Mit dem Vereinsrecht hat es nicht so recht geklappt. Die Zeitschrift Compact existiert weiter. Wer für die Pressefreiheit einsteht, wer Meinungsfreiheit hochhält, für den ist das eine gute Nachricht. Denn man muss Jürgen Elsässer beileibe nicht mögen, um sich über die Niederlage des Bundesinnenministeriums vor dem Bundesverwaltungsgericht zu freuen. Allerdings sieht das Gericht das Vereinsrecht grundsätzlich als mögliches Mittel gegen einen Verlag, der Presseprodukte herstellt. Es war also nur kurzfristig eine gute Nachricht für die Pressefreiheit neben den vielen schlechten.
Denn die EU hat in den vergangenen Wochen eine neue Form der Zensur weiter perfektioniert: Die Zensur per Sanktion. Bereits Ende Mai traf es die beiden deutschen Journalisten Alina Lipp und Thomas Röper. Da beide in Russland bzw. im Donbass leben, hat die EU keinen Zugriff auf sie. Allerdings: Lipp und Röper können auch kein Geld mehr aus dem EU-Gebiet bekommen, beispielsweise keine Buchhonorare. Aber es gibt auch einen deutschen Journalisten, der in Berlin lebt und Ende Mai sanktioniert wurde: Hüseyin Doğru sendete Anfang dieser Woche einen Hilferuf auf X, dass er und vor allem seine hochschwangere Frau keine Krankenversicherung mehr habe. Er dürfe dafür nicht zahlen, außerdem komme er gar nicht an sein Geld. Das Problem mit der Krankenkasse hat sich offenbar gelöst, der Skandal dahinter aber bleibt.
Denn die Sanktionsliste der EU hebelt offenbar auf dem Verordnungsweg Grundrechte aus. Und das Auswärtige Amt, das in dieser Woche in besonderer Weise den Fall in der Regierungspressekonferenz zitierte, zuckt mit den Schultern: Das kommt aus Brüssel, das ist halt so. Dabei war es offenkundig die Bundesregierung, die verantwortlich ist. Wer den EU-Totalitarismus einmal in seiner ganzen Banalität erleben will, der sollte das Video aus der Pressekonferenz anschauen, das die Nachdenkseiten Donnerstag veröffentlicht haben. Es sind mehrere Grundrechte, die für Doğru nicht mehr zu gelten scheinen. Klar, er dürfe gegen die Entscheidung vorgehen, so der Sprecher des Auswärtigen Amtes am Mittwoch. Aber mit welchem Geld? Und macht sich nicht strafbar, wer ihm hilft?
Doğru ist deutscher Staatsbürger. Ihm wird die Meinungs- und Pressefreiheit vorenthalten, ebenso sein Eigentum, die Berufsfreiheit und die Freizügigkeit, denn reisen kann er auch nicht. Die Grundlage seiner Existenz ist ihm genommen worden, mit Genehmigung der Bundesbank wird ihm das Existenzminimum gewährt. Sein (linkes) Medienprojekt Red Media ist mittlerweile eingestellt, der Druck war zu groß. Und das alles, weil das Medium angeblich aus Russland finanziert wurde. Dafür hat übrigens bislang niemand Beweise vorgelegt. Allein Medienberichte, die von Kontakten mit „russischen staatlichen Propagandaeinrichtungen“ fabulieren, scheinen für die Sanktionen ausgereicht zu haben. Die Dokumente, die Doğru und seinem Anwalt seit dieser Woche vorliegen, scheinen wenig Substanz zu haben.
Red Media hat vor allem über pro-palästinensische (und andere) Proteste in Deutschland berichtet und steht Russland kritisch gegenüber. Das Medium aber würde, so die Sanktionsbegründung der EU, „unter seinem überwiegend deutschen Zielpublikum ethnische, politische und religiöse Zwietracht“ säen. Damit untergrabe Red Media Stabilität und Sicherheit in der Union. Das erinnert fatal an Formulierungen in den Mediengesetzen der EU, in denen von „schädlichen Inhalten“ die Rede ist. Zudem werden Doğru Verbindungen zu staatlichen russischen Medien bzw. ihren Mitarbeitern vorgehalten. Kontaktschuld als Sanktionsgrund. Sanktionen, die die Pressefreiheit aushebeln. Wenn das so einfach geht – nachdem der Fall auf großer Bühne bei der Regierungspressekonferenz verhandelt wurde, erzählte der Mainstream die Position der Regierung nach und nichts als diese –, dann könnte das Schule machen. Durch die Maßnahmen zerstöre die EU „das Leben und die berufliche Existenz der Betroffenen“, zitiert die Tageszeitung junge Welt die Europaabgeordnete Ruth Firmenich. Sie spricht von einer „abschreckenden Wirkung für andere Journalisten.“
Die junge Welt ist eine der wenigen Redaktionen, die sich dem Thema widmen. In einem Artikel kommt Doğru selbst zu Wort:
Früher habe er für das linke Medium Redfish gearbeitet, erklärte Doğru gegenüber jW. Das Medium sei von der Nachrichtenagentur Ruptly finanziert worden, die zum russischen Auslandssender RT gehört. Das sei Vergangenheit, aber „wenn du in Deutschland das Label ‚russisch‘ hast, kriegst du das auch nicht mehr weg“, sagte Doğru.
Mehr von Doğru selbst können Sie auf der Website der Partei des früheren griechischen Finanzministers Yannis Varoufakis auf Englisch nachlesen (und ein Gespräch, ebenfalls auf Englisch, zwischen den beiden anschauen). Dort stellt er seinen Fall in einen größeren Rahmen und schreibt:
Wenn wir uns jetzt nicht wehren, riskieren wir, in einem Europa aufzuwachen, in dem Dissens nicht nur an den Rand gedrängt wird, sondern der Art von Repression ausgesetzt ist, die wir bisher nur mit den rücksichtslosesten Diktaturen in Verbindung gebracht haben.
Am Medien-Tresen wollen wir auch noch einmal an das erinnern, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben: Löschung von Kanälen auf Youtube aufgrund von kritischen Corona-Berichten, Verbot russischer Staatsmedien, die gesammelte EU-Mediengesetzgebung, Kontoschließungen von kritischen Medien und das vorübergehende Compact-Verbot. Meist sind es die Ränder des Meinungsspektrums, die betroffen sind. Weil sie illegale Berichte liefern? Illegal sind sie nicht, aber unliebsam. Und irgendein Grund findet sich immer, möglichst ohne Solidarisierung im Mainstream.
Deshalb sind und bleiben wir wachsam und freuen uns auch über Veranstaltungen wie die von gestern Abend. Wieder war es die junge Welt, die gemeinsam mit anderen Medien – den Nachdenkseiten, dem Overton-Magazin und dem Magazin Hintergrund – über das EU-Wahrheitsregime diskutiert hat. Sie können das auf Youtube anschauen. Es sei eine Auftaktveranstaltung gegen das EU-Wahrheitsregime, sagte Moderator Rüdiger Göbel zum Schluss. Mit dabei waren auch Thomas Röper und Alina Lipp, die jeweils Videos beigesteuert haben. Schauen Sie rein, es lohnt sich zur Vertiefung. Und das Bündnis durchaus unterschiedlicher Medien gibt bei allem EU-Totalitarismus etwas Hoffnung. Wenn wir dann einen Medien-Tresen mit diesem Wort beenden können, dann machen wir das. Und trinken nicht nur aufgrund der Temperaturen heute nur ein frisches Glas Wasser. Zum Wohl!
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
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