, die nicht „deutsche Staatsangehörige“ sind: eine neue Rundfunkanstalt. Genau, Herr Söder. Nichts mit Zusammenlegen. Wir brauchen mehr statt weniger. Diese neue „ARD-Anstalt“ soll künftig für Das Erste zuständig sein, so den „Abstimmungsaufwand“ senken und „Mehrfachstrukturen“ überflüssig machen. Ich bin zwar kein Organisationssoziologe, ahne aber, was daraus werden würde. Bürokratien, die schrumpfen. Ein Widerspruch in sich. Wenn es nach dem Zukunftsrat geht, bekommt die neue Anstalt genau wie ZDF und Deutschlandradio einen „pluralistisch besetzten Medienrat“ mit 48 Stimmen, ein Drittel gewählt in den 16 Parlamenten und zwei Drittel „politikfern“, aber bestimmt von den Ländern. Ganz ehrlich: Das fasse ich nicht. Ein „Zukunftsrat“, der die Lösung in einer Vergangenheit findet, die sich längst selbst überholt hat, und die Debatte um Losverfahren und Publikumsräte nicht einmal zur Kenntnis nimmt.

Mehr muss man eigentlich gar nicht wissen. Die geneigte Presse freut sich, dass es bald keine Intendanten mehr geben soll, sondern eine „kollegiale Geschäftsleitung“. An den Problemen ändert das nichts. Das gilt auch für das neue Finanzierungsmodell. Künftig sollen die Anstalten nicht mehr ihren Bedarf melden, sondern erst im Nachhinein kontrolliert werden – von mehr oder weniger den gleichen Leuten wie bisher. Zweimal ist im Papier von einer möglichen „Absenkung des Rundfunkbeitrags“ die Rede, aber eigentlich zielt die Achtergruppe darauf, dieses Thema aus dem politischen Raum zu verbannen. Das Zauberwort heißt hier Indexierung. Übersetzt: Wir legen einfach die Kriterien fest, und alles andere passiert automatisch. Wenn der Bierpreis steigt, wird auch der Rundfunk teurer. Prost Mahlzeit.

Bildquellen: guentherlig @Pixabay