Ja! Ich habe Respekt vor unserem Bundeskanzler. Wirklich. Ich finde gut, dass er sich in der aufgeheizten politischen Lage in ein Gesprächsformat begibt, in dem drei Menschen ihre Sorgen, ihre Enttäuschung und ihre Verzweiflung über die Politik zum Ausdruck bringen können. Obwohl das für mich längst überfällig war. Am RTL-Gespräch am 8. Oktober nahmen außer dem Kanzler und der Moderatorin drei Personen teil: Sandra Hunke, eine Anlagenmechanikerin aus Nordrhein-Westfalen, die die Kommunikation zur Wärmepumpe, die Belastung des Mittelstands sowie die Inflation beklagte. Mirko Geißler, ein parteiloser Bürgermeister aus Sachsen, der an überbordender Bürokratie verzweifelt. Und Michael Kyrath aus Elmshorn. Ein trauernder Vater, der im vergangenen Jahr seine 17-jährige Tochter durch ein Messerattentat verlor. Dem Bundeskanzler war seine Betroffenheit deutlich anzumerken. Ob der erschütternden Schilderung des Vaters kam es nicht zum typischen „scholz´schen Grinsen“. Olaf Scholz war sichtlich bewegt.
Ich bin harmoniebedürftig. Zunächst wollte ich spontan der Journalistin Anne-Kattrin Palmer zustimmen, als sie nach diesem Gespräch in ihrem Kommentar in der Berliner Zeitung schrieb: Mehr davon! Wie Kanzler Scholz bei einem trauernden Vater versucht, Vertrauen zurückzugewinnen“.
Nach einem Innehalten bemerkte ich allerdings einen Widerstand in mir. Vertrauen zurückgewinnen? Welches Vertrauen? Vertrauen gewinnen durch einen Bundeskanzler, der hinsichtlich der CumEx-Affäre in einen der größten Steuerskandale Deutschlands verwickelt ist, der in Bezug auf den hierzu stattgefundenen Untersuchungsausschuss mit fragwürdigen Erinnerungslücken glänzte?
Einen Kanzler, der kein Interesse an der Aufklärung der Nordstream-Sprengungen erkennen lässt, der dem amerikanischen Präsidenten nicht widersprach, als dieser im Februar 2022 in seinem Beisein vor versammelter Presse das Aus für die Pipeline ankündigte – für den Fall des russischen Einmarsches in die Ukraine? Einen Kanzler, der damit Futter für Spekulationen liefert, er sei in die Planung der Anschläge involviert gewesen?
Einen Kanzler, der, wie die Tagesschau vom 9. August 2024 berichtet, nach Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten aus den USA zurückkehrt mit der Ankündigung, ab 2026 US- Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren und es erst nach massivem Widerstand – auch aus den Reihen seiner Partei – für nötig hält, eine Entscheidung solcher Brisanz zunächst einer Debatte im Bundestag zu unterziehen?
Ich frage mich ernsthaft, ob bei einem solchen Kanzler die Rede davon sein kann, Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen. Von welchem Vertrauen ist hier die Rede?
Für mein Gefühl braucht Vertrauen neue, unbeschädigte Köpfe und Personen. Politiker, bei denen einem nicht unaufgeklärte Skandale und undurchsichtige politische Verwicklungen in den Kopf kommen.
In dieses Profil will – mein Harmoniebedürfnis mal beiseite geschoben – unser Kanzler einfach nicht hineinpassen.
Deshalb werde ich das Gefühl nicht los, es geht bei so einem Gesprächsangebot überhaupt nicht um das Bewältigen und Bearbeiten der genannten Probleme, sondern, wie so oft in der Politik, einzig um das Aufpolieren eines angeknacksten Images zum Erhalt der politischen Macht.
Mehr davon also bitte nur, wenn aus dem Dialog mit den Bürgern ernstzunehmende Konsequenzen folgen.
Brit Gdanietz ist Schauspielerin und Sprecherin und hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.