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Bericht | 08.10.2023
Corona in Kalifornien
Wie hat Corona das Leben in einer kalifornischen Kleinstadt verändert? Rumen Milkow war zwei Monate in der Goldgräberstadt Grass Valley.
Text: Rumen Milkow
 
 

Ich habe Familie in Grass Valley, einer Kleinstadt im Nordwesten des Bundesstaates am Fuße der Sierra Nevada. Meine Frau kommt von dort. Das letzte Mal war ich im März 2020 da, genau zum Ausbruch von Corona. Damals war unklar, ob und wann ich wieder nach Berlin kommen kann. Danach konnte ich lange Zeit nicht in die USA. Erst im Mai wurde die Impfpflicht für Nicht-Staatsbürger aufgehoben, die mit dem Flugzeug ankommen. Ich selbst habe seit dem Sommer 2020 die meiste Zeit in Bulgarien verbracht, wo die Situation oft umgedreht zu der in Deutschland war und ist. Ich habe darüber auf Multipolar berichtet. Nun wollte ich erfahren, wie die letzten drei Jahre das Leben in Grass Valley verändert haben. Dort ziehen viele hin, die es sich nicht mehr leisten können, ihren Lebensabend im Silicon Valley zu verbringen. Die Zahl der Einwohner steigt dadurch. Sie liegt heute bei knapp 14.000. Gleichzeitig hat die Kleinstadt mit die älteste Bevölkerung Kaliforniens. Grass Valley war einst für sein Gold bekannt. Jetzt soll die alte Mine wiedereröffnet werden.

Bulgarien in Amerika

Zunächst begab ich mich an einen meiner Lieblingsorte, das kooperativ betriebene Großraum-Antiquariat „Booktown Books“, das sich über zwei Etagen erstreckt. Dort sprach ich mit Marilyn Tubbs (70), eine von acht Betreibern der Kooperative. Tubbs erzählte mir, dass sie die Polizei in Grass Valley zu Beginn des ersten Lockdowns um Erlaubnis gebeten hat, den Second Hand Book Store wieder aufmachen zu dürfen. Begründung: Man müsse Bücher verkaufen, um die Miete bezahlen zu können. Die Kunden hätten auch schon wegen Büchern bei ihr und ihren Kollegen nachgefragt. Die Antwort der Polizei? „Tun Sie, was Sie tun müssen. Wir machen nichts.“ Nach zwei Wochen war „Booktown Books“ wieder für den Publikumsverkehr geöffnet, und die Polizei tat wie versprochen – nichts. Was sich nach Bulgarien anhört, soll genau so in Grass Valley in Kalifornien geschehen sein.

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Rebellen und Abstände

Es gab auch Menschen, denen das nicht recht war. Zu einer Strafe ist es aber nie gekommen, sagt Tubbs. Die Buch-Kooperative war nicht das einzige Geschäft, das auch während der Lockdowns geöffnet hatte. Zwei Beispiele: das „Old Town Café“, das älteste Restaurant in Grass Valley, und „Sergio’s“, ein bekannter Italiener. Mary Ann Boyer (69) von der „Chamber of commerce“, einer Art Industrie- und Handelskammer, bezeichnet diese Geschäfte als „Rebellen“, die bis heute von einigen Bewohnern gemieden werden würden. Boyer ist sich sicher, dass sie eine Strafe bekommen haben. Auf meine Nachfrage bei der Polizei in Grass Valley verwies diese auf das Health Department, also auf die Gesundheitsbehörde. Eine Antwort von dort gab es nicht.

Ob die Coronapolitik Geschäfte zur Aufgabe gezwungen hat, will oder kann Boyer nicht sagen. Es lägen keine genauen Zahlen vor. Sie gehe davon aus, dass vor allem kleine Familienbetriebe außerhalb der Stadt betroffen seien oder Firmen, die sowieso eher als Hobby zu betrachten gewesen wären. Boyer selbst war wie ihre drei Kolleginnen anderthalb Jahre arbeitslos. Sie sagt, dass einige Immobilienbesitzer auf einen Teil der Miete verzichtet hätten. Der Book Shop hatte dieses Glück nicht.

