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Bericht | 31.01.2024
Nach der Pandemie ist vor der Pandemie
Die neue Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (kurz: BSW) ist offiziell gegründet. Das Bündnis will das Chaos der Ampel-Regierung beenden, AfD-Wählern eine Alternative bieten und die Corona-Zeit aufarbeiten.
Text: Rumen Milkow
 
 

„Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Wenn wir die Fehler nicht aufarbeiten, die gemacht worden sind, und daraus lernen, werden uns die Folgen der nächsten Pandemie noch viel stärker treffen.“ So Dr. Friedrich Pürner auf dem BSW-Gründungsparteitag am 27. Januar im Kino „Kosmos“ im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain. Der frühere Leiter des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg, der sich während der Corona-Pandemie öffentlich gegen die Strategie der Bayerischen Landesregierung ausgesprochen hatte und daraufhin seine Arbeit verlor, stellt sich im Juni für das BSW zur Europawahl.

Pürner fordert Aufarbeitungsdebatte

Das Gesundheitswesen und die Aufklärung der Anti-Corona-Maßnahmen liegen ihm sehr am Herzen, sagt Pürner in seiner Rede auf dem Parteitag. „Als Arzt ist mir unserer Gesundheitswesen, im Gegensatz zu Karl Lauterbach, sehr vertraut. Ich kenne die Stärken und die Schwächen und auch die aktuelle Schieflage in diesem Gesundheitswesen. Während der Pandemie wurden kritische Stimmen nicht gehört, was nicht hätte passieren dürfen. Und das darf nie wieder passieren.“ Pürner weiter: „Wir spüren alle und wir sehen es, die Gesellschaft ist tief gespalten. Die Gesellschaft ist erschöpft. Die Gesellschaft ist müde. Durch eine öffentlich geführte Aufarbeitungsdebatte können wir Hoffnung und Zuversicht zurückgewinnen.“

Dahn schätzt Widerspruch

Bereits in ihrer Eröffnungsrede greift die Schriftstellerin Daniela Dahn das Thema Pandemie auf. Wagenknecht habe bewiesen, so Dahn, dass Widerspruch noch möglich sei, sowohl gegen die um sich greifende Kriegsbereitschaft als auch gegen totalitäre Tendenzen im Umgang mit der Pandemie. Dahns Gretchenfrage lautet: „Wie hält es das BSW mit der Migration?“

Wagenknecht für Meinungsfreiheit

Auch Sahra Wagenknecht spricht das Thema Pandemie-Aufarbeitung in ihrer halbstündigen Rede an. Sie beginnt mit der Feststellung, dass etwas am Kippen sei in unserem Land. Es brauche unbedingt einen politischen Neubeginn. Für wirtschaftliche Vernunft statt Klientelpolitik. Für soziale Gerechtigkeit statt einer weiter wachsenden Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Für Frieden und Entspannung statt neuer Hochrüstungswettläufe und immer mehr Krieg. Und auch für Meinungsfreiheit und Respekt gegenüber Andersdenkenden statt Cancel Culture und einem übergriffigen politischen Autoritarismus, den wir in der Corona-Zeit in seiner krassesten Form erlebt hätten. Aber der sei ja heute nicht weg, sondern das Meinungsspektrum verenge sich immer weiter, so Wagenknecht.

Ulrich will Expertenrat

Auch Alexander Ulrich, ehemaliger Linken-Politiker, der auf dem Parteitag mit 92 Prozent in den BSW-Bundesvorstand gewählt wurde, greift das Thema Corona in seinem Redebeitrag auf. Viele hätten sich wegen den Erfahrungen in der Corona-Zeit an ihn gewandt. Ulrich möchte einen Expertenrat einsetzen, um die Corona-Zeit aufzuarbeiten. Millionen Menschen leiden unter dieser Zeit, denn sie sind an den Rand gedrängt und ausgegrenzt worden. Man dürfe jetzt nicht zur Tagesordnung zurückkehren – im Gegenteil. Es brauche seiner Meinung nach eine andere Art von Antworten auf die nächsten Pandemien, als die Ampel sie bis heute gibt.

De Masi gegen Bildungsungleichheit

Der BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl Fabio De Masi sagte, dass egal wie man zu Impfungen in der Corona-Krise gestanden habe, die Debatten über eine Impfpflicht fatal gewesen seien. Denn es habe überhaupt keinen Fremdschutz dieser Impfung gegeben. Darüber hinaus gab es während der Corona-Krise keine Talkshow ohne Herrn Lauterbach. Er gehörte quasi zur Inneneinrichtung, so De Masi weiter. Aber jetzt sei Lauterbach Minister und die unhaltbaren Zustände in den auf Rendite betriebenen Krankenhäusern würden immer schlimmer. Auch in der Pflege, wo die Alten nicht mehr anständig versorgt werden. Den Kindern habe man in der Corona-Krise I-Pads in die Hand gedrückt, anstatt ihnen vernünftig Lesen und Rechnen beizubringen. Laut De Masi habe die Bildungsungleichheit massiv zugenommen, was ein großes Staatsversagen sei.

