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Bericht | 15.12.2022
Lockdown für Krieg und Kapital
Proteste gegen Krieg und Aufrüstung? Gibt es. Viel Polizei für wenige Demonstranten? Ebenso. Beides beobachtet im Schatten der Berliner Sicherheitskonferenz Anfang Dezember.
Text: Burak Hoffmann
 
 

„Lockdown für Rüstung, Krieg und Kapital“ steht auf einem der großen Banner, das die Demonstranten hochhalten. Sie haben sich am 30. November 2022 an der Krossenerstraße in Berlin-Friedrichshain versammelt, um gegen die Berliner Sicherheitskonferenz zu demonstrieren, die am selben Tag stattfindet und am 1. Dezember endet. Mit dabei: Bundeskanzler Olaf Scholz , Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, führende Generäle und Vertreter verschiedener Rüstungskonzerne wie Rheinmetall , MBDA, Nammo AS, Diehl Defence, Hensoldt und Lockheed Martin.

Polizisten in schwerer Montur

17:34 Uhr, die Straßen sind gefüllt mit Polizeiautos. Blaulicht blinkt hinter jeder Straßenecke. Eine gewaltige Polizeipräsenz für die verhältnismäßig kleine Anzahl an Demonstranten. Schätzungsweise 50 bis 70 Menschen. Auf einem Plakat steht Bündnis Antifa. Eine ganze Weile stehen alle an der Krossenerstraße und hören sich Reden an, die aus einem Bus heraus gehalten werden. Kernkritikpunkt sind die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Milliardenprofite, die die Rüstungskonzerne aus diesem Krieg schlagen. „Ihre Sicherheit bedeutet Krieg“, sagt eine der Rednerinnen und animiert ihre Zuhörer, es ihr gleich zu tun. „Ihre Sicherheit bedeutet Krieg“, wiederholt die Gruppe, die sich selber in Banner mit Aufschriften wie „Deutschland ist Brandstifter“ oder „Rheinmetall entwaffnen“ eingehüllt hat und von Polizisten in schwerer Montur beobachtet wird.

Polizei

Um 18 Uhr startet der Protest-Zug. Der Bus mit den Lautsprechern fährt los und im Hintergrund läuft der Song Macht kaputt was Euch kaputt macht. Ziel ist das Vienna House Hotel, Veranstaltungsort der Konferenz.

Solidarische Bengalos

In der Mainzerstraße zeigen einige Anwohner ihre Solidarität mit dem Protest, indem sie Bengalos aus den Fenstern schießen. Die Demonstranten klatschen und rufen im Chor „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden jetzt in aller Welt“. Während die Demonstranten unbeirrt weiter laufen, ergreift einer der Redner, der im Bus sitzt und sich als Mitglied des Antikriegsrats vorstellt, das Mikrofon und stellt die Frage, warum sich viele Linke so wenig zum Ukraine-Krieg positionieren, warum sie sich auf einmal mit Kriegsparteien wie den Grünen solidarisieren. „Wir solidarisieren uns mit keiner Kriegspartei. Ukrainische Fahnen kotzen uns genauso an wie deutsche, russische oder gar sowjetische“, ruft er. Großer Beifall.

Die Bundeswehr müsse endlich entnazifiziert werden, sagt eine andere Rednerin, die das Mikrofon übernommen hat. Immer noch sei diese durchsetzt von Neonazis, Reichsbürgern und Corona-Leugnern. Ihr Problem, meint die Frau, sei außerdem die mangelnde Transparenz solcher Veranstaltungen wie der Sicherheitskonferenz. Man wisse nicht, über was dort verhandelt oder entschieden werde. Die Rüstungsindustrie würde der Politik diktieren, welche Entscheidungen zu treffen sind und wie viel Geld für welche Waffen ausgegeben wird. Auf meine Frage an einen Demonstranten neben mir, ob das bei den Pharmakonzernen nicht ähnlich sei, schaut dieser nur komisch und geht wortlos weiter.

Gute Presse für den Krieg

„Selten hatte Krieg so gute Presse wie nach dem russischen Angriffskrieg“, sagt einer der Redner. Russland werde als böse und die NATO als gut stilisiert und Putins Angriffskrieg nur als Vorwand zur Aufrüstung benutzt. „Bei der Rüstung sind sie fix. Für die Bildung tun sie nix.“ Ganz ähnlich wie bei den Corona-Protesten, wo es hieß: Selten hatten Pharmakonzerne so gute Presse wie nach dem Corona-Virus. Und die Kritiker der Maßnahmen wurden als böse und all jene, die diese Maßnahmen unterstützten, als gut stilisiert und der Virus diente als Vorwand für die massenhaften Zwangsimpfungen und die Corona-Politik . „Bei der Impfung sind sie fix. Für die Bildung tun sie nix“. Kurz frage ich mich, ob ich die Demonstranten mit diesem Widerspruch konfrontieren soll, lasse es dann aber bleiben.

Einer der Demonstranten drückt mir ein Flugblatt mit der Überschrift Kein Krieg nirgends! in die Hand. Es fordert, sich nicht mit Kriegsparteien zu solidarisieren. Es ginge nicht darum, den Krieg zu „gewinnen“, sondern darum, ihn zu beenden. „Sabotage an Kriegsgerät, Kriegslogistik und Kriegslogik, Desertion, Deeskalationsprozesse, Friedensverhandlungen, Waffenstillstand, Abrüstung, Entwaffnung“ seien dafür die geeigneten und notwendigen Mittel und zu unterstützen, so der Tenor des Flugblatts.

Absolute Bewegungsfreiheit

Am Vienna House Hotel in der Landsberger Allee angekommen, rufen die Demonstranten „Kriegstreiber! Kriegstreiber! Kriegstreiber“. Drinnen scheint die Stimmung ganz gelassen. Einer der Offiziere will sogar den Dialog mit einem der Demonstranten wagen, wird jedoch von der Polizei zurückgehalten. Nochmal eine Rede vor dem Hotel, dann löst sich die Demonstration auf. Einer der letzten Sätze lautet: „Wir glauben an die absolute Bewegungsfreiheit.“ Welch' Ironie des Schicksals – ich auch.

Burak Hoffmann ist Student an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

Bildquellen: Pexels, Pixabay; Franz P. Sauerteig, Pixabay