Mary Ann Boyer möchte lieber über die positiven Seiten von Corona sprechen, über den Umbau der Mill Street zum Beispiel, der wichtigsten Einkaufsstraße in Grass Valley. Eine Fußgänger-Zone für mehrere Millionen Dollar. Für Boyer eine Erfolgsgeschichte. Jetzt habe man mehr Platz, um in Zukunft Abstände einhalten zu können. Und die Rebellen? Das „Old Town Café“ war eine Institution in Grass Valley. Es war auch im schärfsten Lockdown nie zu, worum es einiges an Streit gab. Nun ist es geschlossen und der alte Besitzer nicht erreichbar. Demnächst soll etwas Neues eröffnet werden. Es wird wieder ein Restaurant sein: „Pepe’s Café“.

Die Bestatterin, ein Australier und eine Rentnerin im Wohnwagen

Auch Rebeccah Dillon (43), die erst seit vier Jahren in Grass Valley lebt, hat den Streit um das „Old Town Café“ mitbekommen. Es gab einen Fall von Vandalismus. Das Lokal wurde von Unbekannten mit Farbe beschmiert, worüber auch lokale Fernsehsender berichtet hatten. Dillon arbeitet für das Bestattungsunternehmen „Chapel of the Angels“. Ihre Arbeit hat sich seit Corona verändert. Der Kontakt zu den Kunden läuft immer mehr über E-Mails und Telefon und weniger von Angesicht zu Angesicht. Mehr Aufträge gibt es aber nicht, sagt sie.

Auch Bill Davis (77) spricht über das „Old Town Café“. Davis ist Australier und lebt seit 22 Jahren in Grass Valley. Er erzählt von einem Artikel in der Lokalzeitung The Union, in dem es um die Schließung des ältesten Restaurants ging. Demnach hat den Eigentümer des Hauses gestört, dass der Betreiber des Cafés für Trump und die Republikaner geworben hat. Downtown sei man eher demokratisch, außerhalb dagegen republikanisch. Davis sagt, dass sich Corona vor allem auf die Gastronomie und den Tourismus ausgewirkt hat. Zehn bis zwölf Lokale hätten seither geschlossen. Das „Old Town Café“ ist kein Einzelfall.

Pamela Sue Lehmann (81) lebt in einer Wohnwagensiedlung. Einen Restaurantbesuch kann sie sich nur selten leisten. Einst hat sie für große Firmen gearbeitet und gutes Geld verdient. Jetzt reicht es hinten und vorne nicht. Für sie haben sich die Preise seit Corona verdoppelt, auch wenn die offiziellen Zahlen andere sind. Alleine für ihre Versicherung zahlt sie jetzt mehr als das Doppelte. Die vielen Feuer in Kalifornien, deren Ursache oft Brandstiftung ist oder veraltete Technik, haben die Preise für die Feuerversicherung in die Höhe schnellen lassen. Einige können sich das nicht mehr leisten und ziehen weg.

Not im Paradies

Über den Exodus aus Kalifornien gibt es einen Dokumentarfilm und einen Bericht von mir in der Berliner Zeitung, in dem es um San Francisco geht. Die Straßen der einstigen Hauptstadt der Blumenkinder und Hippies sind heute von Obdachlosen und Suchtkranken bevölkert. All das gibt es auch in Grass Valley. Pamela Sue Lehmann sagt, dass es heute mehr Obdachlose und Suchtkranke gibt als früher. Einige würden in dem kleinen Park direkt neben dem Rathaus schlafen, weil sie sich dort sicherer fühlen. Die Polizeistation ist in der Nähe. Dort sagt man, dass die Zeiten vorbei seien, wo Menschen direkt neben der City Hall übernachtet haben. Wie viele Obdachlose es gibt, kann weder die Polizei sagen noch Tim Kiser (52), der City Manager von Grass Valley, eine Art Bürgermeister, der allerdings nicht gewählt, sondern ernannt wird.