Benda vermisst Aufklärung

Judith Benda möchte ins EU-Parlament, in dem sie genauso wie De Masi schon einmal für die Linke saß, und nennt die Moralpredigten dieser EU über Werte und Transparenz empörend, da es diese im Brüsseler Filz selbst kaum gebe. Dort sei es möglich, dass eine Frau von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, mit Pfizer einen Milliarden-Impfstoff-Deal mal eben so per SMS besiegelt, sich dann aber weigert, die SMS herauszugeben. Verträge werden nur geschwärzt an die Abgeordneten ausgegeben, und dennoch könne von der Leyen mit einer kommenden Amtszeit rechnen und mit mehr als 30.000 Euro Monatsgehalt. Eine Kassiererin hingegen müsse bei fehlenden Cent-Beträgen eine fristlose Kündigung befürchten. Dieses System sei kaputt und produziere zur Recht Ablehnung, so Benda.

Hartenfels verlangt Debatten

Für Andreas Hartenfels, ehemaliger Grüner und nun erster BSW-Landtagsabgeordneter in einem Flächenland (Rheinland-Pfalz), war die Corona-Zeit das dunkelste Kapitel seit Bestehen der Bundesrepublik, das er als überzeugter Demokrat erleben musste. Das Grundgesetz, eigentlich mit Abwehrrechten des einzelnen Bürgers ausgestattet, um ihn vor dem Zugriff des Staates zu schützen, wurde seiner Meinung nach so umgedeutet, dass darüber sogar der Zugriff organisiert worden sei. Und zwar bis in die Wohnungen hinein, in die Bewegungsfreiheit der Menschen, bis hin zu Berufsverboten. Hartenfels geht davon aus, dass unsere Gesellschaft in Teilen immer noch traumatisiert ist. Dabei denkt er zum Beispiel an die Montagsdemonstrationen, die stattgefunden haben. Da seien Menschen friedlich, ohne Plakate, einfach mit Kerzenlicht abends von A nach B durch eine Stadt marschiert. Aber was waren sie für die politische Elite? „Rechtsradikale, von Nazis unterwandert, Idioten, Schwurbler, …“ – man habe keine Grenzen gekannt, um über diese Menschen herzuziehen. Und man habe diese Haltung hinübergetragen in die Nach-Corona-Zeit, bis hin zu den Bauernprotesten. Es sei schon bemerkenswert, dass auch versucht wurde, den Bauern das „Rechte" unterzuschieben. Zum Glück seien die Bauern aber so stark, dass sie sich ihr Recht zu demonstrieren und zu protestieren nicht in Abrede stellen lassen haben. Aber es zeige das Niveau der politischen Elite in Zusammenhang mit der Medienlandschaft. Es gibt kein politisches Debattenklima mehr. Das sei uns verloren gegangen.

Hartenfels setzt sich im Landtag für eine Enquete-Kommission ein, die die Corona-Zeit aufarbeitet. Nicht nur, um daraus zu lernen. Sondern auch, um eine Entschuldigung zu formulieren. All jenen Menschen gegenüber, bei denen der Staat übergriffig agiert habe. Bis hin zum Versuch, auch die berufliche Existenz von Menschen zu zerstören. Hartenfels nennt Ulrike Guérot, Friedrich Pürner und Wolfgang Wodarg. Sie stehen, so Hartenfels weiter, exemplarisch für die vielen, auch kleinen Leute. Am schlimmsten seien die Pflegekräfte betroffen gewesen, die mit einem Berufsverbot konfrontiert wurden und bei denen jahrzehntelanges Arbeiten am Menschen plötzlich nichts mehr gezählt habe.

Fragen stellen und Antworten einfordern

In einem Gespräch am Rande des Parteitags bestätigt Daniela Dahn, dass die Corona-Zeit ein wichtiges Thema für sie ist. Schon frühzeitig habe sie sich mit Sahra Wagenknecht darüber ausgetauscht und dazu bekannt, dass sie für sich auf die Impfung lieber verzichte. „Die Datenlage war einfach zu schlecht, oder was man wusste, war so beunruhigend, dass ich keinen Grund sah, da mitzumachen“, sagt Daniela Dahn. „Wie wir diskriminiert wurden, das war eine einmalige Lebenserfahrung. Ausgegrenzt vom öffentlichen Leben, von Teilhabe überall, es fühlte sich zum Teil lebensbedrohlich an, wenn ernsthaft diskutiert wurde, ob Ungeimpfte überhaupt noch in Krankenhäuser aufgenommen werden – es ging wirklich weit.“ Das müsse aufgearbeitet werden, meint Dahn. Und auch die Hintergründe müssen ihrer Meinung nach benannt werden. Wer hat wo Profit gemacht in der Pharmalobby? Wo kam dieses Virus wirklich her? Hat möglicherweise etwas, hinter dem Bio-Waffen und Rüstungswahn stecken, die halbe Welt lahm gelegt? Dahn hat Hoffnung, dass all diese Fragen aufgearbeitet werden, denn es gibt viele, die das interessiert.

Fazit

Die Aufarbeitung der Corona-Zeit ist noch ganz am Anfang. Genauso wie die neue Partei von Sahra Wagenknecht. Man wird sie auch daran messen, ob ihr das Thema wirklich am Herzen liegt – so wie Friedrich Pürner das Gesundheitswesen. Und was sie in Sachen Corona-Aufarbeitung erreicht.

Rumen Milkow hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: Rumen Milkow