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Christiana Stroyd (34) von der Non-Profit-Organisation „Food Bank“, einer Tafel, sagt, dass der Bedarf in den letzten drei Jahren um das Dreifache gestiegen sei. Die Lebensmitteltüten für Obdachlose mussten limitiert werden, was es nie zuvor gegeben hat. Die Spenden seien um die Hälfte zurückgegangen und die Kosten um 30 Prozent gestiegen. Die „Food Bank“ muss nun andere Spender finden, unter anderem den Bundesstaat Kalifornien, der dafür Daten haben will. Auch dies eine ganz neue Entwicklung.

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Randall Morrison (36) ist Taxifahrer und obdachlos. Wo genau er die Nächte verbringt, will er nicht verraten. Auch er sagt, dass die Zahl der Obdachlosen definitiv zugenommen hat. Morrison arbeitet erst seit ein paar Monaten für das einzige Taxiunternehmen im Ort, das drei Autos hat. Vorher ist er für FedEx und ähnliche Unternehmen gefahren. Mit dem Lohn kommt er über die Runden. Zufrieden ist er nicht. Immerhin gibt es keine Uber-Fahrzeuge, die ihm die Kunden wegschnappen.

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Corona und das Gold

Zahlen scheinen ein generelles Problem. Auch zu Impfschäden gibt es in Grass Valley keine. In der Apotheke „Dokimos‘ East Main Pharmacy“ und in der Drogerie CVS, wo man sich immer noch gegen Corona impfen lassen kann, weiß man über mehr als nur leichte Nebenwirkungen nichts zu berichten. Auch in der Facebook-Gruppe „Grass Valley Peeps“ bin ich gescheitert. Dort gibt es gut 30.000 Mitglieder. Mit meiner Anzeige bin ich zweimal nicht durchgekommen. In den Community-Regeln steht: „ Alles, was mit Masken, Covid, Pandemie oder Agenda-gesteuerten Beiträgen zu tun hat, wird gelöscht und Sie werden aus der Gruppe entfernt.“

Öffentlich diskutiert wird dagegen die Wiedereröffnung der alten Goldmine. Das Thema bewegt viele Menschen in Grass Valley. Nicht nur in Kalifornien ist man wegen des gestiegenen Goldpreises in einer Art neuem Rausch. Auch in Arizona, Kanada, China sollen alte Minen wiedereröffnet werden. In Grass Valley macht sich die Bürgerinitiative „Minewatch“ gegen die Wiedereröffnung stark, weil man Umweltschäden befürchtet – vor allem eine Verschlechterung des Grundwassers. Eigentlich wollte das zuständige Gericht im August eine Entscheidung fällen. Dann wurde bekannt, dass der potenzielle Betreiber bei einem früheren Projekt Schäden an der Umwelt verursacht hatte. Ausgang offen.

Frischer Wind aus Spanien

Es gibt aber auch Positives zu berichten. Marian Velaro (41), die ursprünglich aus Valencia kommt, hat vor vier Monaten ihr eigenes Café in der Mill Street eröffnet. 2020 ist sie auch wegen den Corona-Maßnahmen in ihrer Heimat als Volontärin nach Kolumbien gegangen, um auf einer Kaffee-Plantage zu arbeiten. Zurück in Spanien ertrug sie den Lockdown nicht und ging Anfang 2021 nach Kalifornien, wo sie auf einer Farm arbeitete. Jetzt ist sie verheiratet und hat ein Café, das denselben Namen wie das ihrer Schwester in Valencia hat – „Bluebell“. Auch wenn das Geschäft erst langsam anläuft, ist Marian zufrieden mit ihrem Leben in Grass Valley.

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Rumen Milkow hat den Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien und Journalismus absolviert.

Bildquellen: Rumen Milkow